Ich liebe sie: Zuggespräche jeglicher Art. Zugfahren ist die perfekte Gelegenheit, um mit fremden Menschen wunderbare Gespräche zu führen. Ob eine Unterhaltung mit einer Expertin über Corona, ein lustiger Austausch auf Spanisch oder ein ernstes Gespräch über Magersucht – jedes Gespräch ist eine wertvolle Erfahrung und macht glücklich.
Wie so oft trat ich als Studentin vor knapp zwei Monaten meine Fahrt zurück nach München an. Dabei fiel mir auf, dass eine Dame schräg gegenüber von mir einen Mundschutz trug. Damals hatte man in Deutschland vom Corona-Virus vor allem in Bezug auf China gehört; dass es auch hier ausbrechen könnte, erwartete noch keiner. Ich wunderte mich deshalb, wieso die Dame einen Mundschutz trägt. Etwa wegen des neuartigen Virus? Nach einer Weile fragte ich schließlich: „Haben Sie diesen Mundschutz eigentlich wegen Corona an?“ Und schon waren wir im Gespräch. Wie die Dame mir erzählte, litt sie an einer Lungenerkrankung. Deshalb würde es für sie tödlich enden, sollte sie an Corona erkranken.
Zudem verfügte die Dame über viele medizinischen Kenntnisse: Sie hatte Ahnung, ich hatte Interesse – die perfekten Voraussetzungen für ein Gespräch. Im Laufe der Zugfahrt klärte sie mich über das Corona-Virus, Viren im Allgemeinen, Grippewellen sowie die Übertragung und die Schwierigkeit beziehungsweise Unmöglichkeit der Verhinderung der Übertragung von Viren auf. Ihre Aussagen belegte sie dabei mit diversen Zahlen und Daten. Es war verblüffend, was die Dame alles wusste.
Deshalb fragte ich sie nach einer Weile, als was sie denn arbeiten würde. Sie sagte, sie arbeite an einer österreichischen Uniklinik, sei aber keine Ärztin – mehr verriet sie mir nicht. Außerdem war sie davon überzeugt, dass sich Corona auch in Deutschland nicht aufhalten lassen und es zu gravierenden Auswirkungen kommen würde – sie sollte Recht behalten. Gegen Ende meiner Zugfahrt konnte ich der Dame dann auch noch behilflich sein, indem ich die Ankunftszeit ihres Anschlusszuges ermittelte.
Nach der Zugfahrt war ich glücklich. Überglücklich. Ja, ein einfaches Gespräch im Zug hatte mich glücklich gemacht. Mit einer völlig fremden Dame habe ich ein so wunderbar interessantes Gespräch geführt, viel Neues dazu gelernt, der Dame und mir eine unterhaltsame Zeit beschert und ein Stückchen mehr von der Welt entdeckt. Wie bereichernd eine Zugfahrt doch sein kann!
Wie es zu einem herrlich-verrückten Gespräch auf Spanisch kommen kann
Und ehrlich gesagt: So geht es mir oft. Vor einiger Zeit fuhren eine Freundin und ich im Barcelona-Urlaub mit dem Zug. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, über den lustigen Kugelschreiber mit Wackelfigur, den der mir gegenübersitzende Mann, der etwa Anfang 30 war und ebenfalls mit einem Freund unterwegs war, in der Hand hielt, zu schmunzeln. Grinsend entschuldigte ich mich deshalb in meinem mehr oder weniger guten Schulspanisch: „Lo siento, solo me estoy riendo de tu boli.“ („Entschuldigung, ich lache nur über deinen Kulli.“) Das wiederum fand der Mann sehr lustig – und schon waren wir im Gespräch. Auf Spanisch natürlich!
Diese hervorragende Gelegenheit nutzte ich zum Einen, um mein Spanisch etwas anzuwenden – wann hat man schon die Möglichkeit, sich mit Muttersprachlern zu unterhalten?! Zum Anderen erweiterte ich mein Wissen über Spanien und Barcelona. Meiner Erfahrung nach sind Einheimische nämlich die authentischste Quelle, weshalb ich am liebsten ihnen Fragen über das Land stelle. So kam es, dass ich mich mit den beiden Männern über die spanische Wirtschaft und Landwirtschaft, die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens (Barcelona ist die Hauptstadt), Katalan, die zweite dort gesprochene Sprache und die Arbeit der Männer unterhielt.
Meine Freundin, die zwar kein Spanisch, aber dafür sehr gutes Französisch spricht, verstand lustigerweise fast alles. Schließlich stellte sich heraus, dass nicht nur sie, sondern auch einer der Männer Französisch sprach, sodass nun auch die beiden ins Gespräch kamen. Eine herrlich-verrückte Situation! Wir kannten uns nicht, sprachen nicht einmal dieselbe Muttersprache und doch konnten wir so tolle Gespräche führen. Insgesamt unterhielten wir uns über eine Stunde lang, bevor wir leider aussteigen mussten – ansonsten hätten wir sicher noch Gesprächsstoff für zwei weitere Stunden gehabt.
Ein ehrliches und offenes Gespräch über Magersucht
Häufig bin ich auch schon über Bayern-Ticket-Teilen ins Gespräch gekommen. Als Studentin freue ich mich, wenn ich mir den ein oder anderen Euro sparen kann. Deshalb teile ich mir gelegentlich ein Bayern-Ticket. Manchmal kommen Leute auf mich zu, manchmal quatsche ich selbst Leute an – und schnell sind wir eine Fahrgemeinschaft, die sich das Bayern-Ticket teilt. Dann muss man natürlich absprechen, wer wo hin muss, oder dem, der das Geld ausgelegt hat, seinen Anteil geben – und das geht dann oft fließend in ein Gespräch über. So bildete ich einmal mit drei anderen jungen Frauen eine Fahrgemeinschaft. Anfangs fiel mir auf, dass eine meiner Mitfahrerinnen sehr dünn war und offensichtlich Magersucht oder eine andere Krankheit haben musste. Wir verstanden uns auf Anhieb alle ziemlich gut und jede erzählte ein bisschen über sich.
Irgendwann vertraute uns die Mitfahrerin, die mir zu Beginn aufgefallen war, an, dass sie Magersucht habe. Daraufhin erzählte meine Sitznachbarin, dass sie vor wenigen Jahren selbst an Magersucht erkrankt war, jetzt aber wieder gesund sei. Sie gab viele Einblicke wie etwa in ihre damalige Denkweise, den Prozess ihrer Heilung und wie es ihr heute geht. Alles auf eine sehr ehrliche und offene Weise. Ich war tief beeindruckt, wie sie über das Thema sprechen konnte und damit meinen Horizont erweiterte. Aber davon abgesehen – und das ist viel wichtiger – schienen die Erzählungen auch der Mitfahrerin mit Magersucht Mut, Hoffnung und Entschlossenheit zu verleihen. Diese eindrucksvolle Begegnung werde ich wohl nie vergessen.
Gespräche mit älteren Menschen
Ach, ich könnte noch viel erzählen… Besonders wertvoll finde ich es auch, mit älteren Menschen Gespräche anzufangen. Sie sind oft einsam und freuen sich deshalb besonders, wenn ihnen jemand Aufmerksamkeit schenkt, zuhört und ein paar nette Worte für sie hat. Häufig haben sie interessante Lebensgeschichten, von denen sie gerne erzählen, und wollen über ihre Kinder oder ihren Alltag sprechen. Ich finde es immer wieder schön, zu erfahren, wie ein Leben verlaufen und aussehen kann. Bereichernd ist es für mich insbesondere, wenn ich ältere Menschen kennenlerne, die mir weise erscheinen – das schätze ich sehr.
Was die Zukunft noch bringen wird
Nach all diesen herrlichen Erfahrungen bin ich gespannt, was mir die Zukunft noch zu bieten hat. Welche Zuggespräche werden mich noch glücklich machen? Welche fremden Menschen werde ich noch kennenlernen? Mit welchen von ihnen werde ich noch lachen über ernste Themen sprechen? Wie freundlich, interessant, tiefgründig, ehrlich, offen, beeindruckend und verrückt werden unsere Gespräche sein? Schon bei der Vorstellung strahle ich über das ganze Gesicht! Denn ich bin mir sicher: Die Zukunft wird mir noch weitere wunderbare Zuggespräche bringen.
PS.: Gute Gespräche mit fremden Menschen kann man sich übrigens nicht nur im Zug, sondern auch im Café, in der Warteschlange, nach der Kirche, mit dem Sitznachbarn, in der Uni, am Flughafen, im Wartezimmer und an vielen weiteren Orten führen. Sei wachsam und offen!
Schreibe einen Kommentar