In den sozialen Netzwerken kursiert die Theorie, Menschen sollten darauf verzichten, Kinder zu bekommen. Denn: Jeder Mensch ist schädlich für die Klimabilanz. Mit der Würde des Menschen ist das nicht zu vereinbaren. Ein Kommentar von Benedikt Bögle.
„Unser Planet ist am Kollabieren. Ich mache mir solche Sorgen, dass ich beschlossen habe, keine Kinder in die Welt zu setzen“, sagte nach Informationen des SZ-Magazins die britische Sängerin Blythe Pepino in der BBC. Für diesen Satz hat die Künstlerin Zustimmung geerntet. Unter dem Stichwort „Birthstrike“ wird der Verzicht auf Kinder etwa in den sozialen Medien propagiert, um so der Umwelt weniger zu schaden; Menschen tragen schließlich zur Erwärmung des Klimas bei. Die Primatenforscherin Jane Goodall stimmte zu, ebenfalls eine Regensburger Lehrerin, deren Buch „Kinderfrei statt kinderlos – ein Manifest“ polarisierte.
Einfache Rechnung?
Diese Rechnung wirkt so einfach. Immer mehr Menschen bemühen sich, ihr Verhalten zu verändern und dem Klima damit weniger zu schaden: Bahnreisen statt kurzer Flugstrecken, Fahrrad statt Auto, klimaneutrales Waschmittel, Pullover statt Heizung, Kleinwagen statt SUV, Jutebeutel statt Plastiksack. Für sich genommen mögen das ehrenwerte Anstrengungen sein, auf das Ganze gesehen aber dürfte es wohl – angesichts großer Ozeandampfer, Kohlekraftwerke und Privatjets – kaum etwas ausmachen. Wie einfach hört sich da die Lösung an: Keine Kinder mehr kriegen! Schließlich schaden ja auch die nur dem Klima.
Die mühsamen, kleinen Rechenposten einer gesparten Flugreise und eines kleineren Autos verblassen ja geradezu gegenüber der Klimabilanz eines Menschen, der gar nicht erst geboren wird. 80 oder 90 Jahre lang wird er sich eben gar nicht fortbewegen, nicht essen und trinken, die Umwelt nicht verschmutzen: Eine Menge Co2 wird eingespart. Diese Meinung ist mehr als gefährlich. Denn sie vergisst vieles. Egal, ob mit Überzeugung vorgetragen, oder mit dem Hintergedanken, man könne ja wenigstens darüber diskutieren – der Mensch wird zu einem verfügbaren Rechenposten.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hebt mit einem ebenso nüchternen wie inhaltsschweren Satz an: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Aus dieser kurzen Aussage ergibt sich sehr viel für unser Gemeinwesen. Dieser Satz garantiert, dass jeder Mensch das Recht auf einen Schutz seiner persönlichen Entfaltung hat, auf seine Privatsphäre. Er schützt den Menschen vor staatlicher Gewalt und – in Verbindung mit den folgenden Artikeln der Verfassung – vor Folter. Er sagt aber auch ganz einfach: Jeder Mensch hat eine Würde. Ausnahmslos jeder.
Der Mensch als Rechenposten?
Und diese Würde verbietet es schlicht, einen Menschen zu einem Rechenposten der klimatischen Bilanz zu machen. So schlimm der Klimawandel ist und so dringend etwas dagegen getan werden muss – die Idee, es sollten doch am besten gar keine oder zumindest deutlich weniger Menschen geboren werden, kann dadurch nicht ansatzweise gerechtfertigt werden. Wer diese Meinung vertritt sagt: Es ist besser, wenn Menschen nicht geboren werden. Es ist besser, wenn Menschen nicht leben.
Welch Hybris spiegelt sich in diesem Satz wider. Ich lebe und ich lebe gerne. Mir ist bewusst, dass dieses Leben in vielen seiner Facetten der Umwelt schaden kann. Mir ist bewusst, dass auch ich etwas an meinem Verhalten ändern muss. Darf ich deswegen sagen, dass andere Menschen am besten gar nicht geboren würden? Nicht im Ansatz. Die Debatte ist gefährlich, auch weil sie ganz grundsätzlich menschliches Leben zur Disposition stellt. Wie lange wird es dauern, bis wir über die Klimabilanz etwa von Krankenhäusern und Seniorenheimen sprechen? Können wir auch da einfach sagen: Besser für das Klima wäre es, diese Menschen würden nicht leben?
Eine Welt ohne Mensch?
Wer das Leben des Menschen zur Disposition stellt, tritt nicht nur die Würde des Menschen mit Füßen, er pervertiert auch den Grundgedanken, der hinter einem vernünftigen Klimaschutz stehen sollte: Wir begreifen doch immer mehr, dass diese Welt eine Symbiose ist – ein Zusammenspiel von Erde und Wasser, Tieren und Pflanzen, aber eben auch Menschen. Der Ansatz, den Menschen aus diesem gemeinsamen Haus einfach zu streichen – oder wenigstens zu dezimieren – denkt doch letztlich eine Welt ohne Menschen. Wir schafften uns am Ende selbst ab. Das aber ist weder die Idee des Umweltschutzes, noch vereinbar mit dem, was die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes dachten, als sie dem Schrecken des nationalsozialistischen Terrors diesen einfachen wie tiefgründigen Satz entgegenstellten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
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