In Zeiten der Corona-Krise merken wir, was wir wirklich zum Leben brauchen. Neben materiellen Grundlagen sind es oft unterbewertete künstlerische und kulturelle Werke, die uns geistig bereichern und dem Leben Sinn geben können. Deshalb habe ich vor einiger Zeit die Kunst zum Beruf gemacht.
Kunst ist systemrelevant
Man stelle sich die Welt vor ohne Literatur, Musik, Filme, Serien, Theater, Zirkus sowie bildende und darstellende Künste im Allgemeinen. All diese Dinge sind nicht als Luxus zu betrachten, sondern als essentielle und identitätsstiftende, geistig anregende Werke, die unsere Leben bereichern. Wie vermissen wir es in diesen Zeiten, abends zu Kulturveranstaltungen und Konzerten zu gehen? Und wie sehr würden wir uns langweilen, hätten wir dafür nicht einmal digitalen Ersatz?
Das künstlerische Leben im Konjunktiv
Irgendwann war sie da: Die Idee in meinem Kopf, mit meiner artistischen Leidenschaft Geld zu verdienen. Mit dem Jonglieren und Zirkus spielen angefangen habe ich schon als Kind, aber erst inmitten meines Lehramtsstudiums erschien mir es als eine Möglichkeit, als Jongleur zu arbeiten. Inspiriert wurde ich von Kolleginnen und Kollegen aus meinem Umfeld, die sich für Auftritte buchen und bezahlen ließen.
Als ich dann gegen Ende des Studiums zugleich realisiert habe, dass ich mit dem Lehrerberuf nie glücklich werden würde, entschied ich mich, mir nach und nach Nummern und Programme aufzubauen, mit denen ich seit 2016 auf vielerlei Veranstaltungen auftrete. Die Kunst ist vielseitig und somit muss man auch als Künstler offen sein für Neues. Sie erfordert es, auf mehreren Beinen gleichzeitig zu tanzen. So probiere ich mich, nebem der Kunst des Jonglierens, an Feuer- oder Lichtshows. Mittlerweile habe ich gar ein abendfüllendes Programm mit Jonglage, Musik und Comedy entwickelt, das letztes Jahr Premiere feierte. Nebenbei unterrichte ich Kinder und Jugendliche im Jonglieren. Bis zu diesem März zumindest, als die allseits bekannte Pandemie begann, den Kulturbereich wie auch den Schulbetrieb für Monate lahmzulegen. Ein unerwarteter Einschnitt und zugleich Zeit, zu reflektieren und mich künstlerisch neu auszurichten.
Normalerweise sind die Monate Mai, Juni und Juli mit vielen Veranstaltungen bestückt, auf denen ich mir einen ordentlichen Teil meines Jahresverdiensts einspiele. Doch zur Zeit findet vieles nur im Konjunktiv statt: Letzte Woche hätte ich auf einem Straßenkunstfestival gespielt.
Doch so manchen Kulturbetrieb trifft es härter oder treibt diese Krise sogar in den Ruin, trotz staatlich angebotener Soforthilfe – Theater und andere Spielstätten etwa, die schon zu normalen Zeiten ums Überleben kämpfen, angesichts der Konkurrenz durch online verfügbare Massenerzeugnisse. Die Entwicklung der Corona-Pandemie und damit einhergehende Maßnahmen sind nur begrenzt absehbar.
Mein Weg zum Künstler
Ich möchte ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern und erzählen, wie ich zum hauptberuflichen Künstler wurde.
Wenn ich als Berufsangabe „Jongleur“, „jonglierender Kleinkünstler“ oder „Showkünstler“ nenne, erahne ich anhand der Reaktionen meines Gegenübers mehr über dieses, als ihm/ihr vielleicht lieb ist. Eine häufige Frage ist „Kann man davon leben?“ und ich sage an dieser Stelle ein für alle Mal: „Jein!“. Dass es möglich ist, mit Kunst sogar eine Familie zu ernähren, beweisen viele Kolleginnen und Kollegen. Dazu braucht es Durchhaltevermögen, um sich etwas aufzubauen, Reflexionsfähigkeit bei ausbleibendem Erfolg und Glaube, um auch in schweren Zeiten nicht aufzugeben, wie manch Einer angesichts einer über Monate währenden Pandemie versucht sein wird.
Jonglieren als Metapher fürs Leben
Wenn Kunst zur Berufung wird, und so ist es auch bei mir, dann lässt sie sich als sinnstiftendes Element nur schwer von anderen Lebensbereichen trennen, ist oft auch vom Leben inspiriert. Eine meiner Nummern heißt ‘Jonglieren ist Leben’ und stellt eine Kombination aus Philosophie, Poesie, Musik und Jonglage mit verschiedenen Requisiten als Ausdrucksmittel dar. Als Bühnenfigur lebe ich die darin enthaltenen Erkenntnisse. Denn im Jonglieren steckt so viel über das Leben an sich: Um es zu meistern, brauchen wir Koordination, Rhythmus und eine gesunde Selbsteinschätzung. Entscheidend ist, wie wir mit Fehlern umgehen, wenn etwa ein Ball zu Boden fällt. Geben wir auf und bleiben aus Angst bei dem, was wir sicher können? Oder sehen wir einen Fehler als Fortschritt und Möglichkeit, daraus zu lernen und zu wachsen?
Auf der anderen Seite gibt es auch reine Unterhaltungsshows wie etwa ‘Herzjongleur’, wobei ich in Anlehnung an die ehemalige Fernsehserie ‘Herzblatt’ in verschiedene Jongleurrollen schlüpfe und eine Dame aus dem Publikum sich nachher ihren Herzjongleur aussuchen darf. Hierbei verschmelzen, Jonglage, Comedy und Kleinkunst.
Vor- und Nachteile des Künstlerlebens
Meine Entscheidung gegen einen sicheren und gut bezahlten Beamtenberuf und für eine unsichere Künstlerlaufbahn ist aus Sicht vieler Menschen unvernünftig, doch zugleich unheimlich erfüllend. Anstatt von materiellem Wohlstand habe ich die mir viel wichtigere Freiheit gewonnen, meine Shows so zu kreieren und zu spielen, dass sie mir und meinem Publikum gefallen. Ich möchte Menschen begeistern, anregen und motivieren.
Doch auch mein Alltag ist sehr frei, was ich gar nicht mehr missen möchte. Damit erwächst aber auch viel Eigenverantwortung für die Gestaltung meiner Tage. Niemand außer mir schaut mir auf die Finger. Niemand kontrolliert, ob meine Zeit nutze, um voranzukommen, oder auf der faulen Haut liege. Als Künstler können wir starken Stimmungsschwankungen ausgesetzt sein. Von auftrittsarmen Wintermonaten mit wenig Antrieb bis hin zu kreativen Schüben und erfolgreichen Kunstabenden im Sommer. Ich bin nicht nur Künstler, sondern zugleich mein eigener Coach, Regisseur, Manager und Finanzberater.
Dennoch habe ich die Entscheidung, es zu versuchen und voll durchzuziehen, nie bereut. Denn ich glaube fest daran, dass wir am Ende des Lebens am meisten die Dinge bereuen, die wir nicht versucht haben, aber uns immer gewünscht haben.
Sandra
Wusste gar nicht, dass du auch für Blogs schreibst. 😀 Interessante Geschichte 🙂 Finde die Metapher toll, mit den einzelnen Lebensaspekten zu jonglieren. Und witzig: wollte früher auch Lehrerin werden. Gut, dass es nicht so verlaufen ist bei uns beiden 😀
Christian Blessing
Danke dir! 🙂 Dazu ein Buchtipp: Lessons from the Art of Juggling von Michael Gelb und Tony Buzan!
Valentin Schlott
Ein ermutigender Beitrag! Vielen Dank! 🙂