Es ist ein seltsamer Menschenschlag, der in allen Gesellschaften seine Nische gefunden hat. Auf dem ersten Blick hat er überhaupt keinen Nutzen, denn oft ist er alleine oder nur unter Seinesgleichen zu finden, außerdem schwer erreichbar und jedes Mal wenn er zurückkommt wieder ein Stück anders, als man ihn in Erinnerung hat. Die Rede ist vom Reisenden.
Alleine schon die Herkunft des Typus „Reisender“ ist schwer ausfindig zu machen, da sowohl junge Menschen aus bescheidenen Verhältnissen als auch aus gutgestellten Familien ganz plötzlich und ohne Vorwarnung dieses seltsame Ziehen im Herzen und den Drang zum Fortgehen spüren. Tendenzen können bei unternehmungslustigen Mädchen und Jungen früh erkennbar sein, bei anderen bricht sich dieses sehr emotionale Gefühl erst spät und heftig bahn.
Es sind viel eher Kleinigkeiten, die sie – wir – alle gemeinsam haben. Tagträumerei von fremden Ländern, eine gewisse Sturköpfigkeit gegenüber den Bedenken anderer und vielleicht sogar eine unverhältnismäßig starke Sensibilität, um nur ein paar zu nennen. Mutiger als andere sind Reisende definitiv nicht, denn jeder kennt das flaumige Gefühl im Magen, wenn es ins Unbekannte geht. Aber im Gegensatz zu anderen Menschen kann ein Reisender sich diesem Gefühl nicht mehr entziehen, sobald er den ersten Schritt gegangen ist.
Magie des Fremden
Die Eigenschaften, die den Reisenden Zuhause ein bisschen seltsam erscheinen lassen, zahlen sich plötzlich in den Welten aus, die er bereist. Mit Hingabe und Leidenschaft nimmt er die neuen Einflüsse auf – Gerüche, Stimmen, Lärm, Farben, Formen und Geschmäcker – wodurch sein Kopf in den ersten Tagen so schwer wird, dass er abends in einen Tiefschlaf fällt. Je länger der Reisende in der Ferne verweilt, desto mehr kann er sich in diesem bunten Gemisch aus exotischen Eindrücken verlieren.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer, denn manch einer weiß am Ende gar nicht mehr, wohin er eigentlich gehört. Irgendwann wird ihn auch das Heimweh plagen, insbesondere in den dunklen Stunden seiner Reise: etwa bei Krankheit oder wenn die Ferne uns eine harte Lektion in Sachen Vertrauen erteilt. Zum ersten Mal wird der Reisende dann erfahren, was es heißt, sich dem Unbekannten wirklich alleine stellen zu müssen. In diesen Momenten ist der Reiz, nach Hause zu gehen, sehr groß und manche halten es wirklich nicht mehr aus. Sie kehren zurück, einige mit einem Lächeln, andere völlig desillusioniert.
Wer aber die dunklen Stunden durchhält, wird mit einem Mal feststellen, dass er sich nicht mehr auf einer Urlaubsreise in der Ferne befindet, sondern beginnt ein echtes und vor allem eigenes Leben zu führen. Dinge wie Bräuche, Sprachen und das Klima werden uns vertraut. Emotionale Bindungen mit fremden Menschen tragen ihre ersten Früchte, zwar noch zaghaft, aber genug, dass sie den Reisenden mit Stolz erfüllen, denn er hat sich in der Ferne etwas aufgebaut.
Oft findet sich der Reisende hier wieder an einem Scheideweg. Denn er könnte ja bleiben und diesen fremden Ort zu seiner neuen Heimat machen. Und manche sind tatsächlich so berührt von dem, was ihnen ihr eigenes kleines Schangrila bietet, dass sie sich niederlassen. Andere hingegen fühlen, dass ihre Reise noch nicht zu Ende ist. Das muss gar nicht bedeuten, dass sie zu den bereisten Orten und Menschen keine emotionale Bindung aufbauen. Manche spüren vielleicht erst im Fortgang ihrer Reise, dass es sie zu einem ganz bestimmten Ort zurückzieht.
Entfremdung der Heimat
Eine der seltsamsten Erfahrungen, die fast alle Reisenden machen, ist die Rückkehr zu dem Ort, aus dem sie stammen. Dinge, die uns früher alltäglich erschienen, wirken nun auf bizarre Art fremd und vertraut zugleich, wie eine verzerrte Realität. Denn natürlich haben sich die Menschen und Orte in der Heimat mit der Zeit verändert. Denkweisen und Moralitäten, die für uns früher eine Selbstverständlichkeit waren, entsprechen möglicherweise gar nicht mehr unserem Gedankengut. Im Grunde endet die Reise gar nicht mit der Rückkehr, sondern geht mit der Wiederentdeckung des Heimatlandes gerade so weiter. Manche Reisende verlieben sich auf diese Weise neu und beschließen am Ende, dass ihre Heimat die schönste der Welt sei. Für andere wirkt sie dagegen bereits zu unwirklich, weshalb sie sich woanders niederlassen. Oder erneut auf Reisen gehen. Ein echter Teufelskreis.
Ein anderes Hindernis, dem viele Rückkehrer in der Heimat begegnen, ist das eigene Zurechtfinden unter den Mitmenschen. Denn natürlich hat man auch sich selber im Laufe der Reise verändert. Interessen und Gesprächsthemen decken sich nicht mehr mit denen des alten Freundeskreises. Man selber gilt vielleicht als abgehoben, während man dem Gesprächspartner Kurzsichtigkeit vor dem eigenen Tellerrand vorwirft.
Auch beginnen Rückkehrer damit, kulturelle Verhaltensweisen ihrer Heimat aus einer anderen Perspektive zu betrachten und nicht alle werden sich als gut herausstellen. Manche Reisende suchen deswegen gezielt nach Gleichgesinnten, um Halt zu finden. Andere beschließen, zwischen ihrer alten Heimat und der neuen Welt Brücken zu schlagen und bewerben sich als Vermittler, Übersetzer oder Vertreter im Ausland. Wieder andere assimilieren sich sogar mit Erfolg vollends und bleiben den Rest ihres Lebens im Heimatland, die Erlebnisse und Erfahrungen aus der Ferne im Herzen tragend.
Eine gängige Umgangsform mit der inneren Entfremdung ist das Motivieren jüngerer Menschen zum Reisen, etwa durch Vorträge oder das Schreiben von Büchern, Artikeln und Blogs. Es geht nicht nur darum, andere mit unseren Geschichten zu beeindrucken oder mit der Erzählung Ordnung in unserem Kopf zu schaffen. Denn gewissermaßen leiten wir den Weckruf für die nachfolgende Generation Reisender ein, die nur auf ihren Schlüsselmoment zum Fortgehen gewartet hat. Gerne erzählen wir den Jüngeren von unseren verrücktesten Begegnungen, der Exotik des Fremden und magischen Momenten. Oft und wohlweislich lassen wir dabei die dunklen Stunden wie Krankheiten, Enttäuschungen, Einsamkeit und ernsthafte Gefahren aus. Denn für jemanden, der sie nicht zusammen mit der einhergehenden Schönheit der Ferne kennenlernt, wirken solche Berichte furchteinflößend und abstoßend.
Dennoch: Würden wir sogar aktiv danach suchen, wäre es schier unmöglich auch nur einen Reisenden zu finden, der seine Entscheidung, in die Ferne zu gehen, tatsächlich bereut. Denn es scheint ein bestimmter Typ Mensch zu sein, der nichts anderes tut, als seiner Natur gemäß zu handeln. So seltsam das klingt.
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