Viele Trauernde sind am Boden zerstört. Doch es gibt einen Weg zurück ins Leben – davon berichtet Freya von Stülpnagel, selbst Trauernde. Ihr neues Buch hat Benedikt Bögle gelesen.
Freya von Stülpnagel verlor ihren Sohn Benni, als er 18 Jahre alt war. Er nahm sich das Leben. Der Tod änderte das Leben der Juristin schlagartig. Trauer. Unverständnis. Verzweiflung. Doch Stülpnagel hat sich in das Leben zurückgekämpft und betreut seit 1999 andere Trauernde, leitet Trauergruppen, gestaltet Trauergottesdienste – und schreibt. Ihr neuestes Buch: „Und immer wieder – zurück ins Leben. Was Trost gibt und Kraft verleiht.“ Es ist ein beeindruckendes Zeugnis einer starken Frau, wie der Weg aus der Trauer zurück in das Leben gelingen kann.
Was zurück auf die Spur bringt
In kurzen Kapiteln schreibt Stülpnagel über die Erfahrungen, die sie seit dem Tod ihres Sohnes gemacht hat. Sie berichtet von den kleinen Dingen kurz nach dem Todesfall, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis der Trauernden eingraben – seien es positive oder negative. Die ersten Monate nach dem Tod ihres Sohnes waren schlimm. „Es war eher ein Dahinvegetieren, als ein Leben, ein wirkliches Leben.“ Ein ganz kleines, eigentlich unscheinbares Ereignis war für sie die erste Etappe auf dem Weg zurück. Eine Freundin kam zu Besuch, die überlastet war, aber keine Möglichkeit sah, mit ihren Kindern im Sommer zu verreisen. Und plötzlich: Ein Funke bei Freya von Stülpnagel, ein Gedanke. Der Frau muss man doch helfen. Das brachte Stülpnagel auf die Spur, wie sie schreibt.
Geistiges und körperliches Training
Eine fruchtbare Spur, auf der nicht nur sie selbst wieder ins Leben zurückkam, sondern seitdem unzähligen anderen Trauernden auf ihren Wegen geholfen hat. Einzelne Aspekte dieses Wegs teilt die Autorin in ihrem Buch. Trauer sei ein seelischer Prozess, der auch viele Kräfte freisetzen könne. Stülpnagel begann zu joggen und lernte zur Ablenkung viele Gedichte auswendig. Ein Teil dieser Texte unterbricht in ihrem Buch auch immer wieder die einzelnen Kapitel. Sie machte sich fit – körperlich wie geistig. Das ist etwas, das vielen Trauernden helfen kann. Manche beginnen, in einem Chor zu singen, andere schreiben oder malen, machen Musik.
Kann man wieder Feste feiern?
Im Lauf der Zeit konnten Freya von Stülpnagel und ihr Mann auch wieder Feste feiern – ein Gedanke, der kurz nach dem Tod ihres Sohnes undenkbar schien. Es dauerte. Aber es ging. Immer dabei ist ihr verstorbener Sohn Benni. Die Familie feiert, aber sie feiert anders. Der tote Sohn und Bruder ist immer mit dabei: „Wenn wir die Verstorbenen fragen könnten, ob sie etwas dagegen hätten, dass wir Feste feiern, bin ich mir ganz sicher, dass sie nicht nur nichts dagegen hätten, sondern es sogar begrüßen würden.“
Wie behandelt man Kinder nach einem Todesfall?
Überhaupt: Tod ist ein Thema der ganzen Familie. Viele dächten, so die Autorin, man müsse den Tod vor allem vor Kindern fernhalten. Sie würden noch nicht begreifen, was da geschieht, oder könnten mit dem Thema überfordert sein. Stülpnagels Erfahrung sagt etwas anderes: „Kinder haben eine natürliche Gabe mit dem Tod umzugehen.“ Sie berichtet von einem ganz besonderen Fall. Ein älterer Mann hatte sich das Leben genommen, sein geliebter Enkelsohn vermisste ihn sehr. Die Familie versuchte, die Todesursache vor dem Kind zu verheimlichen. Die Folge: Das Kind wurde zornig und unkonzentriert. Es riss sich sogar die Haare vom Kopf. Als man ihm sagte, dass sich der Großvater selbst das Leben genommen hatte, beruhigte sich das Kind und konnte seiner natürlichen Trauer Raum geben.
Wie geht man mit Trauernden um?
„Unser natürliches Empfinden ist zunächst, Kinder vor Schwierigkeiten und belastenden Umständen in der Familie zu schützen, indem man nicht davon spricht. Genau das Gegenteil ist die Folge“, schreibt die Autorin. Ihr Buch eröffnet interessante Aspekte auf das Thema Trauer. Es kann mit Sicherheit eine Bereicherung für Trauernde sein und zeigen, dass es einen Weg zurück in das Leben gibt. Das es überhaupt noch ein Leben gibt. Aber es kann auch ein Ratgeber für Menschen sein, die mit Trauernden zu tun haben – für Familie, Freunde oder beispielweise den Arbeitgeber. Denn der Umgang mit Trauernden ist nicht immer einfach. Oft sagen Menschen verletzende Sachen. So beschäftigten sich Trauernde nach dem Sterbefall viel mit sich selbst, nehmen sich die Zeit, die sie brauchen. Wer dann sagt, die Person „bade in ihrer Trauer“ oder „dreht nur noch um sich selbst“ hat nicht nur wenig verstanden, sondern verletzt. Trauernde brauchen Zeit. Sie müssen lernen, mit dem Verlust umzugehen, weiter zu leben. Dieses Projekt kann schmerzhaft sein und braucht Zeit. Aber es gelingt. Ist das Leben nicht schön?
Freya v. Stülpnagel, Und immer wieder – zurück ins Leben. Was Trost gibt und Kraft verleiht, Kösel 2018, 144 Seiten, EUR 17
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