Manche Schmerzen, die wir ziemlich früh erfahren haben, halten uns bis ins Erwachsenenalter gefangen. Bei erlittenen Traumata haben wir uns Abwehrmechanismen, Vermeidungsstrategien und Ablenkungsmanöver angeeignet, um diesen in der Kindheit erfahrenen Schmerz nie wieder spüren zu müssen.
Sobald im Rahmen einer Psychotherapie sämtliche Verhaltensweisen des Patienten analysiert wurden, kommt man irgendwann an den Punkt, bei welchem plötzlich alles Sinn macht. Es ist der Zeitpunkt, wenn alle deine Masken gefallen sind. Wenn all deine Abwehrmechanismen, in Form von destruktivem Verhalten, deine Vermeidungsstrategien sowie deine Ablenkungsmanöver aufgedeckt wurden. Mit einem Mal wird dir der schmerzliche Kern deines erlittenen Traumas vollends bewusst. Plötzlich verstehst du dein Verhalten der Vergangenheit.
Du realisierst, weshalb dir gewisse Dinge immer wieder passiert sind und wie du selbst dein Schicksal immer wieder heraufbeschworen hast, um dich in deinen verankerten negativen Glaubenssätzen zu bestätigen und dein Trauma zu reinszenieren. “Du bist es nicht wert! Niemand will dich haben! Keiner liebt dich!” – Doch genau das stimmt nicht und langsam erkennst du es auch. Es ist der traumatisierte Teil in dir, der dir immer wieder diese Geschichte erzählt.
Es ist dein Trauma, welches dich gefangen hält
Dieses Trauma hat dein bisheriges Leben vollends bestimmt. Die Therapie hat in vielen Sitzungen alles langsam an die Oberfläche geholt. Du lässt Situationen Revue passieren und durchlebst so viele „Aha“-Momente. Du konntest dich aufgrund der in der Kindheit angeeigneten Verhaltensweisen gar nicht anders verhalten, weil du dein gesamtes Leben aus dem Trauma heraus erschaffen hast. Dein einziges Ziel war es, den Schmerz, den du als Kind erlitten hast, nie wieder spüren zu müssen. Leider ist es aber so, dass du dich damit auch von deinen positiven Gefühlen abgespalten hast. Ein Leben an der Oberfläche zu führen, kann nicht der Sinn des Lebens sein. Und sämtliche tiefergehende Bindungen direkt im Keim zu ersticken, sollte für dich nicht erstrebenswert sein.
Um erlebte Traumata zu überwinden, galt es, sich diesen zuzuwenden
Veränderungsprozesse und Neuanfänge können nur Platz in deinem Leben finden, wenn du beginnst, die schlechten Erlebnisse und das dir widerfahrene Leid anzuerkennen und adäquat zu betrauern. Die Anerkennung des Verlustes schafft erstmals Einblicke in einen dunklen, längst verschollenen Teil deiner Seele. Wie ein zu gerümpelter Kellerraum, welcher endlich aufgeräumt wird. Und genau wie in diesem Keller sind auch in deinem Inneren allerhand positive Eigenschaften, welche mit dem Schmerz einfach mit zugeschüttet wurden. Viele dieser Eigenschaften wurden dir oft in deinen nahen Beziehungen gespiegelt, doch konntest du diese nicht wirklich annehmen.
Die liebevollen Worte diverser Personen prahlten an dir ab. „Es kann doch nicht sein, dass dieser Mensch mich liebenswert findet. Was stimmt nicht mit ihm?“, ging mir immer wieder durch den Kopf. Doch diese Menschen haben gesehen, dass du mehr bist als die Geschichte, die dir dein Trauma täglich erzählt. Sie haben dich in deiner Ganzheit gesehen und dich mit deinen Stärken, deinen Wunden, Schwächen und Macken angenommen. Bitte erkenne dies an, nimm es als Wahrheit an und beginne, dich auch so zu sehen. Du bist nicht dein Trauma. Es ist nur ein Teil von dir!
„Nur was ich annehme, kann ich verändern.“ ~ Carl Gustav Jung
Dieser Teil benötigt Zuwendung und Trost. Ja, da war niemand, als du klein warst und du es gebraucht hättest. Es war schrecklich, dass deine Mutter sich nicht um dich kümmern konnte, wie eine Mutter es sollte. Und ja, es war verdammt schwer für dich zu ertragen, einfach weggegeben worden zu sein. Nach ständigen Drohungen und Schlägen einer vollkommen überforderten und alkoholkranken Mutter mit den Worten „Wenn ihr nicht lieb seid, kommt ihr ins Heim!“ – dann doch endlich im Kinderheim gelandet zu sein – mit nur fünf Jahren. Natürlich denkst du dann, als Kind, dass du die Schuld dafür trägst. Das alles ist wirklich schlimm und hätte nicht so sein sollen. All das hast du überlebt, bist nicht zerbrochen, du bist eine Kämpferin! Du bist die Leidtragende einer Person geworden, die es nicht besser wusste oder konnte.
All die Gefühle der Angst, des Verlassen-Seins, der Wut und Trauer sind in Ordnung und in Anbetracht an diese Erlebnisse vollkommen legitim. Weine um den Verlust und über das Leid, welches dir zugefügt wurde. Lass alle Gefühle raus. Es ist ein Teil von dir, der endlich gehört und gefühlt werden will. Nur so lässt es sich auflösen. Weine, um deine Seele zu befreien.
Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, aber du kannst jetzt neu starten und die Zukunft ändern
Und nun erkenne, dass dies nur ein Teil deines Lebens war und ist. Du bist nicht dein Trauma, hör auf dich weiterhin damit zu identifizieren. Es ist ein Teil, welcher immer da sein wird, aber wenn du daran arbeitest, wird er dich nicht mehr belasten. All diese Ereignisse spielen im Hier und Jetzt keine Rolle mehr. Lass den Schatten deiner Kindheit nicht mehr dein Leben bestimmen.
Wenn dieser Teil in dir wieder die Oberhand gewinnen möchte und dir dein Leben schwer, deine Beziehungen zerstören will, dann geh in die Beobachter Position und sieh es dir aus der Theater-Perspektive an. Nur wenn du dich von diesem Teil abwendest bist du in der Lage langsam das in dir schlummernde Potenzial zu entfalten. Lass den rationalen Teil deiner Selbst über den traumatisierten Teil wachsen und diesen langsam aber sicher immer stiller werden. Bis er endlich Ruhe gibt und dir in deinem Glück nicht mehr im Wege steht. Weil du es wert bist zu lieben und geliebt zu werden – du musst es dir nur erlauben und es zulassen… – Weil die Liebe siegt! …immer!
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