„Checkst du dein Handy vor oder während des Pinkelns am Morgen, nachdem du aufgestanden bist?“, heißt es gleich zu Beginn der neuen Netflix-Doku von Jeff Orlowski. Wenn du dich bei der Aussage ertappt fühlst, solltest du diesen Text nicht einfach wegklicken.
Wie lange ist es her, dass du Instagram, Facebook oder Google genutzt hast? Unter einer Stunde? Liest du diesen Text gerade auf deinem Smartphone und der Text wurde dir von einer der Plattformen sogar vorgeschlagen?
Gerade dann kann ich dir die neue Doku „The Social Dilemma“ auf Netflix nur empfehlen. Knapp eineinhalb Stunden, in denen ehemalige Manager(innen) und Entwickler(innen) aus den Chefetagen großer Tech-Unternehmen, von beispielsweise Facebook oder Pinterest, darüber berichten, wie uns die Plattformen manipulieren und ihr Geld verdienen.
Alle sind sich darin einig, unbeabsichtigt an der Schaffung eines Monsters beteiligt gewesen zu sein und die Menschen nun davor warnen zu wollen. Dich erwarten sämtliche Risiken und negativen Entwicklungen, die die Sozialen Medien mit sich bringen.
Klingt eher „ein schlechtes Gewissen machend“ anstatt interessant? Zugegeben, auch mein Netflix-Algorithmus hat erst spät gesiegt. Mehrere Male musste er mir die Dokumentation vorschlagen, bis ich sie schließlich anklickte. Auch persönlich auf die neue Doku angesprochen und regelmäßig von Netflix erinnert, entschied ich mich, ihr tatsächlich eine Chance zu geben.
News sehen anders aus
Zu Beginn frage ich mich noch, warum ich mir das jetzt wirklich ansehe? Schließlich nutzen Milliarden Menschen Social Media tagtäglich, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben, zu chatten, zu recherchieren, zu flirten und sich in Szene zu setzen. Wer auf den neusten Stand bleiben und nichts verpassen will, hat förmlich keine andere Wahl, als auf Social Media angemeldet zu sein und dort zu agieren.
Daraus resultierend: Soziale Netzwerke und das Smartphone durchgehend in der Hand zu haben, verändern unser Zusammenleben und beeinflussen den Alltag maßgeblich. Überraschend ist das nicht wirklich. Auch, dass Social Media negative Faktoren auf die Psyche hat, ist keine Neuigkeit. Ich würde mich als glücklichen, ausgeglichenen Menschen beschreiben und selbst mich lässt die rosarote Traumwelt aus Instagram manchmal nicht kalt, wenn bei mir nicht alles so läuft, wie ich es mir wünsche.
Wie muss es erst für Menschen sein, die insgesamt nicht so glücklich oder stabil sind? Die sich nicht regelmäßig in Erinnerung rufen, dass Storys und hochgeladene Bilder noch lange nicht das wahre Leben widerspiegeln und nur einen Bruchteil des Tages zeigen? Am Besten noch mit Filter und Weichmacher darüber…
Manipulation auf höchstem Niveau
Das waren alles keine neuen Erkenntnisse. Zumindest für mich. Ich hatte mich bereits in der Vergangenheit im Rahmen meiner Artikel mit den negative Einflüssen von Social Media auf unser Körperbild und unser Selbstbewusstsein sowie und unsere psychische Gesundheit auseinandergesetzt. Wer es bisher nicht getan hat, dem wird ein erneuter Grund geboten, neunzig Minuten zu investieren.
Ebenfalls nichts Neues: Soziale Medien ermöglichen es, Wahlen und Abstimmungen zu beeinflussen und vor allem eins: zu manipulieren. Die Technologien aus dem Silicon Valley seien definitiv als eine Bedrohung für die Menschheit zu werten. TikTok, Instagram und Co. nutzten die letzten Jahre immerhin erfolgreich, um ihre Algorithmen immer immer weiter zu perfektionieren. Das Resultat? Sie gehören zu uns wie angewachsene Körperteile. Wo wir auch hinsehen, hängen Leute an ihren Handys.
Aktuellen Zahlen zu Folge sind weltweit knapp eine halbe Millionen Menschen Social Media-süchtig. Erschreckende Zahlen, die mich nachdenklich stimmen. „Wir haben eine Welt erschaffen, in der die Online-Kommunikation das Wichtigste ist. Vor allem für jüngere Generationen und wenn zwei Menschen einen Dritten finanzieren, der dafür bezahlt, diese zwei Personen zu manipulieren, haben wir eine globale Generation erschaffen, in der Kommunikation und Kultur im wesentlichen Täuschung und Manipulation bedeuten.“
Als im Film dann auch noch diese Aussage fällt, reift in mir der feste Entschluss, zumindest im Ansatz etwas zu ändern. Weder gefällt mir das Gefühl, Dialoge über Online-Medien einem persönlichen Gespräch vorzuziehen noch möchte ich meine Kommunikation mit Attributen wie Täuschung und Manipulation verbinden. Zumindest nicht in dem Ausmaß.
Die 90 Minuten zeigen durch ihre Mischung aus harten, treffenden Aussagen der Tech-Mitarbeiter und einer fiktionalen Handlung durch einen Minifilm innerhalb der Dokumentation ehrlich und schonungslos, wie wir manipuliert werden. Dank Künstlicher Intelligenz und angepassten Algorithmen analysieren die Plattformen unser Nutzungsverhalten so gut wie noch nie. Die Dienste sagen unsere Präferenzen hervor und drücken uns in eine auf uns zugeschnittene, aber von ihnen manipulierte Schublade, um einen möglichst großen Umsatz durch speziell angepasste und ausgespielte Werbung zu erreichen. Was für die Plattformen zählt, ist einzig und alleine unsere Aufmerksamkeit. Dass diese negativen Faktoren, wie Mobbing oder Sucht, mit sich ziehen, wird eben in Kauf genommen.
Bewussterer Nutzen anstatt Löschen der Apps
Nach dem Schauen der Doku habe ich mein Smartphone zwei Tage lang zur Seite gelegt und nicht einmal benutzt. Traurig genug, dass ich das hier fast stolz schreibe. Allerdings ging es mir nicht darum, jemanden etwas zu beweisen, sondern schlichtweg mein eigenes Nutzerverhalten zu hinterfragen. Und ja: mir hat mein Handy oft gefehlt. Während ich das Surfen im Internet oder das Posten von Bildern so gut wie gar nicht vermisst habe, hat mich der fehlende Kontakt zu Freunden und Familie und das Gefühl etwas verpassen zu können, gestört.
Ob ich künftig auf Soziale Medien verzichten werde? Zugegeben: nein. Ich werde weiterhin nach dem Aufstehen meine WhatsApp-Nachrichten checken, Facebook nutzen und Bilder auf Instagram hochladen. Zudem habe ich einen Beruf gewählt, der die Sozialen Medien in den Fokus meiner Arbeit rückt. Und die liebe ich samt aller aus Social Media entstehenden Herausforderungen. Mein Ziel ist allerdings ein bewussterer Umgang – gerade privat. Auch wenn ich mir die Doku in erster Linie angesehen habe, weil sie mir empfohlen wurde, kann ich nicht abstreiten, dass sie mich auch im Nachhinein beschäftigt.
Mir ist jedoch aufgefallen, dass zumindest für mich tatsächlich der direkte Kontakt zu anderen Menschen im Vordergrund meiner Smartphone-Nutzung steht und darauf möchte ich auch in Zukunft nicht verzichten. Gerade beim Kennenlernen oder wenn Freunde und Familie weiter entfernt wohnen, bieten die neuen Technologien fantastische Möglichkeiten. Über Soziale Medien erfahren wir zudem weiterhin viel von Leuten, die wir sonst vielleicht aus den Augen verlieren würden.
Auch wenn Social Media künftig weiterhin einen großen Stellenwert in meinem Leben einnehmen wird, habe ich mir fest vorgenommen, mein Handy öfters bewusst zur Seite zu legen. Momente realer zu erleben und echte Erlebnisse verstärkt zu genießen, anstatt mich von dem Klingeln meines Smartphones ablenken zu lassen. Im Verhältnis zu echten Unternehmungen ist ein Telefon doch irgendwie uninteressant. Wenn ich mal alt bin, möchte ich mich auf jeden Fall lieber an wahrhaftige Emotionen und Erlebnisse erinnern als an viel zu viele Stunden an meinem Handy und die Manipulation durch Social Media.
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