Seit Monaten wird in Deutschland über Flüchtlinge debattiert. Die einen diskutieren auf einer sachlichen Ebene und wollen den Hilfesuchenden Schutz gewähren. Andere dagegen, in besonderem Maße derzeit Anhänger von Pegida und AfD, nutzen pauschalisierende Stammtischparolen, um die Bürger auf ihre Seite zu ziehen. Unsere Autorin gibt euch Tipps, wie ihr auf Stammtischparolen zum Thema Flüchtlinge geschickt reagieren könnt.
Zunächst stellt sich die Frage: Was genau ist eine Stammtischparole?
Eine Stammtischparole ist eine politische oder gesellschaftliche Meinungsäußerung, die durch Vereinfachungen, Populismus und pauschale Schuldzuweisungen gekennzeichnet ist. Menschen, die solche Parolen vertreten, bedienen sich dabei einer herablassenden Ausdrucksweise. Sie diffamieren Personengruppen oder Einzelpersonen. Dabei verallgemeinern sie gerne und benutzen Stereotype. Sie meinen, die Wahrheit zu besitzen und versuchen dies rhetorisch zu vermitteln. Ihre Sprüche sind reine Statements, völlig unbegründet und ohne Beweise. Da „Sprüchereißer“ oder „Sprücheklopfer“ ebenfalls diffamierend ist, wird in diesem Artikel von Gesprächspartner beziehungsweise dem Diffamierenden gesprochen.
• Was will derjenige erreichen, der Andere diffamiert?
Der Diffamierende will sich mit seinen Aussagen lediglich selbsterhöhen und von anderen Gruppen abgrenzen. Dabei legen die Diffamierenden oft eine „Schwarz-Weiß-Malerei“ an den Tag, ganz nach dem Motto: „Bist du nicht für mich, dann bist du gegen mich.“ Viele wollen sich selbstdarstellen und haben ein geringes Interesse an einer Diskussion zu dem Thema.
• Wie kann ich reagieren? – Erfahrungswerte
Ich selbst bin seit mehr als einem Jahr bei Amnesty International aktiv und habe dabei auch schon Erfahrungen mit Diffamierungen jeglicher Art gemacht. Sehr aufschlussreich war für mich ein Workshop von Amnesty mit Tipps, wie man auf Stammtischparolen reagieren sollte. Am Ende des Seminars übten wir alle die Tipps durch ein Rollspiel ein, wobei einer der „Sprüchereißer“ war, der andere dagegen hat argumentiert und einer war Beobachter.
• Was meinst du damit? Nachfragen
Anhänger von Pegida demonstrieren in den verschiedensten Städten Deutschlands mit Slogans wie „Für die Erhaltung unserer Kultur.“ Dabei kannst du deinen Gesprächspartner zum Nachdenken bringen, indem du seine Aussagen hinterfragst. Was kennzeichnet die deutsche Kultur? Durch deine Fragen weist du deinen Gesprächspartner auf seine Widersprüche und absurde Aussagen hin.
• Ruhig bleiben
So schwer es einem auch manchmal fällt, versuche deinem Gesprächspartner gegenüber ruhig zu bleiben. Bist du ruhig, dann muss sich dein Gesprächspartner auf dich konzentrieren. Dadurch erhältst du viel mehr Aufmerksamkeit.
• Mit Fakten taktisch punkten
Viele Bürger informieren sich leider nur sehr einseitig über das Weltgeschehen und schauen nicht über ihren Tellerrand. Oft bin ich schon der Behauptung begegnet, dass alle Flüchtlinge in Deutschland nur Wirtschaftsflüchtlinge sind und sich im deutschen Sozialsystem ins gemachte Nest setzen. In diesem Fall entgegne ich meinem Gesprächspartner, dass man die Gründe zur Flucht aus der eigenen Heimat nicht pauschalisieren sollte.
Die meisten Flüchtlinge im Jahr 2014 in Deutschland stammen, laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zu über 28 Prozent aus Syrien und flohen vor Bürgerkrieg und dem blutigen Regime Assads. Laut der neusten Bertelsmann-Studie stimmt es zwar, dass die Flüchtlinge zunächst Leistungen aus dem Sozialsystem beziehen. Erhalten die Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis, zahlen sie allerdings auch Lohn-, Einkommenssteuer und Sozialabgaben. Viele Flüchtlinge kommen mit einer sehr guten Berufsausbildung nach Deutschland, davon können auch wir profitieren. Flüchtlinge zahlen statistisch gesehen mehr in das Sozialsystem ein als sie beziehen.
Es hilft sehr, wenn du die eigene Argumentation mit Fakten untermauerst, die auch nachweisbar sind. Viele Organisationen wie PROAsyl, Amnesty International, Human Rights Watch und Bundesämter veröffentlichen regelmäßig überprüfte Fakten über Menschenrechtsverletzungen und Flüchtlinge. Dabei musst du jedoch bei deiner Argumentation taktisch klug vorgehen und die Fakten richtig dosieren. Sonst verfällst du leicht in die Rolle des Oberlehrers und der Diffamierende schaltet auf Durchzug.
• Schaffe einen persönlichen Bezug zum Thema
Um die Flüchtlingsrechte in Europa zu stärken, habe ich Unterschriften für eine Petition von Amnesty International gesammelt. Dabei bin ich leider nicht immer auf Zustimmung der Passanten getroffen und habe versucht, sie zu überzeugen. Oft habe ich meine Gesprächspartner überzeugen können, indem ich einen Bezug zu ihrem Leben hergestellt habe. Wie würde es dir gehen, wenn du quer durch die Wüste fliehen musst, dich einem Schlepper anvertraust und auf einem Schiff vergleichbar mit einer Walnussschale durch das Mittelmeer fährst, immer mit der Angst zu ertrinken im Hinterkopf. Auch hierbei ist Fingerspitzengefühl gefragt, da Erwachsene meiner Erfahrung nach sich von jüngeren Menschen leider oft nichts sagen lassen wollen.
Man kann die Menschen daran erinnern: Zu den Zeiten des Dritten Reichs mussten aus Deutschland Millionen Menschen fliehen und befanden sich so in der gleichen Situation wie Flüchtlinge heute aus Syrien, Irak und vielen anderen Ländern der Welt. Nur leider wollen ein paar Leute heute nichts mehr davon wissen und verschließen sich den Flüchtlingen heute völlig. Beachte die Lebensumstände deines Gesprächspartners. Wenn dein Gesprächspartner beispielsweise von der Thematik selbst betroffen ist, wird er ganz anders reagieren.
• Lass dich nicht ablenken
Setze dich erstmal mit einer Parole auseinander und diskutiere diese mit deinem Gesprächspartner. Er versucht in der Regel zunächst alle seine Sprüche rauszuhauen, damit du ihm nichts mehr erwidern kannst. Konzentriert du dich aber darauf auf die erste Aussage Argumente zu finden, ist es viel leichter, dass du das Gespräch anführst.
• Setze deinen Gesprächspartner nicht herab
Auch wenn es sehr schwer sein kann, so viele diskriminierende Parolen auf einmal zu hören, setze deinen Gesprächspartner nicht herab. Unterscheide zwischen seiner Person und seinen Ansichten. Ansonsten verhärtet das nur die Fronten.
• Nimm deinen Gesprächspartner ernst
Vielleicht hat dein Gesprächspartner einmal Recht, dann widerspreche ihm auch nicht. Sonst fühlt sich der andere nicht als sinnvoller Gesprächspartner ernst genommen. Es gibt Flüchtlinge, die stehlen oder andere Straftaten begehen. Versuche besser deinen Gesprächspartner darauf hinzuweisen, nicht zu pauschalisieren. Straftaten werden auch genauso von Deutschen begangen.
• Such dir Verbündete
Diskutierst du mit einer Gruppe und fühlst dich, als würdest du mit deinem Gesprächspartner wie mit einer Wand sprechen, dann wende dich an die anderen Gruppenmitglieder und versuche diese zu überzeugen. Oft ist es viel einfacher, die Mitglieder einer Gruppe anstelle ihres „Sprechers“ zu überzeugen.
• Wenn nichts hilft, das Gespräch beenden
Leider gibt es aber auch immer wieder Leute, die sich von nichts überzeugen lassen. Dann ist es besser du gehst, bevor die Situation eskaliert.
Zum Schluss habe ich noch Informationsmöglichkeiten für euch herausgesucht:
Die aktuellen Zahlen über Flüchtlinge in Deutschland bietet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:
http://www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Asylzahlen/asylzahlen-node.html
Interessante und wichtige Informationen über das Asylverfahren in Deutschland erfahrt ihr auf der Homepage von PROAsyl: http://www.proasyl.de/
Diese Broschüre von PROAsyl und der Amadeu Antonio-Stiftung enthält viele gute Argumente bei einer Debatte über Flüchtlinge:
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2014/Broschuere_Pro_MR_Contra_Rassismus_Web.pdf
Ernesto Lukschik
Der Link zu den aktuellen Zahlen über Flüchtlinge in Deutschland des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist tot und führt zu einer Fehlermeldung, weil die aktuellen Zahlen monatlich erneuert werden und die alten Zahlen in entsprechende monatsbezogene Dokumente verschoben werden. Um aktuelle und zurückliegende Zahlen sowie die letzte Halbjahres-Zusammenfassung und den Vorjahres-Rückblick abzurufen, ist von dieser Seite auszugehen: http://www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Asylzahlen/asylzahlen-node.html und von dort aus das gewünschte Dokument zu wählen.
Timo Gadde
Haben wir soeben aktualisiert. Danke für den Hinweis!
Alex
Super…. vielen Dank für diesen Artikel…. vieles ist einem zwar so schon klar und habe ich in abgewandelter Form auch bereits praktiziert, zwar nicht im “Stammtisch” dafür im Facebook, wo einem so hübsche Theorien entgegenkommen wie “90% aller Flüchtlinge seien Wirtschaftsflüchtlinge”,
Es ist manchmal erschrecken wie viele sich so äußern, ob von sich aus oder eingewickelt von der scheinbaren, jedoch verkützten Logik, solch brauner Rethorik……
robert
Schöner Artikel!
Nur eine Anmerkungen: Das “blutige Assad Regime”. Kann man meines Erachtens nicht guten Gewissens so stehen lassen. Ich empfehle: http://diewirklichewirklichkeit.com/2015/08/03/baschar-al-assad-vom-freundlichen-augenarzt-zum-schlaechter-von-damaskus-in-nur-zwei-monaten/
Man beachte die gute Quellenarbeit.
Katharina
Die Aussage, dass die einen auf einer sachlichen Ebene diskutieren und den Hilfesuchenden Schutz gewähren wollen, andere dagegen in besonderem Maße Anhänger von Pegida und AfD pauschalisierte Stammtischparolen nutzen, um Bürger auf ihre Seite zu ziehen, finde ich sehr pauschalisierend.
Die größte Gruppe, die auf sachlicher Ebene diskutieren und nach Lösungen sucht, die Einwanderung zu bremsen, wird gar nicht erwähnt.
Gibt es hier auch nur Schwarz und Weiß?
Ich finde es viel zu kurz gedacht, was hier geschrieben wird. Lösungsorientiertes Denken kommt im Moment viel zu kurz, und gerade das hilft den Einwanderern (und auch den Flüchtlingen – denn das sind ja bei weitem nicht alle) doch viel mehr.
Es hilft niemandem, die Deutschen in 2 Lager zu teilen, denn das ist nicht richtig. Wer sich sorgt um die Zukunft dieses Landes und nach wirklichen Lösungen sucht, übernimmt m.M nach mehr Verantwortung als alle, die die falsche Teilung vornehmen. Helfen heißt nicht, diese Situation der Flüchtlingsschwemme gutzuheißen!
Walter Koppe
Zum Thema Kulltur: Der Unterschied zwischen jenen, die vorgeben, sie seien für die Erhaltung unserer Kultur, also einem Land der Dichter und Denker, und dem was typische Pegida-Anhänger äußern, ist oft gewaltig. Kulturell engagierte sind nach außen hin offen und neugierig – weil sie wissen, nur so funktioniert inneres Wachstum. Die meisten der sog. Kulturverteidiger schotten sich jedoch Neuem gegenüber ab, haben nie Goethe, Schiller, auch Marx, Hesse, oder Brecht, … gelesen.
sog. Wirtschaftsflüchtlinge gibt es ja auch innerhalb der EU. Da Deutschland stolz auf seine Wettbewerbsfähigkeit ist, sollte sich keiner über niederkonkurrierte Wirtschaften und damit Arbeitsimmigranten wundern. Dabei zahlen vor allem die deutschen Billiglöhner die Rechnung doppelt, weil sie auch noch für die niederkonkurrierten Wirtschaften zahlen dürfen. Vor einiger Zeit galt “Flexiblität” als Losung für junge Berufseinsteiger auch in Deutschland als essentiell, und ist auch in Südländern der EU legal. Wir bräuchten anstatt stetig wachsender Exportüberschüsse eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Doch das Gegenteil ist geplant; wenn etwa mit TTIP & Co der Handel zwischen den USA und der EU zulasten Afrikas, … fortgesetzt wird.
Die Bertelsmann-Stiftung ist leider Teil des Problems. Beim eigentlichen Geschäftsmodell geht es um Privatisierungen und Renditen auf Kosten der anderen; damit der weiter wachsenden Schere zwischen Arm und Reich, mit den entsprechenden Folgen.
Die Aussage: Ausländer wären Kriminell beantworte ich immer damit, dass Arme eher bei Reichen einbrechen als Reiche bei Armen. Und je größer der Unterschied zwischen Arm und Reich wird, desto stärker steigt die Kriminalität. Diese Logik hat erstmal kaum mit Nationen zu tun, und verkehrt sich ins Gegenteil, wenn es um die Schadenssummen geht, wenn nämlich Steuerflucht, Finanzverbrechen, und vor allem Lobbyismus mit eingepreist wird, welcher fast immer zum Schaden aller sozial Schwachen geht. Aber Unten lässt sich viel lieber gegen Unten ausspielen als die grundsätzliche Politik in Frage zu stellen, damit die Gründe der Flucht.
Peter Puperze
Der Artikel ist ein absolutes Highlight. Generall sollte man Stammtische abschaffen! Auf Stammtischen wird auch so gut wie nie etwas gutes über Flüchtlinge gesagt. Dennoch ist der Artikel sehr sehr lesenswert und sehr sehr sehr differenziert!
Rosa-Wunde Rosette
Toller Artikel!
Sehr lesenswert! Das Niveau hier überzeugt! Viele Grüße aus Mannheim!
Rosa-Wunde