In vielen christlich geprägten Ländern Europas ist die Trennung von Staat und Kirche eine Selbstverständlichkeit. Eine konsequente Form dieser Trennung gibt es beispielsweise im laizistischen Frankreich: Dort wird in staatlichen Schulen kein Religionsunterricht erteilt. In Deutschland schon, allerdings wird hier je Lehrplan auf eher wissenschaftliche Art und Weise über den Glauben informiert. Dennoch muss der Religionslehrer der jeweiligen Konfession angehören.
Religion ist Privatsache, Religiosität muss jedoch respektiert werden
Laizismus und Säkularisierung bedeutet auch nicht automatisch die Abschaffung des Kultes: Die Religionsfreiheit muss garantieren, dass fromme Menschen in der Öffentlichkeit Zeichen ihres Glaubens tragen dürfen – egal ob Kreuz oder Kopftuch. Denn in einer säkularisierten, aufgeklärten Gesellschaft darf keine Religion vom Staat bevorzugt und über andere gestellt werden. Oder über sonst irgendeine geistig-philosophische Strömung. Denn vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.
Das gilt auch in anderen Bereichen des Lebens und ist gerade beim Thema Ehe und Familie wichtig. Wenn nämlich vor dem Gesetz alle gleich sind, dann muss es nach meinem Dafürhalten beispielsweise auch homosexuellen Paaren gestattet sein, standesamtlich zu heiraten und Kinder zu adoptieren, die sonst vielleicht in Heimen verkümmern würden. Und dann muss Bildung auch darauf abzielen, Vorurteile abzubauen und Diskriminierungen jeder Art auszumerzen.
An allererster Stelle stehen die Menschenrechte
Würde der Gesetzgeber hingegen Familie strikt als Gemeinschaft aus Vater, Mutter und Kindern definieren, hätten alleinerziehende Elternteile ein Problem – oder besser gesagt der Staat mit ihnen. Welche weiteren Ideale müsste man dann noch gesetzlich verankern? Und welche Konsequenzen würde das in nach sich ziehen? Nun soll es in anderen Teilen der Welt ja tatsächlich Länder geben, in denen zum Beispiel eine Frau gezwungen wird, den Mann zu heiraten, der sie vergewaltigt hat. Dort kommen religiös geprägte Vorstellungen wohl kaum zu kurz, dafür jedoch andere Werte, die man genauso wenig missen möchte: nämlich die Menschenrechte, die im deutschen Grundgesetz ganz am Anfang stehen (Art. 1-19) und somit die Basis der Verfassung bilden.
Die Idee der universalen Menschenrechte hat nur teilweise einen religiösen Ursprung in der jüdisch-christlichen Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. In erster Linie ist es ein Verdienst der Aufklärung, dass die Menschenrechtsidee weiter ausgefeilt und mithilfe der Vernunft begründet und vertieft wurde, auch wenn die Art und Weise, auf die während und nach der Französischen Revolution versucht wurde, sie durchzusetzen, alles andere als vernünftig war. Zwar entsprechen die Menschenrechte auch religiösen Moralvorstellungen wie den Zehn Geboten, können aber durch ihre nichtreligiöse Begründung von allen Menschen anerkannt werden. Und nach einer langen historischen Entwicklung sind sie das auch, zumindest hierzulande.
Wo ist die Grenze?
Wir sollten also durchaus einmal darüber nachdenken, welche Wertvorstellungen allgemein vermittelbaren Menschenrechten entsprechen und hinter welchen eine rein religiöse Begründung steckt. Und darf ein Staat dann religiöse Wertvorstellungen durchsetzen? Um diese Frage geht es doch eigentlich, wenn es so scheint, als ob „Stellvertreterkriege“ um die Akzeptanz von Homosexuellen und die Meinungsfreiheit von Konservativen toben.
Ein anderes Beispiel: Es ist für die meisten Menschen wohl selbstverständlich, dass sie zu Weihnachten und zu Ostern frei haben. Die Vereinnahmung dieser Feste durch Werbung und Konsumverherrlichung ist zwar schockierend, ohne gesetzliche Feiertage wäre es jedoch schwierig, den Gang ins Gotteshaus mit einem Studien- oder Arbeitsalltag zu vereinbaren. Auf keinen Fall möchte ich dafür plädieren, Traditionen mit einem tieferen Sinn dahinter durch ein „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ oder Ähnlichem zu ersetzen. Und ein bisschen Freizeit ist allemal toll.
Hier beginnen die Schwierigkeiten der Säkularisierung: Es ist wünschenswert, dass jeder Gläubige, unabhängig von der Religionszugehörigkeit, seine Feste begehen kann. Auf der Insel Mauritius beispielsweise werden je die wichtigsten Feste der dort vertretenen Religionsgemeinschaften (die größten sind Hindus, Christen und Muslime) als staatliche Feiertage begangen und alle sind zufrieden. Aber wo wäre bei einer ähnlichen Regelung in Deutschland die Grenze? Können dann nicht theoretisch auch die Mitglieder einer spontan erfundenen Spaß-„Religion“ arbeitsfreie Tage für sich reklamieren?
Bitte bloß kein Schwarz-Weiß-Denken!
Das ist nur einer von vielen Punkten, über die man sich noch Gedanken machen könnte und sollte. Überhaupt hoffe ich, dass jeder Mensch durch reichliches Nachdenken zu seinen Überzeugungen gelangt und nicht einfach nur irgendetwas nachplappert oder unterschreibt, was andere oder im Zweifelsfall auch die jeweilige religiöse Obrigkeit verbreiten. Und dass wir aufhören, in schwarz-weiß zu denken: Gerade weil es so eine reiche Vielfalt unter den Menschen gibt, reicht es nicht, sie in Befürworter und Gegner einer Sache zu unterteilen und die Mitglieder dieser Gruppen in je einen Topf zu werfen.
Beispielsweise befürworten nicht alle, die sich für Frauenrechte und gegen sexistische Diskriminierungen einsetzen, die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Und nicht jeder, der sich wünscht, in Ruhe eine Familie nach eher traditionellen Vorstellungen zu gründen und den Kindern seinen Glauben weiterzugeben, diskriminiert Homosexuelle. Allerdings würde ihm auch niemand die gewählte Lebensform erschweren oder gar verbieten, wenn man auch homosexuellen Paaren, die im Prinzip genau den gleichen traditionellen Wunsch haben, ermöglichte zu heiraten und Kinder zu adoptieren. Vielleicht sollten wir uns diesbezüglich einfach alle von unseren Ängsten und Denkschablonen lösen.
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