Gute Reisepartner sind leider selten. Bei manchen wünscht man sich, es gebe eine Lizenz zum Verreisen. Ein Erlebnisbericht.
Es ist Nacht in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh und ich sitze gedankenverloren am Tisch einer kleinen Garküche. Ein aufkommender Wind vertreibt die unerträglich schwüle Hitze und kündet vom bald kommenden Monsun. Von links höre ich das Zischen eines Woks. Gekonnt schiebt eine junge Köchin das gare Gemüse darin umher, reißt eine Packung Nudeln auf und schüttet den Inhalt in die Metallschale. Um uns herum konkurrieren die Leuchtreklamen fragwürdiger Massagestudios miteinander. Ich schaue auf die andere Straßenseite und sehe einem älteren Mann dabei zu, wie er im Müll nach Aluminiumdosen wühlt, die von Wertstoffhöfen gekauft werden. Ein Arm schiebt sich vor mein Gesicht. Die Köchin stellt mein Essen auf den Tisch. Ich bedanke mich auf Khmer, der Landessprache, was sie zum Kichern bringt.
Coke or beautiful girl?
Ich bemerke beim Essen, wie die Straße fast menschenleer wird. Tuk-Tuk-Fahrer hängen jetzt an ihr „Hello my friend, where are you going?“ gerne noch ein „You want coke (Kokain) or beautiful girl?“. Auch Raubüberfälle gehören nach wie vor zum Allnachtsgeschehen. Ich höre lautes, ungezwungenes Lachen. Eines der Massagestudios hat offenbar Schichtwechsel. Mindestens ein Dutzend Frauen in Hotpants und Tops bewegt sich jetzt auf die Garküche zu. Ehe ich mich versehe, sitze ich auch schon in der plaudernden Runde. „Hey handsome boy!“, ruft eine und ich will vor Scham im Boden versinken. Die Frauen übergehen meine Nervosität. Woher ich sei? Aus Deutschland, antworte ich im brüchigen Khmer. Große Aufregung am Tisch. „You speak Khmer??“ Einige jüngere Frauen kichern und versuchen offensichtlich, mit mir zu schäkern; bis die älteste und offenbar respektabelste am Tisch sie zum Schweigen bringt. Milde lächelnd kramt sie ihr Handy heraus und zeigt mir ein Foto. „My husband. My daughter“. Ich lächle zurück und kann mich plötzlich wieder entspannen. Das Eis ist gebrochen.
Es ist bereits nach Mitternacht, bis ich wieder alleine am Tisch sitze. Die Köchin grinst mich an und meint „He will be here soon“. „He“ ist ihr gleichaltriger Ehemann, der als Tuk-Tuk-Fahrer zusätzlich Geld verdient. Kennengelernt habe ich das Paar als Kunde, nun bringen sie mir bei jeder Gelegenheit Khmer bei. Hinter mir höre ich das Knattern seines Mopeds. Der Neuankömmling und die Köchin werfen sich einen kurzen, liebevollen Blick zu. Dann begrüßt er mich und will lachend wissen, ob ich denn genug zu essen bekomme; wobei seine Frau vor gespielter Entrüstung aufschreit. Mein abendlicher Sprachkurs dauert nie sehr lange. „Tnjai sai“ versuche ich das Wort für „morgen“ auszusprechen. Das Paar prustet vor Lachen. „Tgnai s ́ai“ soll es heißen. Ich lasse meinen Kopf vor Erschöpfung auf die Tischkante sinken, lege meinen Stift hin und wir fangen, wie so oft, damit an über das Leben zu sprechen. Ich erfahre dabei manches über den harten Alltag einer kambodschanischen Familie, obwohl beide sich hüten, Geld zu thematisieren. Wie ich später erfahre, will man nicht den Eindruck wecken, dass man von mir Almosen erwarten würde. Wenn sie mir von Armut und kaum bezahlbaren Medikamenten erzählen, sind ihre Gesichter starr.
Sie sind so glücklich!
Ich will gerade für das Essen bezahlen, da erscheint eine Gruppe junger, gut gelaunter Touristen für einen Mitternachtsimbiss. Eben noch ernst, lächelt das Paar ab jetzt ununterbrochen, ihre Gesichter wie aus einem Reiseführer. Es dauert nicht lange, bis wir miteinander ins Gespräch kommen. Die Gruppe erzählt von ihrem mehrwöchigen Backpacking – in dessen Verlauf sie sich erst kennengelernt haben – und den bisherigen Eindrücken. Traumhafte Strände gebe es hier! Aber nichts im Vergleich zu den ländlichen Provinzen. Dort könne man noch immer den alten, kambodschanischen Flair fühlen. Sicher, es gebe noch Landminen aus der Bürgerkriegszeit. Die Opfer ohne Gliedmaßen? Ja, die seien schon sehr bemitleidenswert. Aber die Menschen seien alle so glücklich. Als Ausländer würde man immer angelächelt und die Kinder winken andauernd. Bestimmt läge das an ihrer Armut. Arme Menschen seien bekanntermaßen viel glücklicher, weil sie ja nichts besäßen, was sie verlieren könnten. In den Städten sei das schon anders. Hier hätten die Leute mehr und seien geldgeil. So wie die Tuk-Tuk-Fahrer, die uns Ausländer ständig betrögen. Zwei Dollar müsse man mehr zahlen als Ausländer, eine Frechheit sowas! Schade sei außerdem, dass es hier so dreckig sei. Die Menschen hätten einfach kein Gespür für die Umwelt. Von der Körperpflege ganz zu schweigen.
Tatsächlich schweige ich. Ich sehe das junge Paar, wie sie beide lächelnd neben dem Herd stehen und nichts sagen. Stelle amüsiert fest, dass uns verschwitzten Ausländern ein deutlich markanterer Körpergeruch anhaftet, als den Einheimischen. Ich will endlich bezahlen und ziehe einige Scheine aus der Tasche, aber das Paar winkt ab. „It ́s fine. You look very tired, you can pay tomorrow and go to bed now.“ Ich falte meine Hände vor der Stirn zum Abschied. Gruppenreisen? Vorerst lieber nicht.
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