Der Pränataltest soll schon vor der Geburt feststellen, ob Kinder das Down-Syndrom haben. Die weitaus häufigste Folge eines positiven Tests: eine Abtreibung. Dabei kann das Leben mit einem Trisomie-21-Kind sehr glücklich und bereichernd sein. Wir haben mit einer Familie gesprochen.
Die Debatte war groß, als der Deutsche Bundestag im April diesen Jahres zu entscheiden hatte, ob die Kosten einer Pränataldiagnostik künftig von den Krankenkassen übernommen werden sollen. Mittels einer Blutuntersuchung kann so etwa festgestellt werden, ob das Kind das Down-Syndrom hat oder nicht. Befürworter von Test und Kostenübernahme durch die Krankenkassen waren der Meinung: Werdende Eltern können sich besser auf das Leben mit einem Down-Syndrom-Kind einstellen, wenn sie schon vor der Geburt wüssten, was sie erwartet. Gegner dieser Regelung verwiesen aber auf die sehr hohen Abtreibungszahlen: Schätzungen zufolge werden etwa 90 Prozent der Kinder abgetrieben, bei denen Trisomie-21 festgestellt wird.
„Mit einem Test hätte ich mir nur Sorgen gemacht“
Ist der Test also sinnvoll oder nicht? Merle Weidemann hatte sich damals gegen einen Test entschieden. „Für mich stand immer fest: Egal wie es ist, das Kind wird geliebt. Mit einem Test hätte ich mir nur Sorgen gemacht“, sagt sie. Sie hat ihren Sohn Remy auf die Welt gebracht. Schon kurz nach der Geburt fielen ihr typische Merkmale für Trisomie-21 auf: etwas schlaffe Haut, eine etwas nach unten gekippte Augenlinie und ein abgeflachter Nasenrücken. Alles Merkmale, die auch andere Kinder haben können. Eine genetische Untersuchung brachte dann die Gewissheit: Remy hat das Down-Syndrom.
Am Anfang: Überforderung
„Ich habe mich am Anfang überfordert gefühlt“, sagt Merle. Die Mutter von vier Kindern lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Münster. Kurz nach der Geburt wollten viele Menschen das Ehepaar bestärken: Es liegt an der Förderung, was aus dem Kind wird. Lieb gemeint, Merle aber hat das gestresst; die Verantwortung für die Eltern wird dadurch umso größer. Und tatsächlich kann es mühsam werden mit dem kleinen Remy, der mittlerweile vier Jahre alt ist. Momentan etwa entwickelt er eine sogenannte „Hinlauftendenz“: Begeistert ihn etwas, rennt er einfach los. Das kann gefährlich werden, gerade wenn Remy einfach so auf die Straße läuft. Er hat einfach keine Angst und kein Bewusstsein für Gefahren. Die Mutter kommt da oft an ihre Grenzen: „Man kann es ihm erklären, aber er kann es nicht begreifen.“
Funktioniert Inklusion?
Überhaupt: Vieles dauert bei Remy einfach ein bisschen länger. Seine Geschwister etwa haben von selbst verstanden, dass man beim Trinken eine Flasche kippen muss – Remy muss man das zeigen. Mit Remy ist das Leben anders geworden. So muss sich die Familie etwa ganz anders mit der Frage beschäftigen, auf welche Schule ihr Sohn in zwei Jahren gehen soll: In eine Förderschule, in der die Lehrer und Betreuer den Anforderungen von Remy gerecht werden können? Oder in eine Inklusionsschule, wo Remy mit allen anderen Kindern von zu Hause sein kann? Seine Mutter ist hier noch etwas skeptisch. Funktioniert Inklusion in Deutschland wirklich, ist sie überhaupt richtig gewollt?
Remy, der Charmeur
So schwierig diese Entscheidungen sein mögen, so glücklich ist Merles Familie mit ihrem Sohn. „Remy ist ein wahnsinniger Charmeur“, sagt seine Mutter. Er hat ein besonderes Gespür für die Stimmung seiner Geschwister und Eltern. Einmal, da mussten Mama und Papa mit dem älteren Bruder schimpfen. Er hatte einen Fehler gemacht und war zornig auf sich selbst, er weinte. Remy sprang von seinem Stuhl auf, breitete beide Arme weit aus und umarmte seinen Bruder so lange, bis es ihm wieder besser ging.
Kleinigkeiten machen das Leben schön
Überhaupt: Umarmungen. „Wenn man Remy morgens aus dem Bett holt, bekommt man immer eine Umarmung. Und man fühlt sich dann auch wirklich umarmt. Das ist wunderschön“, sagt Merle. Diese Kleinigkeiten machen das Leben mit dem Down-Syndrom für die Familie so glücklich – auch, dass sich Remy über so vieles freuen kann. Etwa, wenn es jeden Samstag seine geliebte Brezel gibt. Jeden Samstag gibt es die, aber jedes Wochenende aufs Neue freut er sich grenzenlos. „Diese Momente sind wie Balsam“, sagt Merle.
Kann man Kinder optimieren?
Die Zukunft bleibt für die Familie spannend. Merle ist froh, keinen Test gemacht zu haben. Denn: Das genaue Ausmaß, die Ausprägung des Down-Syndroms kann die medizinische Untersuchung nicht bestimmen. Und schließlich ist die mit weitem Abstand häufigere Folge einer solchen Untersuchung nicht die bessere Vorbereitung der Eltern auf das erwartete Kind, sondern seine Abtreibung. „Funktioniert dieses Optimieren von Kindern wirklich so, wie man sich das vorstellt?“, fragt Merle Weidemann und ist sehr skeptisch.
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