Wer sind die Sámi überhaupt? Was sind ihre Wurzeln? Wie vereinbaren die Sámi ihre Tradition mit den Herausforderungen der Gegenwart und was kann ich von diesem Volk lernen? Im Sommer 2016 zog ich im Rahmen eines zis-Stipendiums los, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Was ich während meiner Zeit im hohen Norden Norwegens und Schwedens erlebt habe, davon berichte ich hier.
Stellt Euch vor, Ihr befindet Euch irgendwo im Nichts. Um Euch herum endlose Weite, schneebedeckte Berge, triste Landschaft. Am Boden entdeckt Ihr Beeren und die Spuren eines kürzlich vorbeigezogenen Rentiers. Gräser, Moos und Flechten zieren die Umgebung. Es ist still. Nur weit entfernt rauscht irgendwo ein Wasserfall. Ihr fröstelt leicht, doch die herauskommende Sonne wärmt Euer Gesicht. Was bei dem einen Sehnsucht, beim anderen Angst auslöst, ist für die Sámi Heimat. Die Sámi sind ein indigenes Volk, das den Norden Skandinaviens und Russlands bewohnt. Sie sind sozusagen die Indianer Lapplands oder Sápmis, wie sie selbst das Land nennen, auf dem sie leben.
Vor mehr als 10.000 Jahren kamen die ersten Menschen nach Sápmi. Sie zogen als Nomaden durch die weite Landschaft Lapplands und ernährten sich von Beeren und der Jagd. Irgendwann begannen sie mit der Rentierhaltung und wurden im Laufe der Industrialisierung sesshaft. Derzeit gibt es ungefähr 80.000 anerkannte Sámi. Doch die Sámi sind weit mehr als wunderschöne Landschaft oder einfache Zahlen, sie sind ein Volk mit einer eigenen Sprache, eigenen Wurzeln und einer eigenen einzigartigen Kultur.
Meine erste Station: Jokkmokk
Jokkmokk ist ein kleines samisches Städtchen ganz im Norden Schwedens, direkt hinter dem Polarkreis. Dort habe ich die erste Woche meiner Reise bei einer deutschen Autorin und ihrem Mann in einem ehemaligen samischen Schlachthaus verbracht. In Jokkmokk hatte ich vor allem die Möglichkeit, mich mit dem samischen Kunsthandwerk, dem Sámi Doudji, vertraut zu machen. Sámi Doudji ist oftmals eine Kombination von handwerklich hergestellten Gebrauchsgegenständen mit künstlerischen Elementen. So entstehen beispielsweise wunderschöne samische Messer, Lederbeutel und Trinkgefäße.
Nie werde ich die intensiven Gespräche mit einer Sámin vergessen, die in Jokkmokk solch samisches Kunsthandwerk verkauft hat. Sie hat nicht nur auf die Problematik aufmerksam gemacht, dass immer mehr „samische“ Fake-Produkte an Touristen verkauft werden, sondern mich auch das erste Mal spüren lassen, dass noch lange nicht alle Ungerechtigkeiten gegenüber ihrem Volk aus dem Weg geräumt wurden.
Denn lange Zeit wurden die Sámi, wie viele andere Minderheiten auch, aufgrund ihrer Abstammung diskriminiert. Sie hatten kein Recht auf ihr eigenes Land, mussten hohe Steuern zahlen und die Ausübung ihrer Kultur wurde verboten. Auch heute noch müssen sie für mehr politische Mitbestimmung und gegen Vorurteile und die Zerstörung ihrer Umwelt kämpfen. In Jokkmokk geschieht das derzeit vor allem durch die Demonstrationen gegen eine von der schwedischen Regierung geplante Miene.
Das Márkomeannu-Festival
Eine Sängerin, die fremd klingende Melodien singt. Sámi, die stolz ihre Hände in die Luft strecken. Überall die kunterbunten Farben der samischen Tracht, gemurmelte Sätze in einer Sprache, die ich nicht einmal im Ansatz verstehe und hin und wieder die samische Flagge, die irgendwo hervorblitzt. Das waren wohl meine ersten Eindrücke vom Márkomeannu, einem samischen Festival mitten im Nichts irgendwo in Norwegen.
Am Anfang vielleicht noch etwas geschockt von den unterschiedlichsten Eindrücken wurde das Márkomeannu bald zu einem der prägendsten Erlebnisse meiner Reise. Hier durfte ich erleben, wie ein Volk, das so lange Zeit unterdrückt wurde, wieder Hoffnung schöpft. Die nach oben gestreckte Faust ist vermutlich nicht nur für mich zu einem Symbol des schon verloren geglaubten Stolzes der Sámi geworden.
Auf dem Márkomeannu habe ich außerdem erlebt, wie viele kreative Ideen und Möglichkeiten es gibt die samischen Traditionen mit dem 21. Jahrhundert zu verbinden. Da waren die vielen jungen Sámi, die ihre traditionelle Tracht mit Sonnenbrille und Cap kombinierten; da war der Elchburger und da waren die vielen Sänger und Bands, die moderne Beats mit dem samischen Joik mischten.
Joik ist die ursprüngliche Art der samischen Musik. Manchmal besteht er aus Text, manchmal auch nicht. Mit dem Joik wollen die Sámi etwas singen. Sie joiken zum Beispiel eine Pflanze, ein Tier oder auch ein Kind. Wichtig ist, dass sie nicht über etwas singen.
Es ist nicht ganz einfach zu beschreiben, was es mit dem Joik auf sich hat. Jedem, der sich mehr für den Joik interessiert, empfehle ich, sich Lieder von Mari Boine, Arvvas oder Sofia Jannok anzuhören. Lasst euch mitnehmen in die wunderbare Welt Sápmis und vermutlich werdet ihr sie nicht mehr so schnell vergessen!
Zwei Wochen im Leben einer samischen Familie
Wer glaubt, dass ich in diesen zwei Wochen weit ab von jeglicher Zivilisation ohne Strom und fließendes Wasser in einem lavvú (ähnlich einem Tipi) gelebt habe, liegt leider falsch. Auch wenn dieses Bild in vielen Köpfen vermutlich noch immer präsent ist, sieht die Realität ganz anders aus. Während die Sámi früher ihr ganzes Leben nach den Rentieren ausgerichtet haben, leben heute nur noch circa 20 Prozent hauptberuflich von der Rentierhaltung. Der Rest geht ganz alltäglichen Beschäftigungen nach, lebt in einem ganz normalen Haus, hat Handy, Fernseher, Computer und trägt T-Shirt und Hose. Ihr merkt schon, das Leben der meisten Sámi unterscheidet sich äußerlich nicht wirklich von dem unseren hier in Deutschland.
Es waren vielmehr die kleinen Dinge, die mir zeigten, dass ich mich in einem samischen Haushalt befand. So wie beispielsweise das Rentierfell auf dem Boden, die samische Tracht im Kleiderschrank oder auch die Art und Weise, wie meine samische Gastmutter das Brot hinlegte. Letzteres beruht auf einer samischen Mythologie, die besagt, dass die Frau das Brot auf einer bestimmten Seite liegend aufbewahren muss, damit dem Ehemann beim Fischen nichts passiert. Was ich besonders schön und bemerkenswert fand, war die Art und Weise mancher Sámi komplett im Moment zu leben. Die Natur hat sie gelehrt, dass es nichts bringt alles komplett durchzuplanen, sondern dass es viel wichtiger ist, das Leben so zu nehmen wie es kommt.
Das möchte ich aus Sápmi mitnehmen. Und ich hoffe, ich konnte auch Euch ein bisschen was von meiner Reise mitgeben. Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen, aber manchmal hilft alles Erzählen nichts, manchmal muss man es selbst erleben. Deshalb an jeden der die Möglichkeit hat: Macht Euch mal ein bisschen schlau über das zis-Reisestipendium. Vielleicht ist das ja auch was für euch?!
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