Familienbeziehungen sind oft die tiefsten und dauerhaftesten Bindungen, die wir in unserem Leben haben. Doch was passiert, wenn die Familie selbst zur Quelle von emotionalem Stress und toxischen Verhaltensmustern wird? Hier erfährst du, wie du toxische Familienstrukturen erkennst, welche Auswirkungen sie auf dein Leben haben können und wie du dich schützen und davon befreien kannst.
Wenn die Familie zur Herausforderung wird
Familien sind normalerweise ein Ort der Liebe, Unterstützung und Sicherheit. So erleben es viele in ihrer Kindheit, doch bei weitem nicht alle. Leider kann es auch vorkommen, dass familiäre Beziehungen von Manipulation, emotionalem Missbrauch und toxischen Verhaltensweisen geprägt sind, was uns wiederum für unser ganzes Leben prägen kann. Diese toxischen Dynamiken können schwerwiegende Auswirkungen auf die geistige und emotionale Gesundheit haben. Es ist daher entscheidend, diese Muster zu erkennen und geeignete Schritte zu unternehmen, um sich zu schützen.
Was ist normal und ab wann wird es überhaupt toxisch?
Ob toxisches Verhalten oder nicht, manchmal lässt es sich einfach nicht ganz eindeutig sagen. Wenn dir jedoch ein Kontakt in der Familie dauerhaft nicht guttut und du dich abhängig fühlst, kann es nicht gut für dich sein, diese Beziehung weiterzuführen. Leider verstecken sich toxische Eigenschaften aber auch oft hinter einer Maske aus übermäßiger Fürsorge, indirekten Vorwürfen oder bewusster Manipulation. Hierzu muss man auch sagen, dass es manchmal schwierig sein kann, toxische Muster zu erkennen, solange man noch bei der Familie lebt und täglich mit ihr interagieren muss.
Denn dann hat man einerseits die persönliche Betroffenheit und andererseits einen verklärten Blick, da es nicht immer eine objektive Meinung dazu gibt. Meistens werden Menschen jedoch nicht von heute auf morgen plötzlich toxisch und ändern schlagartig ihr Verhalten und ihre Denkmuster. Vielmehr ist es so, dass diese Muster bereits seit Jahren bestehen und sich in den Alltag geschlichen haben, wo sie ihr Unheil anrichten. Leider macht es das nicht einfacher, sie zu identifizieren. Für dich bedeutet es konkret: Versuche die Verhaltensweisen objektiv zu beobachten und dich mit anderen (beispielsweise Freunden) darüber auszutauschen.
Merkmale einer toxischen Familienbeziehung
Toxische Familienbeziehungen sind oft durch bestimmte Verhaltensweisen und Muster gekennzeichnet. Wie bereits erwähnt, können sich die toxischen Muster aber auch unter einer Maske von Überfürsorge verstecken, weswegen es wichtig ist, genau hinzuschauen.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Kontrolle und Manipulation definitiv eine der Eigenschaften sind, die sich in jeder toxischen Beziehung früher oder später äußern. So beispielsweise Familienmitglieder, die versuchen, andere zu kontrollieren oder zu manipulieren, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen oder ihre Ziele zu erreichen.
Emotionale Erpressung ist ein weiterer Punkt, bei dem du hellhörig werden solltest: Das Anwenden von Schuldgefühlen, um das Verhalten anderer zu beeinflussen ist eine beliebte Strategie, um Abhängigkeiten herzustellen und Unabhängigkeit zu untergraben. Genauso ist es bei einer ständigen Abwertung und einem Mangel an Unterstützung/Anerkennung.
Viele toxische Beziehungen sind durch Grenzüberschreitungen geprägt: Das Missachten persönlicher Grenzen und Privatsphäre und Kontrollmechanismen, die die Authentizität untergraben sind hier ebenfalls zu nennen.
Die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit
Vielleicht fällt es dir nicht bewusst auf, wenn du bei der Familie bist, aber wenn du im Nachhinein feststellst, dass es dir nach solchen Treffen nicht gut geht, ist es meistens ein eindeutiges Zeichen. Menschen sind verschieden und nicht selten geraten wir an Energie-Vampire, die sich selbst dessen nicht bewusst sind. Das Leben in einer toxischen Familienumgebung oder der Kontakt kann erhebliche Auswirkungen auf die mentale und emotionale Gesundheit haben.
Häufige Auswirkungen sind beispielsweise Angstzustände und Depression, weil ständige Negativität auf Dauer den Körper stresst. Durch Kontrollmechanismen ist es nicht selten, dass Betroffene ein geringes Selbstwertgefühl haben, oder kein gesundes Selbstbild entwickeln können. Ständige Kritik und emotionale Manipulation können das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen und sind deswegen gefährlich. Auch andere Beziehungen außerhalb der Familie können Aufschluss darüber geben, dass man toxische Beziehungen innerhalb der Familie hat. Das äußert sich beispielsweise in Schwierigkeiten, gesunde Beziehungen außerhalb der Familie aufzubauen und diese zu pflegen. Und nicht zuletzt natürlich auch schlicht körperliche Erschöpfung, die der Stress durch eine toxische Beziehung mit sich bringt.
Toxische Muster erkennen und benennen
Das Erkennen und Benennen von toxischen Mustern ist der erste Schritt zur Veränderung. Das geschieht in erster Linie durch Beobachtung und Reflektion von Verhaltensweisen, die wir selbst, aber auch unsere Familienmitglieder an den Tag legen. Nimm dir also unbedingt die Zeit, um über die eigenen Gefühle und Erfahrungen nachzudenken.
Es ist nicht immer einfach, sich einzugestehen, dass die eigene Familie toxisch ist und erfordert Mut und Akzeptanz. Das Gespräch mit vertrauenswürdigen Freunden kann uns dabei helfen, um die eigene Wahrnehmung zu bestätigen und um nicht ganz in Einsamkeit zu geraten. Denn bei einer toxischen Familie erscheint es manchmal als einziger Ausweg, sich zu isolieren, was wiederum zu Einsamkeit führen kann.
Die notwendigen Schritte
Sind wir uns erstmal sicher, dass wir toxische Verhaltensweisen identifiziert haben, fragen wir uns unweigerlich, wie wir jetzt damit umgehen sollten. Als ersten Schritt kann es wirklich wohltuend sein, Abstand zu nehmen und den Kontakt erstmal auf ein Minimum zu reduzieren, soweit es eben geht. Wohnen wir alleine, dann ist das ein guter Anfang, denn damit haben wir erst die Möglichkeit, unsere Abhängigkeit zu reduzieren und eigenständig zu sein.
Der Abstand tut insofern gut, dass wir dadurch Objektivität gewinnen können und damit einen großen Schritt weiterkommen. Und hier noch ein kleiner Hinweis: wir können zwar mit unseren Eltern über vieles reden, aber manchmal ist es besser, Dinge für sich zu behalten. Unser Ziel ist es nicht, sie vor den Kopf zu stoßen oder zu verletzten. Unser Ziel sollte es sein, eine gesunde Beziehung zu ihnen aufzubauen und uns von Missständen zu befreien. Deswegen musst du ihnen nicht alles sagen, was du erkennst, denkst oder fühlst. Trotzdem kann es im weiteren Verlauf deines Lebens sein, dass eine Aussprache notwendig und auch gut sein wird, das kommt aber mit der Zeit und sollte konstruktiv gestaltet sein.
Grenzen setzen und Grenzen halten
Solange wir zu Hause wohnen, ist es schwieriger unsere Privatsphäre zu behalten und uns unabhängig zu machen, gerade wenn bestimmte toxische Muster vorhanden sind. Genauso verhält es sich mit den persönlichen Grenzen. Leben wir allein, können wir uns jederzeit zurückziehen, wann wir es wollen und sind in der Regel keinem Rechenschaft schuldig. Grenzen sind wichtig, da sie gerade in toxischen Beziehungen oft verschwimmen und man als Teil seiner Eltern begriffen werden könnte. Sobald wir jedoch Grenzen setzen, schaffen wir es zumindest ansatzweise, uns abzunabeln und andere in ihre Schranken zu weisen. Es ist eine natürliche Entwicklung, wenn wir erwachsen werden und das sollten auch unsere Eltern akzeptieren. Natürlich ist es dabei unerlässlich, respektvoll und liebend zu sein, aber trotzdem auf die eigenen Grenzen bestehen.
Die weiteren Schritte
Wie bereits oben erwähnt, ist es wichtig, erst einmal Grenzen abzustecken, die sich für uns gut anfühlen und die akzeptiert werden. Wenn es nicht auf Anhieb geschieht, dann keine Sorge, je länger wir das durchhalten und darauf bestehen, desto mehr Respekt und Akzeptanz werden wir erlangen. Was danach kommt, ist zwar langwierig, aber erfolgversprechend. Wir müssen nun neue Regeln und neue Formen etablieren und das schaffen wir nur dadurch, dass uns bewusst ist, was wir von einer elterlichen Beziehung wollen und was uns wichtig ist.
Genauso haben die Eltern ein Recht auf Dinge, die ihnen wichtig und wertvoll sind. Hier kommt also die Zeit der Kompromisse und des Auslotens dessen, was für deine Familie am besten funktioniert. Dennoch solltest du Acht darauf geben, dass deine Wünsche und die Wünsche deiner Eltern nicht erneute toxische Muster aufweisen oder nach sich ziehen können. Auch ist es wichtig, sich in Vergebung zu üben, denn wir alle sind Menschen und machen Fehler. Es ist nicht zielführend, sich mit alten Mustern aufzuhalten, wenn wir die Gewissheit haben, dass wir aktiv etwas verbessern können. Vergebung befreit dich von dem alten Ballast und macht Raum für Neues. Die beste Entschuldigung ist jedoch keine Worthülse, sondern immer der Versuch, es besser zu machen als bisher.
Eltern kritisieren: Bin ich undankbar?
Unsere eigenen Eltern zu kritisieren, sei es auch nur in Gedanken, ist für uns teilweise immer noch ein riesengroßes Tabu. Wie können wir nur? Sie haben uns das Leben geschenkt und all das ermöglicht, was wir haben. Sie haben den Grundstein für vieles in unserem Leben gelegt. Für viele von uns sind die Eltern nahezu heilig und ihr Wort ist Befehl. Ist es nicht undankbar, Kritik an unseren Eltern zu haben und/oder sogar zu äußern? Nein. Es ist nicht undankbar, denn in unserem Prozess des Erwachsenwerdens lernen wir immer mehr über die Welt draußen, ihre Regeln und Normen, aber auch über andere Familien und eventuelle Anomalien.
Umso einfacher wird es für uns, das in unserer Familie Erlebte Revue passieren zu lassen und zu reflektieren. Dadurch, dass wir immer mehr Kontakte zu anderen Menschen haben, können wir das Erlebte vergleichen und besser einordnen. Dadurch erscheint das „Normale“, das wir bisher kannten vielleicht gar nicht mehr so normal. Unser Idealbild von den Eltern wird immer mehr entkräftet und auch ihre Macht über unser Leben und unsere Abhängigkeit wird immer kleiner.
Wir verlassen irgendwann das Elternhaus, haben unsere eigene Wohnung, unseren Alltag und Regeln, unser eigenes Leben und früher oder später auch unsere eigene Familie. Wir erkennen: Auch unsere Eltern sind nicht unfehlbar und können alles aus einer anderen Perspektive sehen. Das hat nichts mit Undankbarkeit zu tun, sondern vielmehr mit Augenhöhe. Wir sind ihnen dankbar für alles, was sie getan haben, sind aber auch erwachsen genug, um ihre Fehler zu erkennen und uns damit auseinanderzusetzen.
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