In einem tragischen Schiffsuntergang kamen im April 2014 über 300 Menschen ums Leben, 250 davon waren Schüler, die einen Ausflug unternahmen. Wie es zu der Katastrophe kommen konnte, wurde auch nach offiziell abgeschlossenen Ermittlungen bis heute nie vollständig aufgeklärt.
Die Familienangehörigen der Menschen, die beim Schiffsuntergang der Sewol ums Leben kamen, kämpften jahrelang für die vollständige Aufklärung der Tragödie. Sie wollten abschließen mit dem schrecklichen Ereignis, das ihr Leben für immer veränderte. Ganz Südkorea hoffte während den Rettungsversuchen auf das Überleben der 476 Passagiere an Bord. Das Leben von 304 Menschen (der Großteil davon Schüler, deren gesamte Zukunft noch vor ihnen lag) konnte nicht gerettet werden. Wie es zu dem Unglück kommen konnte, hängt mit verschiedenen, teilweise unfassbaren Faktoren zusammen.
„Bleiben Sie in ihrer Kabine!“
Fortlaufend wurden die Passagiere über Lautsprecher angewiesen, ihre Kabinen nicht zu verlassen, da dies gefährlich sei. Erst als es viel zu spät war, 45 Minuten nach Beginn des Sinkens, wurde die Evakuierung der Passagiere eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt war die Sewol bereits zu 60 Grad geneigt, was es unmöglich machte, das Schiff zu verlassen. Der Kapitän erläuterte, es sei ihm bei der Verzögerung der Evakuierung um die Sicherheit der Passagiere gegangen, denn die starke Strömung und kaltes Wasser hätten eine Gefahr dargestellt.
Schifffahrtsexperte Peter Irminger bestätigt, dass ein Mensch in dem zwölf Grad kalten Wasser vor Südkorea höchstens zwei bis drei Stunden überleben kann. Aus diesem Grund würden Evakuierungen bei erfahrenen Seeleuten verzögert werden. Bei einem schnellen Sinken, wie dem der Sewol, sei der Handlungsbedarf jedoch dringlicher und schnellere Evakuierung gefordert. Den Koreanern unverständlich bleibt es, dass der Kapitän sowie ein Großteil der Crew aus der Krisensituation flohen. Sie stiegen in Rettungsboote der Küstenwache, noch während die Passagiere angewiesen wurden, in ihren Kabinen zu bleiben.
Warum die Sewol sank
Wie es überhaupt zum Sinken der Fähre kommen konnte, ist auch nach sechs vergangenen Jahren noch unklar. In den internationalen Medien finden sich verschiedene Versionen. Sicher ist, dass das Schiff eine unplanmäßig scharfe Wendung von 45 Grad vornahm. Weitere mutmaßliche Gründe des Sinkens sind:
Übergewicht. Um die Kapazität des Passagierraums zu vergrößern, fanden offenbar illegale Umbauten statt. Zudem habe die Reederei einen Millionen-Profit gemacht, indem zusätzliches Frachtgut transportiert wurde. Es wird vermutet, dass dieses Frachtgut nicht ausreichend gesichert war. Infolge der scharfen Wendung verrutschte es und das Schiff verlor an Stabilität.
Instabilität. Die Sewol besaß ein Auto-Deck ohne wasserdichte Trennwände. Wenn sich auf einem durchgängigen Deck dieser Art Wasser sammelt, sich von Seite zu Seite bewegt und schließlich auf einer Seite staut, kann ein Schiff sehr schnell sinken.
Defektes Steuerrad. Laut Aussagen der dritten Offizierin, die zum Zeitpunkt der Katastrophe das Kommando auf der Brücke führte, sei die Steuerung zu weit eingeschlagen. Sie habe lediglich eine Kursänderung von fünf Grad angeordnet.
Schnelle Modernisierung Südkoreas. Ab 1960 entwickelte das Land sich innerhalb von fünfzig Jahren zu einem Wirtschaftswunder. Durch das schnelle Tempo der Modernisierung blieben einige sicherheitstechnische Aspekte unbeachtet, die auch der Sewol zum Verhängnis wurden.
Gerichtsprozesse
Von Juni bis November 2014 fanden Gerichtsprozesse in der Stadt Gwangju statt, die mit einem Berufungsprozess 2015 ergänzt wurden. Der damals 69-jährige Kapitän Lee Soon-Seok wurde wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt (gefordert war sogar die Todesstrafe). Lee bekannte sich schuldig und gab Fehler zu, wie zum Beispiel, die Steuerung einem unerfahrenen Besatzungsmitglied überlassen zu haben, während er selbst sich in seiner Kabine aufhielt. Abgewiesen hatte er aber den Vorwurf, den Tod von Passagieren bewusst zugelassen zu haben. Das Urteil der vierzehn überlebenden Mitglieder wurde im Berufungsprozess auf Haftstrafen zwischen achtzehn Monaten und zwölf Jahren gelindert.
Die Reederei Chonghaejin Marine Company, ein Familienunternehmen, wurde beschuldigt, Gelder veruntreut zu haben, die eigentlich für weitere Sicherheitsmaßnahmen hätten eingesetzt werden sollen. Zusätzlich zu einigen Haftstrafen wurden die Reederei und der Staat dazu verpflichtet, den Familien der Opfer eine Entschädigung von jeweils 600 Millionen Won (etwa 460.000€) zu zahlen. Einen niedrigeren Betrag hatten die Familien zuvor abgelehnt, da sie eine vollständige Aufklärung der Sewol-Katastrophe erreichen wollten.
Kritik am Umgang mit der Katastrophe
An führenden Kräften wurde massiv Kritik geübt. In einer Katastrophe wie dieser gibt es ein Zeitfenster von 72 Stunden, das absolut wichtig für die Überlebenssicherung der Menschen ist. Während der ersten sieben Stunden dieses Zeitfensters war die Präsidentin Park Geun-hye nicht zu erreichen, obwohl sie in der Verantwortung des Krisenmanagements stand. Die Küstenwache war nicht genügend ausgebildet, um eine Rettungsaktion im Innern des Schiffes durchzuführen. (Die südkoreanische Küstenwache wird darauf trainiert, bei einer Strömungsstärke von einem Knoten zu schwimmen. Zum Vergleich: Gegen 0,8 Knoten kommt der durchschnittliche Schwimmer an. Am Tag der Katastrophe lag die Strömungsstärke bei fünf Knoten!) Spezielle Rettungskräfte erreichten den Unglücksort zu spät. Privaten Tauchern wurde teilweise verwehrt, sich auf Rettungssuche zu begeben. (Der Film „Diving Bell – The Truth shall not sink with Sewol” von dem freien Reporter Lee Sang-ho zeigt insbesondere, wie die angebotene Hilfe eines professionellen Tauchers im Besitz einer Taucherglocke wiederholt abgewiesen und er möglicherweise sogar sabotiert wurde.)
Erst vier Tage nach dem Unglück drangen Taucher zu den ersten Leichen vor. Da die Berichte bezüglich der Rettungsaktionen variieren, ist es schwer, zu einer neutralen Sichtweise zu gelangen. Mehrere Quellen bezeugen jedoch die unkoordinierte Suche der Küstenwache und deren mehrmaliges unerklärliches Zurückhalten von Rettungskräften und Mitteln.
Trotz vieler Versprechen von Präsidentin Park verzögerte sich die Investigation zur Sewol-Katastrophe immens. Erst unter ihrem Nachfolger wurde das Schiffswrack geborgen. Dies lässt vermuten, dass die Präsidentin ihr eigenes Fehlverhalten in der Krise vertuschen wollte.
Von der Bevölkerung wurde durch Proteste viel Druck auf die Regierung ausgeübt, die Bergung der Opfer schneller abzuschließen und die Gründe der Katastrophe vollends aufzuklären. Familienangehörige campierten auf der Straße vor der Präsidentenresidenz, manche rasierten sich die Haare ab, um ihrem Protest mehr Gewicht zu verleihen. Immer wieder fanden Protestmärsche statt: Überlebende Schüler marschierten vierzig Kilometer, weitere koreanische Bürger sogar 800 Kilometer. Die Proteste variierten in Form und Länge, die Forderung war jeweils dieselbe – eine endgültige Aufklärung der Sewol-Katastrophe, die bis heute nie ganz erfüllt wurde.
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