Nach rund drei Monaten in Bolivien wird es weiterhin nicht langweilig am anderen Ende der Welt. Auch wenn hier mittlerweile mein zweites Zuhause ist, ist die Zeit geprägt von vielen Veränderungen und neuen Dingen, die ich jeden Tag entdecke. Nicht nur ein Wechsel der Arbeitsstelle steht an, auch die ersten Ziele für den Weihnachtsurlaub stehen fest. Und dann ist da noch mein innerer Schweinehund …
Die Arbeit in der Schule entwickelt sich immer mehr zu meinem Alltag, aber daran gewöhnt habe ich mich noch nicht. Super ist, dass die Kinder jeden Tag Frühstück und ein warmes Mittagessen bekommen. Da meine Schule in einer ländlichen und ärmlichen Gegend liegt, ist es für viele Kinder die einzige Mahlzeit des Tages. Das Frühstück wird von der Regierung gestellt. Manchmal gibt es Müsli, manchmal gefüllte Brötchen aber ziemlich oft auch Kekse oder andere Süßigkeiten, die eigentlich kein gesundes Frühstück ausmachen. Sowieso ist Ernährung hier ein schwieriges Thema: Die Speisen bestehen meist aus Fleisch, Reis und Kartoffeln und sind somit sehr reich an Kohlenhydraten. Im Vergleich dazu gibt es weniger Gemüse und Obst auf dem Teller, wodurch viele Menschen an Übergewicht leiden. Vor allem aber gibt es eine nahezu unendliche Auswahl an Süßigkeiten und süßen Snacks. Erschreckend ist es zu sehen, wie kleine Grundschüler oft bereits vollkommen verfaulte und schwarze Zähne haben. Den Schülern zu Ehren haben wir am 21. September den „Día de los Estudiantes“ gefeiert. Die Lehrer haben verschiedene folkloristische Tänze aufgeführt und es gab wie immer eine Menge zu Essen. Da es als unhöflich gilt, Essen abzulehnen, esse ich hier auch mehr als zuhause. Dafür fällt für mich das Abendessen jetzt meistens weg, da es ansonsten schwierig ist, das Gewicht zu halten.
Nur noch kurz die Welt retten!
Die Bolivianer sind außerdem zumeist sehr patriotisch. Es hängen nicht nur überall Flaggen, am Montagmorgen müssen sich die Schüler vor Unterrichtsbeginn in Reih und Glied aufstellen und mit erhobener Stimme die „Himno Nacional de Bolivia“ anstimmen. Gerade der letzte Vers „Morir antes que esclavos vivir“ wird ehrfürchtig und besonders laut mitgesungen. Was meinen Unterricht in der Schule betrifft, sinkt meine Motivation immer mehr. Meine Aufgabe ist es, den Lehrer zu unterstützen und gelegentlich Englisch zu unterrichten, aber oft wird meine Hilfe nicht gebraucht, sodass ich Stunde für Stunde brav auf meinem Stuhl neben dem Lehrerpult sitze und irgendwann mein Vokabelheft raushole. Natürlich wünschte auch ich, dass ich hier eine wirkliche Veränderung herbeiführen könnte.
Fakt ist aber, dass ich weder ein Held noch ein Entwicklungshelfer bin und der Freiwilligendienst mir persönlich wohl doch am meisten bringt. Offen gesagt ist es doch so: Die Kinder sprechen Spanisch und Quechua und werde vermutlich nie außerhalb von Bolivien leben und arbeiten, da fällt es doch ab und zu schwer, mit dem Englisch am Ball zu bleiben. Manche Lehrer wünschen sich von mir, dass ich auch Erstklässlern die englische Sprache näherbringen sollte. Stellt man fest, dass die Schüler noch nicht einmal auf Spanisch lesen und schreiben können, gleicht auch das einer Utopie. Generell sollte man sich vor einem Freiwilligendienst überlegen, mit welchen Ambitionen man fährt. Wenn man glaubt, die Welt ein Stückchen besser machen zu können, sollte man seine Koffer schnell wieder packen.
Es ist nicht die Arbeit: es sind die Kinder!
Immer mehr spiele ich auch mit dem Gedanken, meine Arbeitsstelle zu wechseln. Auch wenn ich die Arbeit im Krankenhaus immer abgelehnt habe, ziehe ich sie ab sofort zumindest ein Stück weit mit in Betracht. Es ist schließlich keine Lösung, jeden Nachmittag frustriert nach Hause zu kommen. Vielleicht kann ich sogar ein bis zwei Tage in der Woche für ein Gesundheitsmagazin in einem Krankenhaus arbeiten, das wäre natürlich genial! Von drei bis sechs Uhr arbeite ich jetzt in einem „Apoyo Escolar“ und unterstütze die Kinder bei ihren Hausaufgaben. Alles in allem hege ich gemischte Gefühle für meine Arbeit. Langsam glaube ich immer mehr, dass mich im Kern die Arbeit mit Kindern nicht erfüllt und ich in anderen Arbeitsbereichen besser aufgehoben wäre.
Immer wieder denke ich dann: Habe ich mich überschätzt, hätte ich das nicht vorher wissen können? Andererseits: Nein. Woher denn auch? Ich habe es ausprobiert und schaue nun nach Alternativen. Mein Spanisch wird schon besser, aber in der Schule werden fast immer dieselben Worte benutzt, wodurch ich immer noch nicht ganz zufrieden bin. Mittlerweile bin ich seit drei Monaten hier und so langsam geht es bei mir an die Urlaubsplanung. In erster Linie bin ich hier zum Arbeiten, aber in den Schulferien von Dezember bis Februar habe ich keinen Unterricht. Ich habe mir einiges vorgenommen: Chile, Peru, Bolivien und Kolumbien. Eine Reise auf die Osterinseln musste ich schon ausschlagen, da ich natürlich nicht alles sehen kann. Für den Dezember plane ich nach Potosí und auf den Salar de Uyuni, den größten Salzsee der Welt, zu fahren, bevor es dann über Sylvester nach La Paz geht.
Mein innerer “Schweinehund” und der erste WG-Streit
Ansonsten habe ich bereits erste bolivianische Kontakte geknüpft und treffe mich oft mit Laura, die hier Englisch und Französisch an der Universität studiert. Nebenbei lernt sie aber auch noch Deutsch, wodurch unsere Gespräche immer aus einem unterhaltsamen „Speutsch“ bestehen. Erst dann wird mir bewusst, wie schwer die deutsche Sprache ist, wenn ich probiere, ihr Wörter wie „Schweinehund“ oder „Gemütlichkeit“ zu erklären. Ich bedauere, dass bei mir in der Schule fast ausnahmslos nur ältere Lehrer arbeiten, aber ich hoffe, dass durch einen Tanzkurs und andere Aktivitäten noch weitere Kontakte aufgebaut und vertieft werden können. Ich bin nämlich ein Stück weit auch von meinen WG-Mitbewohnern abhängig, was mich offen gesagt etwas stört. Unser WG-Leben ist geprägt von Höhen und Tiefen. Denn natürlich ist es schwierig, bei neun unterschiedlichen Meinungen einen Konsens zu erreichen. Wir alle sind schließlich auch „WG-Neulinge“ und haben zuvor immer nur bei Mama und Papa gelebt, weshalb Reibereien nicht ausbleiben, die im Alltag schon ziemlich anstrengend sein können. Trotzdem probieren wir uns gegenseitig zu unterstützen und vor allem ehrlich miteinander zu reden. In meinem nächsten Bericht werde ich dann euch alles über meine anstehenden Reisen im Dezember und Januar sowie alle weiteren Ereignisse erzählen. Bis dahin, hasta luego!
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