Gerade einmal vier Flugstunden trennten mein altes und neues Zuhause. In Madrid ist es wärmer und mehr Menschen mit dunklen Haaren strömen durch die Straßen. Und sonst? Auch hier gibt es WIFI an jeder Ecke, ein U-Bahn-Netz und Hot Dog Stände überall. Es ist also nicht alles fremd und darüber bin ich auch ganz froh. Neben der noch unvertrauten Sprache und meinem Projekt lebte ich auch das erste Mal alleine, also genug Abenteuer fürs Erste.
Nach dem ersten Monat hatte ich mich langsam ins Spanische reingehört. Im Projekt ging es "poco a poco" voran, ein Motto, dass mich meinen ganzen Aufenthalt begleiten würde. Zusammen mit einer Deutschen und einer Französin gehöre ich zu den ersten Europäischen Freiwilligen in unserer Stiftung, dessen Ziel es ist, das Engagement von Jugendlichen in der Gesellschaft zu fördern. Jedes Jahr werden verschiedene Messen zum Thema Freiwilligenarbeit und Engagement organisiert und wöchentlich findet sich eine Gruppe von Jugendlichen zusammen, um verschiedene, ehrenamtliche Aktivitäten zu realisieren. In der Realität bedeutet das, dass es während der projektfreien Wochen leider auch wenig zu tun gibt und meine Arbeit somit nur zeitweise wirklich spannend ist. Während befreundete Freiwillige Workshops mit körperlich und geistig Behinderten entwickeln, den Alltag von Aids-Erkrankten gestalten oder Aktivitäten in Jugendzentren organisieren, verbringe ich meinen Tag im Büro und vor dem Computer – einen aktiven, sozialen Beitrag zur Europäischen Gemeinschaft hatte ich mir anders vorgestellt.
Einleben, entdecken und ausprobieren
Trotz gemäßigter Euphorie für mein Projekt, begeisterten mich umso mehr alle weiteren Bestandteile meines Lebens als EF hier. Bereits einige Woche nach Ankunft im Gastland werden die Europäischen Freiwilligen zu einem Seminar eingeladen, um andere Freiwillige in der gleichen Region kennenzulernen, Erwartungen und Ziele zu diskutieren und Ängste und Vorurteile abzulegen. Der Kreis der Freiwilligen war von Anfang an eine Art Familie für mich und ist immer noch ein fester Bestandteil meines Freundeskreises hier, mit dem ich zusammen ausgehe, mich zu "cooking exchanges" treffe, wobei wir zusammen Rezepte aus den verschiedenen Herkunftsländern kochen oder Ausflüge und Reisen unternehmen.
Noch mehr als über fremde Kulturen, lernt man beim EFD aber über sich selbst. Viele Freiwillige entwickeln in ihren Ländern originelle Interessen und Hobbys oder erfinden sich am Ende ganz neu. Einige packt in Spanien die Passion zum Salsa oder Tango, andere begeistern sich plötzlich für Meditation und Yoga oder entflammen für weitere Fremdsprachen und wieder andere entscheiden sich kurzerhand dazu, vegan zu leben (mit Spaniens fleischlastiger Küche eine wahre Herausforderung). Kurz gesagt: jeder wird am Ende ein ganz individuelles, besonderes Jahr durchleben und bestimmt neue Seiten an sich selbst entdecken.
¡Hasta pronto, Europa!
Die Halbzeit meines Projektes ist inzwischen überschritten und ich habe die Madrileños und ihre Eigenarten lieb gewonnen. Manchmal werden meine deutschen To-Do-Listen bereits von einer "Mañana, Mañana"-Mentalität ersetzt, ausgehfertig mache ich mich am Wochenende nicht vor 23 Uhr und ohne Jámon (spanischer Schinken) möchte ich nicht mehr leben. Ich habe die spanische Gastfreundschaft genossen, wurde nach wenigen Treffen mit spanischen Freundinnen gleich zum familiären Paella Essen oder zu einem Besuch nach Barcelona eingeladen. Und ich habe gelernt, deutsche Privilegien wertzuschätzen, da viele meiner spanischen Freunde zu der Generation gehören, die momentan nach dem Studium keinerlei Aussicht auf Arbeit und Unabhängigkeit in ihrem Land hat.
Mein Europäisches Jahr hat mich neugierig gemacht und ich möchte mehr sehen. Ich gehöre jetzt zu einem Freiwilligennetz, das sich über den ganzen Kontinent spinnt und mir erlaubt, weiterzureisen, zu neuen Freunden und Bekannten. In wenigen Tagen werde ich auf das Zwischenseminar mit 100 anderen Europäischen Freiwilligen nach Málaga fahren, um mein Projekt und Aufenthalt in Spanien auszuwerten. Dazu braucht es nicht viele Worte: Schade, dass man den EFD nur einmal im Leben machen darf!
Kurz und knapp: Der Europäische Freiwilligendienst
Der Europäische Freiwilligendienst (EFD) steht für alle 18-30-jährigen EU-Bürger offen und das Spektrum der Projekte ist gigantisch: ein Straßenhundprojekt in Rumänien, Segelkurse in Spanien oder Kunstworkshops in einem französischen Kulturzentrum – alle Themen- und Interessenbereiche finden sich wieder. Die Dauer der Projekte beträgt zwischen zwei Wochen und einem Jahr. Es gibt oft mehrere Freiwillige in einem Projekt, die kostenlos und meistens Vollzeit arbeiten. Im Gegenzug werden die Kosten von Unterkunft und Verpflegung übernommen. Zusätzlich wird ein Sprachkurs oder andersartige sprachliche Unterstützung gewährleistet und alle Freiwilligen werden während ihres Aufenthalts zu zwei Seminaren mit anderen EF eingeladen. Auf der Seite findet ihr eine Datenbank mit allen Projekten.
Schreibe einen Kommentar