Unsere Autorin tauschte sich mit Anni über die Frage aus, was sie in ihrem Leben bisher bereut hat. Ein Gespräch über Chancen und Fehlentscheidungen.
Frieda: Liebe Anni, ich habe mich ja nun schon mit mehreren Gesprächspartnern über die spannende Frage ausgetauscht, was sie in ihrem Leben bereuen. Als Antwort erhielt ich: „Ich habe es verpasst, mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, ich habe mich während meiner Lebzeit nicht darum gekümmert, was passiert, wenn ich sterbe und jetzt suche ich verzweifelt nach Antworten oder ich bereue, dass ich nicht Frieden mit meinem verschiedenen Bruder geschlossen habe.“ Was bereust du, Anni?
Anni: Bereuen verbinde ich erst einmal mit einem Gefühl der Traurigkeit oder gar Wut, etwas Falsches oder Unzureichendes getan zu haben. Oder besser gesagt, etwas Gutes nicht getan zu haben. Vielleicht hätte ich fundiertere Entscheidungen in meinem bisherigen Leben treffen können. Ich komme da schnell in ein Konjunktiv-Denken hinein oder auch in eine Selbstverurteilung. Mir ist es wichtig, dass ich aus meinem Fehlverhalten Einsichten und Erkenntnisse gewinne, die mich in Summe reifen lassen.
Frieda: Das heißt, du siehst im Bedauern eher eine Chance, innerlich zu wachsen?
Anni: Ja, ich empfinde öfters ein innerliches Bedauern und frage mich, warum, wie und was passierte. Aber dann blicke ich vorwärts und suche nach Lösungsstrategien.
Frieda: Hast du konkrete Beispiele dafür, was du bedauerst und welche Lösungen dir eingefallen sind?
Anni: Was ich zum Beispiel sehr bereue, ist mein schweres Gepäck, das ich seit Kindheitstagen mit mir herumschleppe. Damit meine ich nicht nur Materielles, sondern auch tiefe Überzeugungen, die mir das Leben schwer gemacht haben. Zum Beispiel habe ich mir nie erlaubt, großartig zu reisen, aus der Überzeugung heraus, dass Reisen immer teuer sein muss. Deshalb blieb ich viel zu Hause. Doch dann bekam ich mit, dass Freunde von mir sehr spontan reisten und auch mit kleinem Geldbeutel loszogen. Das probierte ich auch aus und entlarvte meine bisherige Überzeugung als Lüge. Was ich sonst noch bereue, ist, dass ich viel Zeit damit verschwendet habe, darüber nachzudenken, was andere Leute über mich denken. Auch habe ich mich an vermeintlichen Sicherheiten festgehalten, die sich letztlich als ein abgeschnittenes Seil entlarvten und ich folglich hart auf dem Boden aufstieß.
Frieda: Das hört sich schmerzhaft an. Was waren das für vermeintliche Sicherheiten?
Anni: Ich habe mein Vertrauen stark auf bestimmte Menschen in meinem Umfeld gesetzt. Ich erwartete von ihnen Liebe und Geborgenheit. Ich habe sozusagen bei ihnen Bestätigung und auch gelegentlich Bewunderung gesucht. Das bereue ich, dass ich nicht mehr mich selbst gelebt habe.
Frieda: Was war die Lösung dafür?
Anni: Bisher war ich nur bei Aktivitäten dabei, bei denen ich wusste, dass ich kompetent genug dafür war, zum Beispiel beim Joggen in einer Gruppe. Federball spielen konnte ich absolut gar nicht. Trotzdem spielte ich in einer Gruppe mit und obwohl eine Frau zu mir meinte, dass sie kaum jemand so schlecht bisher spielen gesehen hätte wie mich, zuckte ich mit den Schultern und verarbeitete den Schmerz in mir in einer ruhigen Minute. Meine Welt brach nicht mehr so schnell zusammen, wie ich das bisher erlebte bei schrägen Kommentaren.
Frieda: Gibt es sonst noch Entscheidungen, die du bereust?
Anni: Ich stand mir öfters selbst im Weg, ohne zu wissen warum. Später entdeckte ich, dass ich sehr schienenartig denke.
Frieda: (grinst) Schienenartig?
Anni: (schmunzelt) Ja, meine Gedanken sind manchmal wie so eine Bahnschiene in einem Tunnel und ich lasse überhaupt keine anderen Überlegungen zu. Wenn ich an meine Abiturientenzeit denke, war es mir kristallklar, dass ich danach studiere. „Wer paukt für ein Abi, ohne danach zu studieren?“, war meine Überzeugung. Später habe ich es bereut und überlegt, warum für mich eine Ausbildung überhaupt nicht infrage kam? Auch war für mich total klar, dass ich heirate und Kinder bekomme. Ich ging auf Bedingungen ein, die ich später bereute. Ich machte mich abhängig, auf eine Art, die ich nicht wollte. So zogen wir als Familie vorschnell zum Beispiel in ein Haus ein, das sich später als Desaster herausstellte. Ich bereue manchmal nicht mehr, in die Stille gegangen zu sein, bevor ich eine Entscheidung traf.
Frieda: Wie gingst du damit um, wenn du einen ähnlichen Fehler wieder gemacht hast?
Anni: (lacht laut) Ich mache so viele Fehler! Und mittlerweile gebe ich mir ausdrücklich die Erlaubnis dazu. „Ein wenig Lachen über sich selbst gehört dazu“, gab mir eine Freundin mal als Tipp. Das passte zunächst gar nicht zu meinem ernsthafteren Wesen, aber mit der Zeit erkannte ich einen wahren Kern in der Aussage.
Frieda: Heißt das vielleicht, dass du heute gar nicht mehr so viel zu bereuen hast, weil du mehr in der Erlaubnis lebst, Fehler machen zu dürfen, auch falsche Entscheidungen treffen zu dürfen?
Anni: Ja! Ich bringe da auch mein Gottvertrauen mit und denke, dass er mit seinem gnädigen und erbarmenden Wesen all die schlechten Dinge und auch meine Fehltritte zum Guten hinführen wird, sodass am Ende alles gut wird.
Frieda: Das tröstet dich und rückt dein Bedauern in ein anderes Licht?
Anni: Ja, genau. Meine Perspektive verändert sich. Ich hatte wirklich immer wieder tiefe, verzweifelte Momente, weil ich so im Bedauern und in einer hohen Erwartungshaltung an mein Umfeld feststeckte, sodass ich mich ständig von Schuldgefühlen erdrückt fühlte. Heute übernehme ich mehr Eigenverantwortung und sehe mich mehr als Teil eines großen Ganzen.
Frieda: Das hört sich für mich wie eine innere Versöhnung an. Nimmst du das so wahr?
Anni: Ja, aber ich glaube, das ist kein Status quo, sondern ich entscheide mich täglich neu für diese innere Haltung. Vielleicht kann ich es zusammenfassen: Ich bin maßgeblich an der Gestaltung meines Lebens beteiligt. Ich nehme die Zügel mutig in die Hand. Ich versuche nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Ich übernehme Verantwortung für meine Fehler und bitte um Verzeihung.
Frieda: Das hört sich für mich gesund an. Wir haben, menschlich gesehen, nicht alles in der Hand, oder?
Anni: Ja. Das stimmt. Es gibt auch Gegebenheiten, die erst einmal außerhalb unserer Kontrolle liegen. Vielleicht sage ich das noch zum Abschluss unseres Gespräches. Ich habe oft meine Worte bereut, also das, was ich sagte. Nach einem Gespräch mit einer Person überlegte ich dauerhaft, ob ich etwas Falsches gesagt oder die Person vielleicht verletzt habe. Heute lasse ich das Gehörte meines Gesprächspartners in seiner Hand. Ich drücke überlegt aus, was ich sagen will und doch löst es vielleicht bei meinem Gegenüber etwas Anderes aus und er oder sie dekodiert meine Worte aus seiner beziehungsweise ihrer bisherigen Erfahrungswelt. Dafür bin ich aber dann nicht verantwortlich.
Frieda: Da hast du aber schon vieles für dich reflektiert!
Anni: Ja stimmt (lacht). Das ist doch vielleicht auch eine unserer Lebensaufgaben, oder?
Frieda: Ja, bestimmt. Ich danke dir für unser Gespräch und wünsche dir alles Gute weiterhin!
Anni: Danke, Frieda. Dir auch!
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