Studium, Arbeit, Freundin, Sport – und erholen sollte man sich auch. Als wäre das Leben nicht Herausforderung genug, gibt es Menschen, die sich zusätzlich in NGOs oder örtlichen Vereinen engagieren – und dafür nicht einmal bezahlt werden wollen. Warum tut man das freiwillig?
Sind ehrenamtlich Engagierte einfach die besseren Menschen, oder haben sie vielleicht nur etwas verstanden, was andere nicht erkannt haben? Arbeiten sie tatsächlich gratis, oder erhalten sie vielleicht doch eine Gegenleistung, die weniger offensichtlich als ein Gehalt ist? Während meines Engagements bei Aiesec habe ich Antworten auf diese Fragen gefunden.
Gesellschaftliches Engagement ist nichts für sozial Orientierte, sondern für jedermann
Aiesec ist eine internationale, studentisch organisierte Nicht-Regierungs-Organisation. Ihr Ziel ist es, gegenseitiges Verständnis durch interkulturellen Austausch, wie etwa bei Sozialprojekten oder Praktika im Ausland, zu fördern. „It is an instrument for bringing more peace to the world“, wie der Gründer Jean Choplin auf dem Mitglieder-Kongress 2018 in Bielefeld sagte.
In den meisten größeren Städten ist Aiesec vertreten und so schloss ich mich dem Kölner Lokalkomitee an. Der Anfang war beschwerlich, da das Engagement viel Zeit in Anspruch nahm. Meine bis dahin eher lockere Kalenderführung reichte auf einmal nicht mehr aus, um alles unter einen Hut zu bringen. Andere Mitglieder empfahlen mir daraufhin verschiedene Zeitmanagement-Apps, mit denen ich mein Zeitmanagement effizienter gestalten konnte. Die Mitglieder und später Freunde waren Studenten aus den verschiedensten Bereichen: Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Sprachwissenschaften, einige Lehramts- und sogar zwei Informatikstudenten. Spannend waren außerdem die verschiedenen kulturellen Hintergründe von manchen. Von Südkorea und China über den Iran, die Türkei, Polen und Frankreich nach Ecuador und Brasilien, vom Schwabenland bis Schleswig-Holstein – es gab wenig, das es nicht gab.
Public Speaking
Bevor ich dem Lokalkomitee in Köln beitrat, wurde ich gefragt, was ich selbst als Mitglied gerne lernen möchte. Meine Antwort war, vor Publikum zu sprechen. Aiesec warb viel an der Uni und in Vorlesungen, da die Professoren relativ entgegenkommend waren und gerne fünf Minuten ihrer Redezeit an uns abtraten. Innerhalb eines halben Jahres machte ich zwanzig sogenannte „Lecture Presentations“, kurze Vorträge in den Hörsälen vor einem Publikum von 20 bis 200 Zuhörern.
Sozial oder egoistisch
Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Vortrag erinnern. Er war im Hörsaal 1 der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität, der ungefähr 200 Leute fasst. Da es sich um eine Grundlagen-Vorlesung handelte, waren auch tatsächlich 200 BWL-Studenten anwesend. Diese hörten von Konzepten wie dem „homo oeconomicus“, dem Eigennutzen-orientierten Menschen. Um Personen für ein Ehrenamt zu gewinnen also ein durchaus kritisches Publikum.
Den inneren Schweinehund überwinden
So stand ich nun vor 200 Leuten, die sich alle lautstark unterhielten, mit hochrotem Kopf und schwitzigen Händen. Allerdings hatten wir im Komitee im Vorhinein eine Übung gemacht, dank derer ich mich beruhigen konnte und es schaffte, größere Katastrophen zu vermeiden.
Als ich den Hörsaal verließ, war ich extrem erleichtert, aber auch stolz. Trotz meiner Nervosität hatte ich es geschafft, vor 200 Leuten zu sprechen. Der wichtigste Moment war, als ich feststellte, dass das Unbehagen vor der Präsentation deutlich schlimmer war als die Präsentation selbst. Bei meiner zweiten Präsentation war ich schon viel weniger nervös. Spätestens bei der fünften hatte ich eine gewisse Coolness und Routine entwickelt. Ich freute mich schon auf den Nervenkitzel vor einem Vortrag und halte inzwischen gerne Vorträge.
Warum erzähle ich das?
Mit meiner Erfahrung möchte ich zeigen, welch positiven Einfluss ein Ehrenamt haben kann. Auch jetzt noch, obwohl ich kein Mitglied mehr bin. Ehrenamtliche Tätigkeit gibt die Möglichkeit und den Freiraum, Dinge einfach auszuprobieren. Vor Publikum zu sprechen ist nützlich, aber viel mehr als das: Man lernt, sich selbst zu überwinden. An dieser Erfahrung kann man nur wachsen. So ist beispielsweise mein Auftreten selbstbewusster geworden. Ein Soft Skill, der für Bewerbungsgespräche ebenso hilfreich ist wie für Dates.
Gegen Ende meiner Mitgliedschaft durfte ich meine erworbenen Fähigkeiten an neue Mitglieder weitergeben und habe dabei erfahren, wie Personen dank meiner Vorträge auf Aiesec aufmerksam geworden sind. Mit einigen der Mitglieder habe ich Freundschaften geschlossen, die über die Mitgliedschaft hinausgehen.
Ich würde nicht sagen, für mein Engagement keine Gegenleistung bekommen zu haben. Soziales Engagement und homo oeconomicus passen also doch zusammen.
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