Wir Deutschen sind für unsere Pünktlichkeit bekannt. Außerdem sind wir eher individualistisch geprägt und trennen in der Regel die Sachebene von der Beziehungsebene. In den letzten vier Jahren hatte ich die Möglichkeit, viele Menschen aus dem Nahen Osten kennenzulernen, die als Geflüchtete hier nach Deutschland gekommen sind. Je enger ich mit ihnen zu tun habe, desto mehr möchte ich ihre Sicht der Dinge verstehen. Ich setze mich mit ihrer Kultur und dadurch gleichzeitig auch mit meiner deutschen Kultur auseinander. Der folgende Beitrag berichtet über einige Unterschiede, die mir aufgefallen sind, am Beispiel der arabischen Kultur.
Nach Geert Hofstede gibt es verschiedene Kulturdimensionen: Machtdistanz, Individualismus/Kollektivismus, Langzeitorientierung/Kurzzeitorientierung, Unsicherheitsvermeidung, sowie Maskulinität vs. Femininität. Auf die einzelnen Dimensionen einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und können hier somit leider nur angerissen werden.
Sarah Lanier unterscheidet wiederum zwischen den Heißklima-Kulturen und den Kaltklima-Kulturen (Lanier, 2006). Demnach wäre die arabische Kultur eine Heißklima-Kultur und die deutsche Kultur eine Kaltklima-Kultur. Diese Kategorien und Dimensionen können hilfreich sein, um Kulturen einordnen und besser verstehen zu können. Keinenfalls sollte jedoch pauschalisierend damit umgegangen werden, Ausnahmen gibt es immer. Außerdem geht es auch nicht darum, dass eine Kultur besser als die andere ist.
Individualismus und Kollektivismus
In individualistisch geprägten Kulturen, wie der deutschen, ist es zum Beispiel wichtig, dass jeder seine eigene Meinung hat und diese auch vertreten darf. Man bestimmt selbst über sein Leben und trifft eigene Entscheidungen. Was das Kollektiv darüber denkt oder welche Auswirkungen die Entscheidung auf das Kollektiv hat, hat keine besondere Bedeutung. Bei den kollektivistischen Kulturen ist es nicht üblich, dass eine Person individuelle Entscheidungen trifft. Das Kollektiv ist mit an einer Entscheidung beteiligt. So ist es zum Beispiel in der arabischen Kultur üblich, dass die Familie an der Vermittlung eines zukünftigen Ehepartners beteiligt ist. Die Eltern müssen einer Heirat zustimmen.
Außerdem haben Entscheidungen und das Verhalten des Einzelnen Auswirkungen auf das Kollektiv. Wenn nun beispielsweise die Tochter einer arabischen Familie vorehelichen Geschlechtsverkehr hat und dies öffentlich wird, dann bringt sie Schande über das Kollektiv, über die ganze Familie. Ihr Fehlverhalten fällt auf das Kollektiv zurück. In unserer deutschen Kultur würde das Verhalten der Tochter keine oder nur geringe Auswirkungen auf das Kollektiv haben.
Indirekte und direkte Kommunikation
Wir Deutschen kommunizieren im Vergleich zu den Heißklima-Kulturen sehr direkt. Was wir sagen, das meinen wir auch so. Ein “Nein” ist ein “Nein” und ein “Ja” ein “Ja”. Arabische Leute kommunizieren indirekt. Aus Höflichkeit und um die Harmonie in einer Beziehung aufrechtzuerhalten, kann es sein, dass sie zum Beispiel zu einer Verabredung zusagen und dann doch nicht erscheinen. Als Deutsche würden wir es ziemlich sicher einfach sagen, wenn wir nicht kommen wollen. Arabische Leute sagen, um der Harmonie willen lieber “Ja” zu einer Einladung und kommen dann nicht, als direkt “Nein” zu sagen und somit ihr gegenüber möglicherweise zu enttäuschen.
Gastfreundschaft
In der arabischen Kultur hat Gastfreundschaft einen hohen Stellenwert. Einladungen werden meist spontan ausgesprochen, während wir Deutschen in der Regel Besuche längerfristig planen und ein Termin dafür ausgemacht wird. Wenn ich bei meiner arabischen Nachbarin klingel, werde ich immer hineingebeten. Es ist sogar egal, ob bereits Besuch hat und sie gemeinsam essen. Ich darf einfach dazukommen. Als Deutsche, würden wir hier wohl den Besucher auf einen anderen Tag vertrösten anstatt ihn miteinzuladen.
Hochzeit
Erst kürzlich hatte ich die Gelegenheit, eine arabische/muslimische Hochzeit mitzuerleben und so weitere Einblicke in die Kultur zu bekommen. Es gibt deutliche Unterschiede im Vergleich zu den mir bekannten deutschen Hochzeiten. Zunächst einmal feiern bei einer muslimischen Hochzeit die Frauen und die Männer getrennt. Wenn die Frauen unter sich sind, brauchen sie kein Kopftuch zu tragen und können sich so freizügig kleiden, wie sie möchten. Die Braut erscheint erst nach einigen Stunden auf der Feier, was mir als ungewöhnlich erschien. Bei deutschen Festen ist es üblich, dass der Gastgeber als erster da ist und seine Gäste begrüßt. Bei muslimischen Hochzeiten wird die Braut von ihren Brüdern gebracht. In der Zwischenzeit haben sich die Gäste schon einmal warmgetanzt. Später kommt dann noch der Bräutigam dazu und schenkt seiner Braut goldenen Schmuck. Überrascht war ich, dass es nur ein traditionelles Joghurt-Dessert zu essen gab, wo die Araber doch sonst so viel Leckeres kochen. Auf einer deutschen Hochzeit wird hingegen ein Catering engagiert und es gibt jede Menge gutes Essen.
Weiterführende Literatur zum Thema:
Lanier, Sarah: Überall zu Hause?! Menschen aus fremden Kulturen verstehen, 3. Auflage (2016)
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