Über Jahrzehnte hinweg war der menschengemachte Klimawandel vor allem ein Thema für Klimatologen, Öko-Hippies und vielleicht noch grüne Parteien – weil wir uns Ignoranz noch leisten konnten. Dann brachte ab 2018 die Klimabewegung „Fridays for Future“ die Klimakrise ins gesellschaftliche und politische Bewusstsein – bis das Thema Corona-Virus aufmerksamkeitsökonomisch alles andere überlagerte. Doch das trügt.
Kürzlich beschäftigte ich mich mal wieder mit dem Klimawandel – ich sah mir die neue Dokumentation von Michael Moore an mit dem Titel „Planet of the Humans“ an. Darin geht es, kurz gesagt, um den menschlichen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen sowie um die Probleme beim Umstieg auf erneuerbare Energien. Kritisiert wird darin, dass mittlerweile viele profitorientierte, auch auf fossile Energien setzende Unternehmen die Erneuerbaren für sich „gekapert“ haben.
Ziemlich zu Beginn der Dokumentation wird ein Filmausschnitt eingeblendet, in dem ein Wissenschaftler den Befund der menschengemachten Erderwärmung und deren Folgen erklärt. So brächten „nur“ wenige Grad Erwärmung die Polkappen zum Schmelzen, wodurch der Meeresspiegel deutlich anstiege, was wiederum zu einer Überschwemmung etwa des Mississippi-Deltas führen soll, dem Lebensraum von Abermillionen Menschen. Das Erstaunliche daran: Der gezeigte Ausschnitt stammt aus dem Film „The unchained godess“ aus dem Jahr 1958. Lange vor dem berühmten Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ vom „Club of Rome“.
Die klimawissenschaftliche Ausgangslage
Sechs Jahrzehnte später ist sich eine überwältigende Mehrheit aller Klimawissenschaftler einig, dass menschliches Handeln einen erheblichen Einfluss darauf hat, was wir zusammengefasst als „globales Klima“ bezeichnen. Leider verbreiten und halten sich Desinformationskampagnen und Verschwörungsmythen, die schon Thema meines letzten Artikels waren.
Zwar hat sich das Klima schon immer gewandelt, jedoch ist die rasante Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert naturgeschichtlich beispiellos. Diese beschleunigte Erwärmung ist nur durch vom Menschen ausgestoßene Gase wie CO2 und Methan zu erklären, die Sonnenenergie aufnehmen und somit den Treibhauseffekt verstärken. Zudem werden immer mehr Wälder abgeholzt und Moore stillgelegt, die als wertvolle CO2 Speicher fungieren könnten. Bei der jetzigen Vernichtungsrate wird beispielsweise der Amazonas-Regenwald in wenigen Jahren dem Untergang geweiht sein.
Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zwölf
Klimawissenschaftler bringen ein vermehrtes Auftreten extremer Wetterereignisse wie Stürme, Dürren und Überschwemmungen mit der Erderwärmung in Verbindung. Die zunehmende Überschwemmung von niedrig gelegenen Inseln, etwa in der Südsee, ist längst im Gang, verursacht durch den steigenden Meeresspiegel. Bevor Corona unsere Aufmerksamkeit stahl, beschäftigten uns riesige Flächen brennender Wälder in Australien, begünstigt durch anhaltende Dürre. Auch die zuletzt vermehrt auftretenden sommerlichen Dürreperioden in Europa sind wahrscheinlich klimatologisch bedingt. Weitere Prognosen sehen düster aus, manch ein Kipppunkt wurde bereits überschritten.
Das große Problem beim Umgang damit: Was wir jetzt tun, beeinflusst das Klima auf Jahrzehnte hinaus, und zeigt sich in seinen Auswirkungen erst dann, wenn eine Umkehr zu spät ist. Es ist wissenschaftlich absolut angebracht, hier von einer Klimakrise zu sprechen. Und diese hat längst begonnen. Nur: Während vor allem Menschen in weniger entwickelten Ländern und wärmeren Klimazonen deren Auswirkungen schon zu spüren bekommen, sind die meisten westlichen, wohlhabenden Länder in den gemäßigten Breiten bislang weniger davon betroffen und besser gewappnet. Die, die am wenigsten dafür können, trifft es also am frühesten und am härtesten.
Dies gilt nicht nur zwischen ärmeren und reicheren Ländern, sondern auch zwischen Jung und Alt. Die heutige Jugend darf in den kommenden Jahrzehnten das ausbaden, was sich vorherige Generationen auf Kosten zukünftiger erlaubt haben. Damit wollten und wollen sich Millionen junge Menschen weltweit nicht abfinden und engagieren sich bei „Fridays for Future“, um für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Anders gesagt: Für Politik, die nicht nur in Wahlperioden und Wirtschaftswachstum denkt sondern langfristig und nachhaltig agiert. Also so, dass wir nicht auf Kosten der Lebensgrundlagen nachfolgendender Generationen wirtschaften und leben. Es geht um Solidarität.
Zur Zeit der Corona-Krise fallen mir zwei Dinge besonders auf
1. Wir Menschen begreifen unsere relative Machtlosigkeit gegenüber natürlichen Gefahren und werden vielleicht etwas bescheidener, hören zudem sehr auf Wissenschaftler. Wir begreifen, dass wir frühzeitige und einschneidende Maßnahmen ergreifen müssen, um eine katastrophale Entwicklung zu verhindern. Nicht anders ist es in der Klimakrise: Wie sich die nächsten Jahrzehnte klimamäßig entwickeln, hängt von unserem heutigen Handeln ab.
2. 2020 ist sowieso ein entscheidendes Jahr, um die Erderwärmung noch irgendwie auf ein erträgliches Maß zu begrenzen, wenngleich das Ziel von 1,5°C im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung illusorisch erscheint, und schon von manch einem Wissenschaftler aufgegeben wurde. Einerseits lenkt uns Corona davon ab, andererseits gibt diese Krise die Chance auf einen klimaverträglicheren Neustart der Wirtschaft. Oder besser noch: Eine andere Art zu wirtschaften.
Das Problem ist unsere Art, zu leben
- Wie wir Energie gewinnen: Die Energiewende läuft in den meisten Ländern schleppend (Deutschland), findet gar nicht statt oder wird geradezu umgekehrt (USA unter Trump)
- Wie wir wirtschaften: Wirtschaft und Ethik gehörten einst zusammen, sind in Zeiten von Kapitalismus und Marktliberalismus jedoch längst entkoppelt. Wir sollten uns wieder fragen, was die Wirtschaft für das nachhaltige Wohlergehen von Menschen tun kann, anstatt was wir für das Wirtschaftswachstum tun können. Wirtschaftswachstum und Produktivität gelten leider als Selbstzwecke, Arbeitsplätze als Totschlagargument gegen Klimaschutzmaßnahmen.
- Wie wir leben: Immer mehr einstige Luxusgüter wie Fleisch, elektronische Geräte und Fernreisen sind heutzutage sehr erschwinglich oder geradezu billig geworden. Diese Dinge konsumieren wir auf Kosten unserer Zukunft und der folgender Generationen. Es empfiehlt sich für jeden, die eigene CO2-Bilanz auszurechnen: https://uba.co2-rechner.de/de_DE/. Würden wir alle so leben wie der durchschnittliche Europäer, bräuchten wir auf Dauer drei Planeten; US-Amerikaner bräuchten sogar fünf.
Wir müssen uns eingestehen, dass es nicht reicht, nur auf technologische Innovationen zu setzen. Zu glauben, wir könnten so weiterleben wie jetzt und das CO2 schlicht aus der Atmosphäre saugen, ist menschlicher Größenwahn. Auch der Emissionshandel ist nur ein Vorwand, um genau so weiter zu wirtschaften. Ohne einschneidende Veränderungen unserer Art zu wirtschaften und zu leben, werden wir den Karren mit Ansage an die Wand fahren. Wer nun vor grünen Freiheitsverboten warnt, hat nicht verstanden, dass die ungesunde Freiheit, sich alles ohne Rücksicht auf Klima und Ressourcen zu nehmen, nur zu einem Punkt führt, an dem unsere Freiheiten zwangsläufig und nachhaltig eingeschränkt werden.
Wirtschaftlich gesehen: Das Unternehmen Menschheit kann langfristig nur erfolgreich geführt werden, wenn es sich nach den Erkenntnissen von Klimaforschern und mit Rücksicht auf die vorhandenen Ressourcen nachhaltig umgestaltet. Anstatt dass sich Klimaschutz Wirtschaftszielen unterordnen muss.
Möglichkeiten des Wandels
Es gibt einige effektive Schritte, mit denen wir den Wandel einläuten könnten. Wir sind nicht handlungsohnmächtig, ganz im Gegenteil, wir sind handlungsfähig und haben es in der Hand unsere Existenz zu sichern. Auch wenn es bedeutet, sich umzugewöhnen, vielleicht auf Dinge zu verzichten und unseren ständigen Konsum zurückzuschrauben, sollte es dies uns, um des Lebens Willen, doch wert sein. Es wird kein Verzicht auf Dauer. Es wird ein Gewinn auf Dauer.
Eine Ernährungswende: Die wirksamste Maßnahme, um die eigenen Treibhausgasemissionen zu senken und somit das Klima und unsere Zukunft zu schützen, außerdem die Umwelt weniger zu belasten und sehr viel Leid zu verhindern, ist es, keine tierischen Produkte mehr zu verwenden. Auch staatlich sollte dieses Ziel subventioniert und die tierische Landwirtschaft abgeschafft werden. Momentan geschieht noch das genaue Gegenteil. Zudem sollten wir mehr auf saisonale, regionale und unverpackte Ernährung setzen. Individuell wie politisch. Sich ethisch und ökologisch katastrophal zu ernähren, hat wenig mit Freiheit und viel mit unhinterfragter Gewohnheit und Bequemlichkeit zu tun.
Eine Lebensstil-Wende: Im oben erwähnten CO2-Rechner wird aufgezeigt, wie viel wir abgesehen von unserer Ernährungsweise noch tun können, um klimafreundlicher zu leben. Wichtige Bereiche sind hier Heizung und Strom, Mobilität und Konsum allgemein. Auf manches haben wir selbst Einfluss, andere Dinge werden politisch gesteuert.
Eine Energiewende: hin zu erneuerbaren Energien, wo nötig mit Kernkraft als Übergangslösung.
Eine Wirtschaftswende: Ziel sollten langlebige, nachhaltige und ressourcensparende Produkte sein. Wenn wir schon weiter kapitalistisch denken, dann sollten unsere natürlichen Lebensgrundlagen als wertvollstes Kapital eingerechnet werden.
Da wir in einer globalisierten Welt leben, sollten diese Wenden in übergeordneten, politischen Organisationen als Ziele gesetzt und koordiniert werden, um die bereits beschlossenen Klimaziele zu verwirklichen.
Freiheit und Wirtschaftlichkeit bedeuten auf lange Sicht nichts anderes als effektiven Klimaschutz. Damit wir in fünfzig Jahren nicht von unseren Enkeln gefragt werden: „Warum habt ihr Nichts getan?“
Paul Justus Söllinger
Vielen Dank für den tollen Artikel! Ich hatte auch überlegt in die Richtung zu schreiben, aber besser kann ich es nicht formulieren. Wenn wir uns weiter weigern, auf allen Luxus zu verzichten, werden wir in ein paar Jahren von der Natur gezwungen werden auf ganz basale Dinge zu verzichten. Selbst, wenn es uns hier in Deutschland noch ein paar Jahrzehnte gut gehen mag, die Flüchtlingswellen von Klimaflüchtlingen werden die aktuellen Flüchtlingswellen in den Schatten stellen.
Christian Blessing
Vielen Dank für das Lob!
Da kann ich mich dir nur anschließen.