120.000 Christen mussten 2014 vor dem „Islamischen Staat“ fliehen. Langsam können sie in ihre Heimat zurückkehren – und stehen vor Trümmern. Das Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt die irakischen Christen beim Wiederaufbau. Ein Bericht von Benedikt Bögle.
Den Heimkehrern bot sich ein erschreckendes Bild. Ihre Heimatstadt Bartella war eine kleine Stadt, 17.500 Menschen lebten hier. Die meisten von ihnen waren Christen. Dann kam im August 2014 der „Islamische Staat“ (IS). Die Kämpfer des IS zerstörten die von Christen bewohnten Dörfer in der Ebene von Ninive im Irak. Zwei Jahre später gelang es den irakischen Streitkräften, den IS wieder zu vertreiben. 120.000 Christen waren geflohen. Als sie zurückkamen, standen sie nur noch vor Ruinen. Ihre Häuser und Kirchen waren geplündert und niedergebrannt worden. Was noch stand, wurde durch Luftangriffe zerstört. Die Rückkehrer standen vor dem Nichts.
Erzbischof Warda: „Wir stehen vor dem Aussterben“
Ein wichtiger Ansprechpartner und Helfer der irakischen Christen wurde in dieser Zeit Bashar Warda. Er ist der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, wohin sich viele der vertriebenen Christen flüchteten. „In einer einzigen Nacht verloren die Christen im Irak Unterkunft, Arbeit und Eigentum, Kirchen und Klöster. Unsere Unterdrücker beraubten uns unserer Gegenwart, als sie versuchten, unsere Geschichte auszulöschen und unsere Zukunft zu zerstören“, sagt Erzbischof Warda. Seine Glaubensgemeinschaft stehe vor dem Aussterben.
Immer wieder seien die Christen im Irak von Gewalt bedroht. Mit jedem Angriff innerhalb der vergangenen 1.400 Jahre sei die Gemeinschaft weiter geschrumpft. Während es nach Angaben von Warda 2003 noch anderthalb Millionen Christen im Irak gibt, sind es heute nur noch etwa 250.000. Auch wenn es gelungen ist, die IS-Kämpfer aus der Ebene von Ninive zu vertreiben, bedeutet das noch keinen Frieden für die irakischen Christen: „Es gibt immer noch extremistische Gruppen, die immer größer werden, und die behaupten, das Töten von Christen und Jesiden trage zur Verbreitung des Islam bei“, so der Erzbischof.
Kirche in Not richtete Zentrum für Wiederaufbau ein
Die Christen sind in ihre Heimat zurückgekehrt und kümmern sich nun um den Aufbau der Ruinen. Ein wichtiger Stützpunkt dafür ist das „Niniveh Reconstruction Center“, das sich in der Nähe von Mossul befindet und vom päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ begründet wurde. Langsam, aber sicher kehrt wieder so etwas wie Alltag in die Ninive-Ebene ein: Menschen beginnen nicht nur, die zerstörten Häuser wiederaufzubauen; sie eröffnen auch Geschäfte und Cafés. Das ist eine Herausforderung: Funktionierende Wasserleitungen gibt es noch nicht, die Stromversorgung hängt an störanfälligen Generatoren.
Hoffnungsträger Kirche
Ein riesiger Aufwand: Es gibt kaum staatliche Hilfen, auf die sich die Bewohner verlassen könnten. Beim Wiederaufbauzentrum von Kirche in Not stehen nicht nur Ingenieure beratend zur Seite: auch finanzielle Unterstützung gibt es für die Familien, die ihr Heim wieder beziehen wollen. Einer der Helfer ist Amjeed Tareq Hano. Er ist 28 Jahre alt, gelernter Krankenpfleger. Nun bearbeitet er die eingehenden Hilfsanträge:
„Ohne die Unterstützung der Kirche hätten wir damals nicht überleben können. Und so ist es auch jetzt noch: Würde Kirche in Not nicht helfen, ginge hier nichts voran“, meint er. Bereits mehr als zweitausend Häuser wurden mit der Unterstützung des Hilfswerks wiederaufgebaut. Trotz der Herausforderungen blickt Amjeed mutig in die Zukunft. Für ihn ist der Irak Heimat. Er will nicht gehen, auch wenn viele Freunde in das Ausland gehen. „Mit Gottes Hilfe will ich mein Leben in meiner Heimat, dem Irak, verbringen. Ich danke allen, die das möglich machen“, sagt er.
Kirche in Not: Hilfe seit 1947
Das päpstliche Hilfswerk engagiert sich nicht nur jetzt beim Aufbau – noch während die vertriebenen Christen im Exil leben mussten, stellte Kirche in Not Medikamente zur Verfügung, ermöglichte Schulunterricht und sicherte die Versorgung mit Lebensmitteln. Das Hilfswerk Kirche in Not wurde 1947 vom Prämonstratenser Werenfried van Straaten gegründet. Sein Anliegen war es, die Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg voranzutreiben. Er kümmerte sich um die heimatvertriebenen Deutschen, organisierte Lebensmittel und sammelte Spenden. Heute zählt Kirche in Not zu den großen katholischen Spendenorganisationen. Im Jahr 2018 sammelte das Hilfswerk, das in 23 Ländern Nationalbüros unterhält, über 111 Millionen Euro. Über zehn Millionen Euro davon stammen aus Deutschland. Dieses Geld kommt in vielen Regionen der Welt an – nicht nur im Irak.
„Wir müssen auf das Martyrium gefasst sein“
Die Christen im Irak hoffen aber nicht nur auf finanzielle Unterstützung. Erzbischof Bashar Warda erwartet vom Westen auch politische Signale: „Wir fordern gemeinsame Anstrengungen, um die Gleichbehandlung aller Minderheiten im Irak und anderswo zu gewährleisten. Die Rolle, die christliche Gemeinschaften in islamischen Gesellschaften spielen oder gespielt haben, ist unterschätzt worden.“ Die Situation im Irak ist indes von Frieden weit entfernt. „Diejenigen von uns, die übrig sind, müssen auf das Martyrium gefasst sein“, sagt der Erzbischof.
Dieser Beitrag entstand in freundlicher Kooperation mit Kirche in Not.
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