Jenny Giesen betreibt einen Unverpackt-Laden im Rheinland. Unsere Autorin Hannah hat mit ihr über Nachhaltigkeit, das Konzept ihres Ladens sowie über Zeitmanagement und Preise gesprochen. Außerdem gibt sie wertvolle Tipps für den ersten Einkauf im Unverpackt-Laden.
Der wöchentliche Gang in den Supermarkt ist reine Routine. Wir kennen jedes Regal und jeden Gang auswendig und würden vermutlich auch im Schlaf die Position unserer Lieblingsprodukte finden. Dass wir bei unseren alltäglichen Einkaufstouren auch jede Menge Plastikmüll verursachen, ist vielen Konsumenten sicherlich bewusst. Doch auch wenn diese Tatsache den meisten von uns ein schlechtes Gewissen bereitet, unternehmen die Wenigsten tatsächlich etwas dagegen. Es ist schlichtweg zu verlockend und bequem, wenn die kleinen Cocktailtomaten in einem handlichen Plastikeimer zu kaufen sind oder wenn der Salat einschließlich Toppings und Dressing in einer Plastikschale mitsamt Plastikgabel verzehrbereit im Kühlregal auf uns wartet.
Wir bleiben passiv, statt mit unserem eigenen Handeln aktiv etwas an dem Verpackungswahnsinn zu ändern. Im Zweifel übertrumpft die Bequemlichkeit der Menschheit dann eben doch den Wunsch nach ressourcenschonendem Handeln. Der Datenplattform „Statista“ zufolge fallen in Deutschland je Einwohner pro Jahr rund 38,5 Kilogramm Plastikverpackungsabfall an. Das ist zu viel und bei weitem mehr, als eine gesunde Umwelt vertragen kann, dachte sich Jenny Giesen. Sie sagte dem Verpackungsmüll den Kampf an, als sie im September 2020 ihren eigenen Unverpackt-Laden in Kerpen-Sindorf eröffnete.
Unverpackt-Läden – Einkaufen wie im Supermarkt, nur ohne Plastik
In ihrem Laden „Fräulein Unverpackt“ bietet sie Lebensmittel, Drogerieartikel, Reinigungsmittel sowie Dinge des täglichen Bedarfs an. Eigentlich ähnlich wie in einem gewöhnlichen Supermarkt. Doch ein entscheidendes Kriterium ist anders: Die Produkte in ihrem Laden kommen ohne Plastikverpackung aus. Nudeln, Reis und Müsli – all diese Lebensmittel sind lose in großen Spendern untergebracht. Auch Gummibärchen, Schokolade und andere Naschereien warten ganz ohne Verpackung in Glasbehältern auf die Kundschaft.
Selbst Zahnpasta wird hier plastikfrei verkauft. Spätestens hier stellt sich nun die berechtigte Frage, wie bei Zahnpasta auf die scheinbar obligatorische Plastiktube verzichtet werden kann. So genannte Zahnputz-Tabletten machen es möglich. Diese verwandeln sich in Verbindung mit etwas Wasser durch Kauen im Mund zu einer schaumigen Zahnpasta und kommen dabei ganz ohne Plastikverpackung aus. Auch Putzmittel, Shampoos und Duschgels sind im Laden zu finden. Da die meisten Produkte in großen Spendern gelagert werden, bedarf es dann kleinerer Behälter, in welche sich die Kunden die gewünschten Mengen abfüllen können. Die Besitzerin erläutert das Ladenkonzept wie folgt: „Viele Kunden bringen ihre eigenen Behälter mit. Das können alte Marmeladengläser, Tupperdosen, leere Seifenspender oder Spüliflaschen, aber auch Obst- und Gemüsesäckchen, Baumwolltaschen, gebrauchte Tüten oder Kartons sein. Diese werden zu Beginn des Einkaufs gewogen und können dann nach Bedarf mit den ausgewählten Produkten gefüllt werden. An der Kasse werden die Behälter dann erneut gewogen und das zuvor ermittelte Gewicht des Behälters wird abgezogen, um den Kaufpreis zu bestimmen.“ Das „Fräulein Unverpackt“ bietet darüber hinaus auch Gefäße zum Kauf an. Außerdem steht im Laden eine Kiste mit alten, gesäuberten Vorratsgläsern bereit, an denen sich jedermann bedienen darf, wenn die eigenen Behälter nicht ausreichen oder diese schlichtweg zu Hause vergessen wurden.
Verband der Unverpackt-Läden
Jenny Giesen ist mit ihrem Laden Mitglied im Verband der Unverpackt-Läden. Am 21. April 2018 in Nürnberg als Berufsverband der Unverpackt-Läden in Deutschland und der deutschsprachigen EU gegründet, hat es sich dieser Verband zum primären Ziel erklärt, „Müll und Verschwendung zu vermeiden“. Um dieses Ziel zu erreichen, kooperiert er „mit Partnern auf allen Stufen der Wertschöpfungskette, mit Erzeugern, Verarbeitern, Herstellern, Großhändlern und Spezialisten aus der Logistik“. Denn der übermäßige Verbrauch von Plastik ist keineswegs lediglich ein Problem des Handels selbst.
Vielmehr sind alle an der Handelskette beteiligten Bereiche mit verantwortlich und gefragt, eine zukunftsorientierte Lösung zu finden, die einen respektvollen Umgang mit Mensch und Natur gewährleistet. Das „Fräulein Unverpackt“ in Sindorf kauft beinahe alle ihre Produkte ohne Plastikverpackung ein. Hierfür bezieht sie ihre Waren bei unterschiedlichen Lieferanten, die ihr diese dann in großen, wiederverwendbaren Spendern liefern. „Aktuell erhalte ich lediglich Nüsse noch in einer eingeschweißten Plastikverpackung. Das geht nicht anders, da das Vakuumieren die Nüsse vor der Feuchtigkeit schützt.“ Somit ist beinahe der gesamte Einkaufs- und Verkaufsprozess des Unverpackt-Ladens in Sindorf frei von jedwedem Plastik.
Einkaufen im Unverpackt-Laden – teuer und zeitaufwendig?
In einem Unverpackt-Laden müssen die Produkte vom Kunden selbst abgewogen und umgefüllt werden. Es drängt sich die Frage auf, wer im Alltag die Nerven und die Zeit für einen solch aufwendigen Einkauf aufbringen kann? Vor allem beim ersten Einkauf in einem Unverpackt-Laden kann alles etwas länger dauern, da diese Art des Einkaufens vielen Kunden fremd ist. Doch Jenny Giesen kennt ein paar Tricks, wie sich der Einkauf strukturieren lässt: „Die Organisation im Vorfeld ist entscheidend. Man sollte sich bereits vor dem Einkauf überlegen, welche Produkte man kaufen möchte und welche Behälter man hierfür benötigt. Wenn ich ein Kilo Mehl brauche, bringt es mir nichts, wenn ich nur ein kleines Marmeladenglas mitbringe.“
Die Ladenbesitzerin betont außerdem, dass ihre Kunden sich nicht selbst unter Druck setzen sollten: „Wenn man gerade erst mit dem Einkauf unverpackter Produkte gestartet hat, muss man sich nicht direkt mit allem eindecken. Für den Anfang reicht es auch schon, wenn man beispielsweise lediglich Drogerieartikel wie Zahnpasta, Zahnbürste, Shampoo und Duschgel für den Gebrauch im Badezimmer im Unverpackt-Laden besorgt. Weitere Produkte, wie zum Beispiel Lebensmittel, können dann in einem nächsten Schritt folgen. Bereits nach kurzer Zeit laufen die Besorgungen hier genauso routiniert ab wie im Supermarkt.“ Der Einkauf im Unverpackt-Laden bringt also sicherlich zumindest zu Beginn eine Umstellung mit sich. Das alternative Einkaufsverhalten wird jedoch schnell zur neuen Gewohnheit.
Bedarfsgerechtes Einkaufen
Doch wie sieht es mit den Preisen in den Unverpackt-Läden aus? Jenny Giesen verkauft Nudeln zum Preis von 0,31 € pro 100 Gramm. In einem herkömmlichen Supermarkt erhält man ein ganzes Pfund Nudeln bereits ab 0,49 €. Ist der Einkauf in Unverpackt-Läden also den Gutverdienenden in der Gesellschaft vorbehalten? Giesen verneint dies und verweist in diesem Zusammenhang auf die mögliche Anpassung der Produktmengen an die eigenen Bedürfnisse. „Ich bekomme von Kunden sogar die Rückmeldung, dass sie durch den Einkauf in meinem Laden sparen, da sie hier wesentlich bedarfsgerechter einkaufen können als in einem Supermarkt, in dem es lediglich fest vorgegebene Mengen zu kaufen gibt. Zu meiner Kundschaft zählen auch viele junge Menschen sowie Familien mit Kindern.“
Wer sich einen kompletten Wocheneinkauf im Unverpackt-Laden nicht leisten kann, der könne dort natürlich auch zum Kauf ausgewählter Produkte vorbeischauen. „Ich habe auch Kunden, die nur für ein oder zwei bestimmte Produkte zu mir kommen“, berichtet Giesen. Nachhaltiges Einkaufen hängt also nicht vollends vom Geldbeutel ab. Und das gute Gefühl, mit dem Einkauf im Unverpackt-Laden etwas für die Umwelt sowie die Lebensbedingungen aller an der Handelskette beteiligten Personen getan zu haben, ist ohnehin inklusive.
Unverpackt-Läden als Chance zur Veränderung
Selbst wenn also Zeit und Geld knapp sind, steht zumindest dem gelegentlichen Einkauf im Unverpackt-Laden nichts entgegen. Bundesweit gibt es mittlerweile bereits mehr als 190 solcher Unverpackt-Läden. Zumindest die Städter sollten einen solchen Laden in unmittelbarer Nähe vorfinden können, aber auch im ländlichen Bereich ist das Konzept auf dem Vormarsch. Jenny Giesen weiß: „Hier ist es schwieriger, die Menschen über soziale Netzwerke zu erreichen und coronabedingt fallen aktuell Stadtfeste und ähnliche Veranstaltungen aus, sodass man auch hierdurch keine potenziellen Neukunden gewinnt. Trotz allem hatten wir bereits vor der Eröffnung über 1.000 Follower auf unseren Kanälen.“ Die Notwendigkeit einer Veränderung des Konsumverhaltens ist den Menschen durchaus bewusst und auch am Willen zur Veränderung mangelt es nicht. Die Unverpackt-Läden bieten einem jeden nun die Chance, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten einen aktiven Part zur Weltverbesserung beizutragen.
„Fräulein Unverpackt“ wartet auf Euren Besuch: Fräulein Unverpackt | Euer Unverpackt-Laden in Kerpen
Eine bundesweite Karte mit allen im Verband eingetragenen Läden findet sich hier: Karte
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