Bis heute regelt das Konkordat (von lateinisch „concordatum“ – „Vereinbarung, Vertrag“) das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland. Und bis heute ist es umstritten, steht es doch am Anfang des Verhältnisses der Katholischen Kirche zum Nationalsozialismus. Aus den heute zugänglichen Quellen geht hervor, dass die Initiative zum Konkordat von Berlin ausging. Vor der Weltöffentlichkeit sollte der Konkordatsabschluss aus Sicht der Nationalsozialisten die Kompromissbereitschaft Hitlers zeigen und den Verdacht der Kirchenfeindlichkeit des Regimes widerlegen. Dem Heiligen Stuhl schien es die einzige Möglichkeit zu sein, den Status der Katholischen Kirche als öffentliche Einrichtung im Deutschen Reich aufrechtzuerhalten.
Gleichschaltung der Kirche verhindert
Der 34 Artikel umfassende Vertrag ermöglichte unter anderem die öffentliche Ausübung des katholischen Glaubens, erhielt die katholischen Fakultäten an den Universitäten aufrecht, schützte kirchliches Eigentum und gewährleistete den Religionsunterricht an den Schulen. Das Zentrum aber, so der Potsdamer Historiker Thomas Brechenmacher, war die Bestandsgarantie des Staates für katholische Organisationen, die „ausschließlich religiösen, kulturellen und karitativen Zwecken“ dienten. Damit war eine Gleichschaltung der Kirche verhindert und die Seelsorge gesichert. Im Gegenzug verbot der Vertrag den katholischen Geistlichen jegliches parteipolitische Engagement. Das Konkordat, so Konsens der Forschung, ermöglichte also vielen Katholiken, weiterhin in katholischen Verbänden und Vereinen aktiv zu sein und verhinderte zugleich, dass der NS-Staat katholische Priester vereinnahmen konnte.
Unterzeichnet haben das Abkommen die beiden Verhandlungsführer Vizekanzler Franz von Papen auf deutscher Seite und Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., auf der Seite des Vatikans. Hitler hatte freilich nie vorgehabt, den Vertrag zu erfüllen. Noch im Jahr des Abschlusses setzte sich das NS-Regime mehrmals über den Vertrag hinweg. Spätestens 1937 waren die Verletzungen des Konkordates durch die nationalsozialistische Diktatur so deutlich, dass sich Pius XI. veranlasst sah, das Vorgehen der Nazis in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ zu brandmarken.
Ausmaß des Unrechtsregimes unterschätzt
Hat der Vatikan aber nicht durch das Reichskonkordat die Katholiken über den wahren Charakter des NS-Regimes getäuscht und den katholischen Widerstand entgegengewirkt? Nein, meint die Bonner Kirchenhistorikern Gisela Muschiol. Die Katholiken hätten sich nicht über den Charakter des NS-Regimes getäuscht, was beispielsweise das ursprüngliche Verbot der Doppelmitgliedschaft belege (Katholiken exkommunizierten sich selbst, wenn sie in die NSDAP eintraten). Zudem sei im Rückblick deutlich, dass Katholiken eine höhere Resistenz als andere Gruppen gegenüber den Nazis hatten. Dennoch hätten die Katholiken 1933 wie viele andere auch das Ausmaß des Unrechtsregimes unterschätzt: „Dass ein Regime von vornherein den Rechtsstaatscharakter nicht einhalten wollte, das haben die allerwenigsten erkannt“, so die Kirchenhistorikerin.
Auch dem Stuttgarter Neuzeithistoriker Carsten Kretschmann zufolge bezog die Kirche aus dem Konkordat die Kraft „wenn schon nicht zum Widerstand, so aber doch zu permanenter und konsequenter Nichtanpassung.“ Der Großteil der Experten teilt diese Einschätzung. Andere fragen dennoch: Darf die Kirche überhaupt eine Vereinbarung mit einer Diktatur treffen? Hat der Vatikan nicht indirekt das Regime anerkannt? Der Vorwurf, der diesen Fragen innewohnt, die Katholische Kirche habe sich moralisch schuldig gemacht, hat für Muschiol in der Forschung zum Konkordat nichts verloren. Das Reichskonkordat sei keine sakrale Handlung und kein moralischer Appell gewesen, sondern ein Vertrag zwischen zwei Staaten.
„Das Konkordat hat geholfen, den NS-Staat zu überstehen“
„Das Konkordat ist also ein juristisches Instrument und aus dieser Funktion heraus muss man sagen, dass die Aspekte von Moral, Schuld und Sühne nicht in diese Diskussion hineingehören“, so die Bonner Professorin. Wenn man dennoch diese Kategorien anwende, dann habe das Abkommen eher das Gegenteil von moralischer Schuld mit sich gebracht, nämlich moralische Kraft verliehen: „Die Katholiken konnten sich immer wieder auf eine bestimmte Rechtsposition zurückziehen und nachweisen, hier bricht der Staat Recht. Ohne Zweifel hat das Konkordat vielen Katholiken geholfen, den NS-Staat zu überstehen“, ist sich Muschiol sicher.
Doch zu welchem Preis hat der Heilige Stuhl den Vertrag abgeschlossen? Genau an dieser Frage entbrannte 1977 die Scholder-Repgen-Debatte zwischen dem Kirchenhistoriker Klaus Scholder und dem Neuzeithistoriker Konrad Repgen. Der inzwischen verstorbene Scholder behauptete einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zustimmung der katholischen Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 und der Aufnahme der Konkordatsverhandlungen am 10. April sowie zwischen der Auflösung der Partei am 5. Juli und dem Abschluss des Konkordates. Kurz gesagt, ein Tauschgeschäft: Reichskonkordat gegen Ermächtigungsgesetz und Ende des Zentrums. Repgen widersprach diesen kausalen Zusammenhängen und sah hingegen im Konkordat die völkerrechtliche Basis, von der aus die Katholische Kirche versuchte, der NS-Diktatur Widerstand zu leisten.
Scholder-Repgen-Debatte
Scholder stützte sich bei seiner Argumentation auf die Memoiren des ehemaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning, von denen heute bekannt ist, dass nicht glaubwürdig sind. Zudem geht die Forschung davon aus, dass sich das Zentrum so aufgelöst hat wie alle anderen Parteien vorher auch. Den Quellen zufolge hat die Auflösungsmeldung im Vatikan sogar Bedauern ausgelöst, da man gehofft hatte, das Zentrum würde noch länger standhalten, um Roms Verhandlungsspielraum zu erweitern. „Die von Scholder vertretene, sogenannte Junktim-Hypothese, ist auch aus den vatikanischen Akten nicht beweisbar“, meint denn auch Brechenmacher. Und Muschiol fasst die Debatte so zusammen: „Klaus Scholder hat aufgrund einer Indizienkette ohne Beweise, eine Behauptung aufgestellt und diese dann als Wahrheit verkauft; das dürfen Historikerinnen und Historiker allerdings nicht tun.“
Mit neuen Erkenntnissen über das Zustandekommen des Reichskonkordats ist kaum zu rechnen. Der Sammelband von Brechenmacher („Das Reichskonkordat 1933“) und die Darstellung von Wolf („Papst & Teufel“) zeigen, dass die jüngsten Öffnungen der vatikanischen Archive 2003 und 2006 keine umstürzenden Ergebnisse erbracht haben. Wie man das Reichskonkordat auch bewerten mag, das zentrale Problem bleibt, dass wir in der Retrospektive auf das Abkommen schauen. „Wir wissen heute, dass ein Regime wie das nationalsozialistische von Anfang nicht vorhatte, sich an diesen Vertrag zu halten, während der Vatikan das Konkordat unter der Prämisse, ein juristischer Vertrag ist ein juristischer Vertrag, abgeschlossen hat und diesen aus seiner Sicht auch so halten wollte“, so Muschiol.
Konkordat ist heute noch gültig
Ein prominentes Beispiel zeigt, dass das Reichskonkordat auch nach dem Krieg noch gültig ist: Der Kölner Erzbischof, Josef Kardinal Frings, wurde 1946 CDU-Mitglied, musste jedoch auf Betreiben des Vatikans wieder aus der Partei austreten. Der Heilige Stuhl hielt an der parteipolitischen Neutralität des Klerus fest, wie sie im Konkordat vereinbart worden war. Während Italien und Spanien vergleichbare Verträge nach dem Krieg revidierten, erklärte das Bundesverfassungsgericht das Reichskonkordat 1957 denn auch für völkerrechtlich weiterhin wirksam.
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