Der europäische Blick auf Ostasien ist oftmals beschränkt auf Japan und China. Dabei vergisst man schnell, dass zwischen den beiden Nationen ein Land liegt, das in seiner gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Landschaft fast ebenso eindrucksvoll und vielfältig ist, wie seine Nachbarn: Südkorea. In meinem Auslandssemester in Seoul konnte ich einen Eindruck vom Land und den Menschen im Land bekommen, der meinen Blick auf Ostasien veränderte.
Peking. Spätestens seit der farbenfrohen und prunkvollen Olympiade 2008 ist diese Stadt in unseren Köpfen. Auch Berichte über die steigende Schadstoffbelastung in der Millionenmetropole lassen sie immer wieder durch unsere Schlagzeilen flackern.
Tokyo. Mit rund 37 Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum der Welt (statista.de), ist diese Megacity wohl jedem Europäer bekannt. Auch japanische und chinesische Restaurants sind in unseren Breitengraden bekannt und beliebt; nicht jeder mag Sushi oder Chop Suey, aber jeder hat es schon einmal probiert. Keine Frage: China und Japan sind in unserem Bild von Ostasien die dominierenden Nationen. Doch da gibt es noch mehr. Da gibt es noch ein kleines Land, das in der medialen Aufmerksamkeit oftmals vom dunklen Schatten seines nördlichen Bruders verdeckt wird: die Republik Südkorea.
Seoul. Die Hauptstadt Südkoreas. Im Gegensatz zu Peking oder Tokyo hatte ich noch nicht viel über diese Metropole gehört. Viele Fragen stellte ich mir deshalb, als ich die Zusage für mein Auslandssemester in Südkorea bekam. Wer und wie sind die Koreaner, wo liegen ihre Wurzeln, wie klingt ihre Sprache, wie sicher ist ihre Hauptstadt, die 50 Kilometer von der Grenze Nordkoreas entfernt liegt? Nach drei Monaten hier weiß ich: der 11-Millionen-Einwohnerstadt wird viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Sie ist riesig und im selben Moment gemütlich und familiär, sie ist laut und kann beruhigen, sie ist modern und gleichzeitig traditionsgebunden und wer sie nicht liebt, kann sie doch niemals hassen.
Seoul – hochmoderne Metropole im Grünen
Am 20. August 2015 kam ich mit dem Flieger am Incheon International Airport bei Seoul an. Incheon ist eine Millionenstadt an der Westküste Südkoreas, welche Richtung Osten fließend in Seoul übergeht. Nach einer langen Flugreise stiegen mein Kommilitone und ich also in einen Bus, um in einer einstündigen Fahrt ins Zentrum von Seoul zu gelangen. Schon hier wurde klar – diese Stadt hat einiges zu bieten: das Meer im Westen, Berge im Norden und Osten, geteilt durch den riesigen Han-Fluss, begrüßte uns Seoul mit einer wunderschönen Szenerie. Im Zentrum angekommen, bot sich uns der erwartete Anblick von Wolkenkratzern, vielbeschäftigten Menschen in Anzug, das Smartphone immer griffbereit. Im Fernsehen lief gerade die Berichterstattung über die damals aktuellen gegenseitigen Provokationen Nord- und Südkoreas. So wurden wir direkt hinein katapultiert in eine Welt, die wir erst seit kurzem aus Dokumentationen und unserem Reiseführer kannten.
Seit den ersten Tagen, in denen wir noch mit der neuen Währung, dem schwül-warmen Wetter und der unbekannten Sprache zu kämpfen hatten, hat sich mein Bild von Seoul, Korea und von Ostasien im Ganzen, in vielerlei Hinsicht verändert. Eine der ersten Auffälligkeiten hier ist die Technisierung des Alltags: jede/r Koreaner/in hat ein Smartphone – natürlich von Samsung oder LG, den „hauseigenen“ Marken Koreas – die U-Bahnen fahren ohne Lokführer und es gibt eine Kreditkarten-ähnliche Prepaidkarte, mit der man in U-Bahn, Bus, Taxi und auch in den meisten Supermärkten und einigen Cafés zahlen kann (T-Money Card). Im Allgemeinen zahlen die Menschen hier so viel wie möglich mit Kreditkarte – jeden Kaffee, jedes Bier, jedes Essen, jeden Kugelschreiber – da passiert es schon einmal, dass an der Kasse für einen unterschrieben wird. Am markantesten für mich ist die Abhängigkeit aller Altersgruppen von Smartphones – was bei einem der schnellsten, frei zugänglichen Wlan-Netze der Welt eigentlich kaum verwundern sollte. Überall in der Stadt hat man „Free WiFi“ und in jeder Lebenssituation sehen sich Koreaner Serien an, chatten auf Kakao-Talk oder Spielen Candy Crush. Das ist leicht ansteckend, für eine Auszeit ohne Smartphone ist ein Auslandssemester in Seoul deshalb nicht zu empfehlen.
Korea – Pop-Kultur trifft Tradition
Ein weiteres Phänomen war für mich von Anfang an K-Pop. Asienweit beliebt und bekannt, ist diese koreanische Musik- und Tanzrichtung – bis auf Gangnamstyle von Psycho – in Europa noch nicht wirklich angekommen. In einem Mix aus Koreanisch und Englisch singen verschiedene Boy- und Girl-Groups (bspw. EXID) meist über gelungene, ersehnte oder zerbrochene Liebe. Mir haben sie geholfen Koreanisch zu lernen, andere tanzen dazu und sie machen sich auch als Party-Hits erstaunlich gut! Neben dieser modernen Popkultur hat Korea seine Wurzeln nicht vergessen und mit traditioneller Musik und Tänzen viel zu bieten. Über das ganze Land verteilt findet man Tempel, Paläste und buddhistische Schreine, in denen das ganze Jahr über Festivals und Feierlichkeiten abgehalten werden. Doch nicht nur der Buddhismus ist hier heimisch. Aus China und Nordamerika wurden Katholizismus und Protestantismus auf der koreanischen Halbinsel eingeführt. Mehr als die Hälfte aller Koreaner mit Religionszugehörigkeit sind Christen, wobei auch der Anteil der Atheisten in Korea vergleichsweise hoch ist.
Ein kleines Land mit großem Einfluss
Auch politisch spielt Südkorea in Ostasien eine besondere und für mich etwas unerwartete Rolle. Seit 1953 entlang des 38. Breitengrades geteilt, treffen hier Konfliktlinien und Sensibilitäten nicht nur zwischen Nord- und Südkorea aufeinander. China, Japan und auch die USA und Russland sind Interessenvertreter im Koreakonflikt, erhoffen sich oder fürchten eine Wiedervereinigung der geteilten Nationen – die sich im Übrigen komplexer darstellt, als ich es jemals erwartet hätte. Gerade als deutsche Politikstudentin ist das Thema der Wiedervereinigung Koreas sehr interessant für mich. Unerwartet ist Koreas Rolle in den ostasiatischen internationalen Beziehungen für mich deshalb, da ich den Einfluss dieses flächenmäßig kleinen Landes vorher nicht wirklich in Betracht gezogen hatte. Ostasien wird aus europäischer Sicht oftmals auf China und Japan reduziert, dabei ist Korea mit seiner starken Wirtschaft und den weltweiten Exporten seiner Autos, Elektrogeräte und vieler weiterer hochwertiger Produkte nicht zu unterschätzen. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Land von einem Entwicklungsland zu einer Industrie- und IT-Nation hochgearbeitet und steht nun auf dem Weltmarkt Seite an Seite mit seinen beiden Nachbarn Japan und China. Die gute Arbeitsmoral und Emsigkeit der Koreaner hat dazu sicher seinen Beitrag geleistet – die koreanische Gesellschaft ist definitiv eine Leistungsgesellschaft.
Die Koreaner selbst erlebe ich als gastfreundlich, ehrlich und hilfsbereit. In den drei Monaten meines Aufenthaltes habe ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Blickt man im Stadtzentrum Seouls verloren durch die Gegend, kommt bald jemand und führt einen mit GPS und einer freundlichen Empfehlung für weitere Sehenswürdigkeiten zum gesuchten Ort. Spricht man gar ein paar Worte Koreanisch, bekommt man ein freudiges Lächeln geschenkt und oftmals eine kleine Geschichte auf Koreanisch erzählt, die ich leider noch nicht verstehen kann. Der gegenseitige Umgang der Koreaner ist sehr freundlich und respektvoll. Fremden gegenüber sind sie aufgeschlossen und zumal auch etwas neugierig. Ich hatte keine speziellen Erwartungen als ich hier her kam, es ist mein erstes Mal in Asien. Doch Korea und vor allem Seoul bieten mir jeden Tag neue spannende Überraschungen. Ob Wandern, Baden, Kulturprogramm, gutes Essen und Trinken oder wunderschöne Tempel – hier wird einem sicher nicht langweilig! Ich bin beeindruckt von der Vielfalt dieses Landes und freue mich darauf, was die Weihnachtszeit nun mit sich bringen wird.
Schreibe einen Kommentar