Die meisten dieser Tests werden sich auf das Einordnen von auditiven, visuellen und haptischen Lerntypen beschränken. Nachdem ich im Selbstversuch mehrere solcher Tests gemacht hatte, konnte ich immer noch nicht mit Bestimmtheit sagen, zu welcher „Lerngruppe“ ich gehöre. Bei dem einen war ich klar dazu prädestiniert, mir über den „Hörkanal“ Wissen anzueignen, beim anderen wurde mir empfohlen, mich auf das haptische Erlernen zu konzentrieren. Die Misere wurde dann noch von meiner eigenen Einschätzung komplettiert, dass ich eigentlich mit geschriebenem Text immer noch am schnellsten zu meinen Lernzielen gelange.
Den Test testen
Grund genug, um das Thema Lerntypen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und auch generell kritisch zu hinterfragen. Die plausibelste Erklärung für meine unterschiedlichen Testergebnisse war natürlich die unterschiedliche Gestaltung der Tests. So gab es da einige mit vielen verschiedenen Fragen, bei dem einen scheinbar völlig zusammenhangslos gestellt, bei anderen wiederum sehr spitzfindig ausformuliert. Bei wieder anderen erhielt man eine Auswahl aus drei Immobilienbeschreibungen, aus denen man sein Traumhaus auswählen sollte. Nun sind das alles grundlegend verschiedene Herangehensweisen. Doch eines hatten sie bei genauerem Hinsehen alle gemein: Sie waren alle, egal aus welchem Buch, Magazin oder Internetseite, unseriös und konnten den Kriterien für einen kompetenten psychologischen Test nicht standhalten. So konnte ich kein entsprechendes Maß zur Reliabilität (Zuverlässigkeit), Validität (Gültigkeit) oder Eichung/Normierung finden. Allgemein wurde nur selten Bezug auf angesehene Psychologen oder psychologische Tests genommen.
Ruft die Wissenschaft auf den Plan!
Neben dem auf Frederic Vester (gelernter Biochemiker) zurückgehenden Prinzip der drei verschiedenen Typen gibt es auch noch weitaus komplexere Theorien, welche zwischen sechs bis elf unterschiedlichen Lerntypen unterscheiden. Und manche greifen auch auf Mischformen zurück. Da allerdings das Ausbleiben präziser Definitionen der vielen Lerntypen die Unterscheidung bzw. Abgrenzung stark erschwert und man sich gerade mit den Mischformen selber eingesteht, dass es so etwas wie eindeutige Lerntypen nicht gibt, ist es legitim, sich zunächst auf die Untersuchung des 3-Typen-Modells zu beschränken. Jedoch ist das meiste direkt übertragbar auf die anderen Theorien. Nach einiger Recherche im Bereich der Lernforschung fand ich Berichte von der Neurowissenschaftlerin Nicole Becker, die selbst nach langjähriger wissenschaftlicher Untersuchung die Lerntypen in ihrem Buch „Neurowissenschaftliche Herausforderungen der Pädagogik“ als „Hirngespinste“ abtut.
Ähnliche Befunde lieferten die Psychologen Krätzig und Arbuthnott. Sie untersuchten, ob es grundsätzlich Menschen gibt, die über einen bestimmten Sinneskanal besser lernen als andere. Aus ihren Daten konnten sie diese Annahme nicht bestätigen. Aber auch ganz grundsätzlich wurde über die Stringenz in Vesters Theorie nachgedacht, so kam Maike Looß zum Schluss, dass die Theorie der Lerntypen „einer Beurteilung nach logischen Kriterien nicht standhält“ und „dass auch mit kognitionswissenschaftlichen Theorien keine Übereinstimmungen bestehen. Den Begriff und das Konstrukt des „Lerntyps“ im Sinne von Vester sucht man in der kognitionswissenschaftlichen Literatur und Diskussion verständlicherweise dann auch vergeblich.“
Die Wahrheit – ein Trugschluss
Natürlich lässt sich nicht verleugnen, dass es spezielle Begabungen in der Realität gibt. Aber es ist ein Trugschluss, falls man davon ausgeht, dass jemand, der sich Melodien gut einprägen kann, auch mathematische Beweise besser durchs Zuhören versteht. Bei meinen Tests, die mir meinen wahren Lerntypen offenbaren sollten, fragten auch viele nach meiner Selbsteinschätzung. Doch ist die Selbstreflexion in diesem Falle sehr kritisch zu sehen. So wird kaum jemand verlässlich sagen können, wie er am besten lernt. Zum einen wird man nicht die verschiedenen Wege systematisch testen und vergleichen können. Was wäre überhaupt der Maßstab für das Behalten? Sinngetreues wiedergeben oder nur im Wortlaut. Und müsste sich das Maß nicht vielmehr auch an der Transferleistung auf andere Aufgaben orientieren? Zum anderen kann man allgemein kaum eine Aussage treffen, wie man am besten lernt. Denn es ist wohl unbestreitbar, dass der Lernende sich durch ein Bild eines seltenen Fisches oder des Wattenmeers am besten das wahre Aussehen vorstellen kann. Ein Text oder ein mündlicher Vortrag würde hier scheitern, und zwar bei allen Menschen, nicht nur bei bestimmten „Typen“.
Der den Lerntypen zugrundeliegende Gedanke ist, dass kognitives Lernen ein Vorgang ist, bei dem man über Sinneswahrnehmungen etwas aufnimmt und dann den Sinneseindruck im Gedächtnis abspeichert. Doch bei akademischem Lernen geht es meist um Gedankliches, nämlich Bedeutungen, Sinngehalte und Aussagen. Diese akademischen Lerninhalte sind aus sich heraus also weder visuell, noch auditiv und schon gar nicht haptisch. Wie man die Informationen jetzt verpackt, besitzt zunächst zweitrangigen Charakter. So gibt es für einige wesentliche Lerninhalte gewisse Präferenzen, jedoch wird eine absente (nicht greifbare) Information völlig unabhängig von dem Sinneskanal, der diese aufgenommen hat, abgespeichert. Der Fehler in der Lerntypentheorie liegt schlichtweg in der Verwechslung von sensorischer Aufnahme und kognitiver Verarbeitung. Konsequenterweise sollte man sich nicht fragen, in welche Kategorie man einzelne Menschen stecken kann, sondern vielmehr, welche Aufgaben und Lerninhalte sich welchem Typus zuschreiben lassen.
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