Journalisten und Politiker führen eine komplizierte Beziehung: Sowohl zu viel Nähe als auch zu viel Distanz würden in ihrer Zweckpartnerschaft den Haussegen schief hängen lassen. Auch Konstruktiver Journalismus muss sich dieser fragilen Balance bewusst sein. Gerade wenn es um die Lösung gesellschaftlicher und politischer Probleme geht, kann (distanzierte) Partnerschaft das richtige Leitbild für das Verhältnis zwischen Politikern und (konstruktiven) Journalisten sein.
Konstruktiver Journalismus ist ein sogenanntes Berichterstattungsmuster, also eine bestimmte Strategie, nach der der journalistische Wirklichkeitsbezug inszeniert wird. Ziel der Konstruktiven Journalisten ist es, mehr Ausgewogenheit und weniger Einseitigkeit in der Medienberichterstattung zu bewirken. Konstruktiver Journalismus erweitert dafür die Perspektive und fügt den klassischen journalistischen W-Fragen Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Warum?, Wie? und Wozu? die Frage nach dem Was jetzt? hinzu. Die Recherche nach möglichen Lösungen für bestehende gesellschaftliche Probleme soll das Publikum dabei zu Engagement und Beteiligung ermutigen.
Journalismus und Politik
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ – so ein vielzitierter und inzwischen längst trivialer Satz des Soziologen Niklas Luhmann. Damit ist es auch für unser Gemeinwesen und unsere Demokratie höchst relevant, wie dieses Wissen über Welt und Gesellschaft aufbereitet und präsentiert wird. Zu einer vitalen Demokratie gehört ein Demos, der seine Entscheidungen gut informiert trifft. Für ein entsprechend fundiertes Informationsangebot ist der professionelle Journalismus zuständig, es ist gar seine zentrale Funktion in einer demokratischen Gesellschaft. Dies schließt auch und besonders die Information aus schlechten Nachrichten mit ein, damit gesellschaftliche Diskurse über die Bewältigung von Missständen entstehen. Negativ vorgeprägter Journalismus ist daher eine Selbstreinigungskraft der Demokratie.
Gewinnen negative Nachrichten jedoch dauerhaft die Oberhand, entsteht der von Konstruktiven Journalisten zu Recht kritisierte negative bias der medialen Berichterstattung. Nach der Mediamalaise-Theorie verursachen zu viele bad news ein gefährliches Misstrauen in die Demokratie und ihr rechtes Funktionieren. Demnach ist es der beißende Negativismus der Politikberichterstattung, der hier destruktiv wirkt und mit ein Grund für das insgesamt schlechte Image der unter medialer Dauerbeobachtung stehenden Politiker ist.
Natürlich tragen diese nicht selten daran auch mindestens eine Mitschuld. So wirkte beispielsweise das politische Berlin im vergangenen Sommer wegen der Streits rund um Migration, Maaßen und Minister wie eine Tragikomödie mit besonders stümperhaftem Libretto. Doch auch nicht wenige Journalisten performten schlecht in ihrer Rolle, sofern sie immer wieder neue Skandale publizistisch ausschlachteten, ohne die Perspektive einmal zu weiten. Ganz grundsätzlich wird meist ein bedeutender Teil der Wirklichkeit journalistisch ausgeblendet, nur weil er einen vermeintlich geringeren Nachrichtenwert hat.
Glaubwürdigkeit in der Krise
Dadurch kann letztlich auch die Glaubwürdigkeit des Journalismus selbst Schaden nehmen, wenn man nur etwa an das Unwort Lügenpresse von meist rechtspopulistischen bis rechtsextremen Bewegungen wie Pegida und Parteien wie der AfD denkt. Nach einer 2015er Studie von Infratest Dimap im Auftrag des WDR hatten 37 Prozent der Befragten Bürger ein sinkendes Vertrauen in die Medien; nur 52 Prozent bewerten die Medien insgesamt als glaubwürdig.
Das Institut für Publizistik der Uni Mainz legte 2017 eine Langzeitstudie vor, die zwar eine zwischenzeitliche Zunahme des Vertrauens in die professionellen Medien bei gleichzeitig steigendem Misstrauen in Internetmedien feststellte. Dennoch gab auch mehr als ein Drittel der Befragten an, gesellschaftliche Zustände anders wahrzunehmen, als sie von Medien dargestellt werden. Auch das inzwischen vieldiskutierte Phänomen der Fake News verschärft die Frage nach der öffentlichen Vertrauenswürdigkeit journalistischer Medien, wenn diese an der Verbreitung von Fake News beteiligt sind, wie es besonders krass am Fälschungsskandal von Claas Relotius anschaulich wurde.
Nicht positiv, aber lösungsorientiert weiterfragen
Konstruktiver Journalismus will vor diesem Hintergrund einen Beitrag für mehr Qualität, Wahrhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Medien leisten. Er will die Frage beantworten helfen, wie diese Eigenschaften notwendige Bedingungen dafür sind, dass Massenmedien und der Journalismus ihrer Rolle und Funktion in Demokratie und Gesellschaft gerecht werden.
Dass der bloße Ersatz des negative bias durch einen positive bias keine Lösung sein kann, zeigte sich brennglasartig im der Zuge der Flüchtlingsbewegung von 2014 und 2015: Nicht wenige Menschen hatten damals den Eindruck, die Medien in Deutschland würden vielfach zu einseitig positiv über Migration, Integration und die Willkommenskultur berichten.
Es gilt, die dunkle Brille einmal abzusetzen, ohne gleich zur rosaroten Brille zu greifen. Es gilt außerdem weiterzufragen, nachdem ein Problem oder Missstand handwerklich sauber und hinreichend recherchiert und beschrieben wurde. Muss es beim Status quo bleiben? Wie gehts weiter? Was wurde bisher zu wenig beachtet? Wie wurden ähnliche Probleme bereits gelöst? Die wichtigste, weil bias-kritische Frage muss jedoch immer auch lauten: Stimmt die Mischung unserer Berichterstattung?
Politiker als Partner bei der Suche nach Lösungen
Journalismus ist kein Teil des politischen Systems. Dennoch spricht man nicht selten von den Medien als „Vierter Gewalt“: als einer politischen Kraft, die die demokratische Balance der drei Gewalten Parlament, Regierung und Rechtsprechung wahren hilft, die beobachten und bewerten soll. Gleichzeitig müssen politische Journalisten immer auch die prekäre Balance halten zwischen übergebührlicher Nähe und überzogener Distanz zur Politik, zwischen Fundamentalopposition und Hofberichterstattung. Gerade Konstruktiver Journalismus mit seiner Perspektivenerweiterung kann dazu beitragen, dass die Bedeutung dieser Balance wieder verstärkt in den Blick gerät, dass Einseitigkeiten vermieden werden, insbesondere jene, die zu mehr Politikverdrossenheit ohne Mitschuld der Politik führen. Trotz der auch berechtigten medialen Eigenlogik mit ihrer Orientierung an Aufmerksamkeit und Absatzzielen geht es hierbei letztlich auch um eine Demokratie- und Gemeinwohlverantwortung der Journalisten.
Gleichzeitig sollten Journalisten nicht vergessen, dass sie bei Berichten über Lösungen nicht selbst Politik machen sollen. Der Hang zu politischem Aktivismus ist ein wunder Punkt beim Lösungsjournalismus. Dieser sollte daher zwar die Perspektive auf mögliche Lösungsansätze hin weiten, und zwar am besten immer auf mehr als einen davon, das Werben um Zustimmung für die jeweils richtige Entscheidung letztlich aber den demokratisch gewählten Abgeordneten überlassen. Das Bewusstsein dafür, dass in der Politik als Kunst des Möglichen zudem fast immer (nur) Kompromisslösungen angezielt werden (können), sollte dabei ebenfalls nicht verblassen.
Bei konstruktiver Politikberichterstattung geht es also nicht um einen Paradigmenwechsel, vielmehr stärkt sie die Aufmerksamkeit für vernachlässigte Aspekte guten journalistischen Handwerks und für ein ganzheitliches Bild, das erfolgreiche Reformen und gute Sacharbeit von Parlamentariern ebenso würdigt, wie es Politikerskandale konsequent offenlegt und rügt. Konstruktiver Journalismus versteht Politiker als Partner bei der Suche nach den besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme und wird, gerade um der Lösung willen, ebenso eine angemessene Distanz wahren.
Schreibe einen Kommentar