Aufstehen, arbeiten und den Schlaf am späten Nachmittag versuchen nachzuholen. Wenn die Sonne untergeht, wird Martin nervös. Es wird Nacht und alles um ihn herum ruhig, der Ton ertönt wieder. Es brummt. Die Ursachenforschung nach dem Brummton beschreibt die Familie wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wegen Eigenbedarf mussten sie aus ihrer Altbauwohnung in einem anderen Dorf ausziehen. Dort hörte er den Brummton bereits. „Wir dachten, dass es von einer Arztpraxis unter uns kommt und waren froh, als wir umziehen konnten. Am ersten Abend in der neuen Wohnung hörte ich den Ton wieder – es war wie ein Schlag ins Gesicht.“ An Schlaf ist so nicht zu denken. Die Nächte spielen sich im Wohnzimmer auf der Couch ab, „manchmal fahre ich auch auf einen Autobahnparkplatz und drehe die Scheibe ein bisschen runter, der vorbeirauschende Verkehr übertönt den Brummton.
Würde ich in einer Hängematte im Freien schlafen, wäre es besser. In geschlossenen Räumen kann sich der Schall nicht verlieren“, erklärt Martin. Schlaf versucht er am späten Nachmittag nach der Arbeit nachzuholen und fürchtet dabei um seinen Job, da er irgendwann eventuell nicht mehr in der Lage sein wird, seinem Beruf nachgehen zu können. Man müsse nicht nur den Ton, sondern auch die Konsequenzen ertragen: kaum Schlaf, Herzrasen und Nervenzusammenbrüche, Hyperventilation. Vor lauter Angst, dass etwas passiert, schläft auch seine Familie schlecht. Betroffene beschreiben den Ton oft wie ein laufender Dieselmotor, für Martin hört es sich an wie eine Stereoanlage, bei der die Lautsprecher ohne Musik voll aufgedreht sind. Dieser Ton kann durchgehend oder in Intervallen erscheinen.
Wie es dazu kam, kann er sich nicht erklären. „Für mich ist es eine Erscheinung der Gesellschaft. Wir sind so vielen Funkmasten und anderen elektromagnetischen Felder ausgesetzt, da kann man lange suchen.“ Dr. Walter von Lucadou, Leiter der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg, stimmt dieser Aussage zu: „Die Menschheit wird sensibler und ist einer hohen Grundbelastung ausgesetzt. Täglich hören wir mehr Lärm und die Umwelteinflüsse nehmen zu.“ Es sei auch keine Krankheit, sondern eine Störung, die aber wegen Dauerstress krank macht, wenn nichts dagegen unternommen wird. Die Reaktionen der Mitmenschen spielen hierbei eine große Rolle: „Betroffene haben das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, oft hört nur eine Person in der Familie das Störgeräusch."
Es ist kein Tinnitus
Die Anzahl der Brummton-Hörer allein in Freiburg beläuft sich auf knapp 300, in ganz Europa ist die Zahl weit höher. Gerhard Matern, Leiter der Brummton Selbsthilfegruppe in Freiburg und selbst Betroffener, schätzt die Dunkelziffer hoch. Viele werden auf Tinnitus behandelt. „Stopfen Sie sich etwas in die Ohren, ist das Brummen immer noch da, dann leiden Sie an Tinnitus. Der Brummton kann dann gar nicht gehört werden, da er aus Umwelt kommt.“ Es sei auch keine Spinnerei, Betroffene sind einfach nur sensibler als andere Menschen. Mit dem Brummton hat sich auch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg beschäftigt – doch eine Untersuchung aus dem Jahr 2001 konnte die Quelle für den Brummton nicht eindeutig finden. Seitdem wurde vom Land nichts mehr unternommen und Betroffene sind der Belästigung hilflos ausgeliefert. „Es ist ein ernstzunehmendes Phänomen. Messungen zeigen viele verschiedene Ergebnisse, das macht es sehr schwer, die richtige Ursache zu finden", sagt Frank Lorho, Pressesprecher des Ministeriums.
Für Roland Laszig, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor der HNO-Klinik Freiburg, liegt die Ursache im Inneren der Erde, ihm ist bisher ein Fall bekannt: "Betroffene nehmen Schwingungen in der Erdkruste war, in Freiburg wäre das der Kaiserstuhl als stillgelegter Vulkan." Operieren helfe nichts. Die gemessenen Werte würden oft unter dem hörbaren Bereich für Menschen liegen, damit seien wenige Leute betroffen und das Thema für viele abgehakt, sagt Martin. "An uns denkt niemand. Die Grenzwerte für Frequenzanlagen müssen überarbeitet werden", kritisiert er. Bis es so weit sei, müsse Martin nachts mit Musikkopfhörern zu Bett gehen, damit ihm der Brummton nicht den Schlaf raube. Im Sommer geht es in eine ruhigere Gegend, wenn es dort nicht brummt, steht vielleicht bald der nächste Umzug vor der Tür.
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