Nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris war ganz Europa erschüttert. Der Terror ist in Europa angekommen. Monate später kehrt der Terror in noch viel größerem Ausmaß nach Paris zurück. Gedanken zum Geschehen von Andrea Schöne.
Ich wache auf und schaue auf mein Handy. Es ist kurz nach Mitternacht. Der Unitag war anstrengend. Auf meinem Handy lese ich auf Facebook Meldungen von Freunden, dass sie sicher in Paris sind. Ich wundere mich, verstehe nicht, was mir Facebook diesmal damit sagen will. Schlaftrunken setze ich mich an meinen Laptop, will eigentlich nur meine E-Mails lesen, aber dann erreicht mich die Eilmeldung. 60 Tote bei einem Terroranschlag in Paris. Ich konnte es zunächst kaum glauben und meine Mails waren sofort vergessen, unwichtig. Auch jetzt noch, wo ich diese Zeilen schreibe. An schlafen ist nun auch nicht mehr zu denken. Die ganze Nacht nicht.
#PrayForLife
Sofort habe ich mir die Eilmeldungen im Live-Ticker durchgelesen. Schrecken. Angst und Schrecken. Nun verstehe ich auch, was die Meldungen „Bin in Sicherheit“, Standort Paris auf Facebook bedeuten, die ich wenige Minuten zuvor gelesen habe. Sofort beginne ich noch weiter zu recherchieren, was sich genau ereignet hat und lese eine Meldung nach der anderen auf Facebook. Panisch fällt mir ein, dass sich eine Freundin von mir gerade in Paris aufhält. Sie absolviert dort ihr Erasmusstudium und hat viel Spaß. Jedenfalls hatte sie diesen. Was ist, wenn sie nicht mehr lebt? Dann sehe ich den grünen Punkt bei ihrem Namen auf Facebook, sie ist online. Es ist so ein unheimlich schöner Moment als sie mir antwortet, dass es ihr gut geht. Leben, das einzige was jetzt zählt ist Leben.
#PrayForParis
Ich habe einige Bekannte, die in Frankreich studieren und erkundige mich auch nach ihrem Wohlergehen, selbst bei Leuten, von denen ich sonst eher weniger höre. Die Welt rückt sehr schnell zusammen. Und ich bin sehr froh, dass es jedem aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, der sich in Frankreich befindet, gut geht. Aber die Menschen haben das starke Bedürfnis sich auszutauschen. Besonders, wenn du dich selbst gerade im Ausland befindet. Ich studiere gerade für ein Jahr in Italien, im Rahmen des Erasmusprogramms. Ich selbst schreibe mit zwei Freundinnen, die auch ihr Auslandsstudium machen. Wir sind alle zusammen schockiert und wollen in dem Moment nicht alleine sein. Sofort erkundigt sich jeder bei französischen Freunden, ob es ihnen gut geht und sind beruhigt, als wir alle erfahren, dass niemand aus ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis betroffen ist. Auch ich freue mich darüber sehr, auch wenn ich ihre Freunde und deren Familie nicht kenne. Im Schrecken zählt nur das Leben. Ich erkundige mich bei einer französischen Freundin, welche ich während meines Auslandssemesters kennengelernt habe und freue mich sehr darüber, dass auch aus ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis niemand betroffen ist. Sie freute sich sehr über meine Nachfrage.
Die meisten Toten in Paris gab es während eines Heavy Metal-Konzerts in der Konzerthalle Bataclan. Ich denke daran, dass auch ich in zwei Wochen auf ein Heavy Metal-Konzert in Bologna gehen will. Ich muss schlucken.
In einem Bericht lese ich, dass die IS sich zu der Attentatsserie bekannt und ausdrücklich auch London, Washington und Rom mit Anschlägen gedroht hat. Schon ist die Gefahr näher. Ist bereits der nächste Anschlag in Planung? Wann wird dieser stattfinden? Ich denke daran, dass ich Ostern nächstes Jahr im Vatikan verbringen will. Sollte ich angesichts der Gefahr nicht besser Rom meiden? Oder soll ich gar besser nicht auf das Konzert gehen?
#PrayForPeace
Ich mache mir gleichzeitig Sorgen um die politische Lage in Deutschland. Von Italien aus bekomme ich vor allem die Hetze gegenüber den Flüchtlingen bei Social Media mit. Es ist unfassbar mit welch einem Hass den Flüchtlingen begegnet wird, wo im letzten Jahrhundert Millionen von Deutschen selbst auf der Flucht waren. Die Flüchtlinge fliehen vor Hass, der alles zerstören will. Und treffen auf erneuten Hass in Europa, das für Freiheit, Gleichheit und Solidarität einstehen will.
In Paris wurden während der Anschlagsserie Notfallnummern eingerichtet und über Twitter Flüchtenden Unterkunft gewährt. Lasst uns ebenfalls für die Flüchtenden aus dem Nahen Osten, welche dasselbe Leid, welche die IS-Terroristen in Paris verbreitet haben und die Flüchtlinge jeden Tag erfahren mussten, Unterkunft gewähren.
Gerade in diesem Moment der Fassungslosigkeit darf auf keinen Fall die Menschlichkeit, Freiheit und Frieden in Vergessenheit geraten.
Während des Attentats wurden auch die Menschen in Paris kurzzeitig zu Flüchtenden. Menschen in Not, die Angst um ihr Leben hatten. Es gibt laut Medienberichten über hundert Tote, wie viele es sind kann noch nicht genau gesagt werden. Menschen trauen um ihre Angehörigen.
Leider lese ich schon jetzt viel erneute Hetze gegen Flüchtlinge, gemischt mit Angst, dass sich unter den Flüchtlingen auch Terroristen verstecken könnten. Leider ist es eine traurige Gewissheit, dass auch das passieren kann. Aber lasst uns nicht die Familien im Nahen Osten vergessen. Genau das wollen die Terroristen erreichen. Unser Wertesystem von Frieden, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit zerstören, indem wir unseren Mitmenschen misstrauen. Hilfesuchenden misstrauen. Hass lässt sich nicht durch Hass bekämpfen. Hass zerstört. Die Liebe zu einem Menschen lässt sich auch nicht durch Hass zerstören. Wir dürfen die Terroristen nicht gewinnen lassen. Wenn sie unser Leben lahm legen und unser Herz vergiften, dann haben sie ihr Ziel erreicht.
Daher werde ich auch auf das Konzert gehen. Und Ostern in Rom feiern. Und ich habe beschlossen nach meinem Auslandsstudium in Italien mich selbst aktiv für Flüchtlinge zu engagieren.
#PrayForTheWorld
Lasst uns trotz der Schreckenstaten in Paris nicht vergessen, welches Leid andere Menschen auf der Welt jeden Tag erfahren müssen. Tausende Menschen auf dieser Welt müssen hungern, haben kein Dach über dem Kopf und sind täglich vor Diskriminierung, Tod oder Naturkatastrophen verfolgt. Lasst uns Elend und Leid in anderen Teilen der Welt nicht zum Alltag werden, nur weil es weiter weg ist. An diesem Freitag, dem 13. November, gab es durch die IS auch einen Terroranschlag mit über 40 Toten im Libanon und einen weiteren in Bagdad mit 18 Toten. Mexiko wurde von einem Hurrikan getroffen. In Japan gab es ein schweres Seebeben mit Tsunamiwarnung, welche glücklicherweise wieder aufgehoben wurde.
Statt dem Hashtag #PrayForParis, appelliere ich daher nicht nur für Paris und alle Betroffenen dort zu beten, sondern für alle Menschen, auf dieser Welt, welche bitteres Elend erfahren müssen. In diesem Sinne: #PrayForTheWorld.
Ernesto Lukschik
Es ist grundsätzlich richtig was Du schreibst Andrea, aber Du hast leider keinen Blick zurück in die Geschichte geworfen. Seit beinahe einem Jahrtausend, beginnend mit den Kreuzzügen, über den Kolonialismus und Imperialismus bis zum heutigen Neokolonialismus werden weltweit Länder, und Völker der “dritten Welt” vornehmlich von Europäern später auch den Yankees geknechtet, ausgebeutet, gemordet, vergewaltigt, versklavt … besonders beliebte Gebiete waren und sind Nordafrika und der Nahe Osten im weitläufigen Sinn. Gegenwehr wurde und wird meist blutigst niedergeschlagen und führt(e) selten zum Erfolg. Sehr vielen Menschen in diesen Gebieten sind somit ebenfalls seit rund tausend Jahren die Europäer, der Westen, die Weißen oder wie auch immer von Grund auf verhasst. Ausgebeutet und verarmt, häufig in einer Situation, in der sie nichts mehr zu verlieren haben, werden sie willfährige Anhänger und Unterstützer von Ideologien und Gruppierungen, die den Kampf gegen die inzwischen seit Tausend Jahren anhaltender Unterdrückung und Ausbeutung proklamieren. Besonders leicht fällt die Entscheidung in den Krieg zu ziehen, wenn auch noch die gemeinsame Religion in die Waagschale geworfen wird. Bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts handelte es sich auch noch meist um Kriege im herkömmlichen Sinne, da noch ein gewisser Grad an Waffengleichheit herrschte. Mit zunehmenden Einsatz von Hightechwaffen seitens der “erste Welt”-Länder schwindet diese Waffengleichheit jedoch so beträchtlich, dass der sogenannte Terrorismus als einzig gelegentlich erfolgversprechende Kampfform verbleibt. Erfolg nicht nur gemessen an der Anzahl der Toten, sondern auch an der langfristigen, fast alle Lebensbereiche umfassenden Einschränkungen und Aufgabe von Freiheiten, Rechten, Datenschutz etc zu Gunsten diverser, viele Milliarden teurer, sogenannter Antiterrormaßnamen, wie es bisher nach 9/11 besonders deutlich zu spüren ist und es nunmehr noch deutlicher zu spüren sein wird. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich will hier weder Terrorismus noch IS in irgendeiner Form für gut heißen, sondern lediglich aufzeigen, dass wir (die “erste Welt”) seit nicht allzu langer Zeit, die Suppe löffeln müssen, die wir uns seit etwa tausend Jahren eingebrockt haben.