Ich setzte einen Fuß auf den Boden in den Townships und schaute mich um. Nervös schob ich mein Handy, mit dem ich in Deutschland offen telefonierend durch die Fußgängerzone laufe, etwas tiefer in die Tasche. Denn ich war mir sehr sicher, dass mein Telefon mehr wert war, als einige Familien hier im Jahr zur Verfügung hatten.
Im August vergangenen Jahres reiste ich mit der Organisation Praktikawelten (www.praktikawelten.de) nach Südafrika. Ich wollte vier Wochen lang in einer Kindertagesstätte in den Townships im Western Cape in Südafrika aushelfen. Ende Juli verabschiedete ich mich von meinen Eltern und setzte mich in den Flieger nach Dubai, um nach kurzen Aufenthalt weiter nach Kapstadt zu reisen. Dort angekommen, wurden meine Mitvolontäre und ich abgeholt und in unsere Apartments gebracht. Nach einer kurzen Einweisung durch die Organisation begaben wir uns nach zwei Tagen schon in unsere Projekte, in denen wir für die nächsten Wochen arbeiteten.
Wir spielten, malten und aßen mit den Kindern – und das ganz ohne Sprache. Die Kinder in den Townships sprechen nur Xhosa und eine Verständigung auf Englisch war nur mit den zwei Betreuerinnen möglich. Da wir aber die meiste Zeit auch allein mit den Kindern waren, war die Kommunikation auf Zeichensprache und ein Lächeln beschränkt.
Doch selbst beim Spielen, Singen und Malen kreisten meine Gedanken oft um ein anderes Thema – die Armut, die ich nun tagtäglich antraf. Ich lief bei der Arbeit in meinen ältesten Klamotten rum, ohne Make-up und ohne gestylte Haare. Ich trug ein Outfit, mit dem ich sonst nicht einmal den Müll rausbringe und fühlte mich dennoch overdressed. Wir fuhren mit unserem Fahrer zur Arbeit, durch die Townships und wenn ich aus dem Fenster sah, wurde mir schlecht. Ich habe zuvor Bilder gesehen, wie es dort aussah, doch die Bilder konnten eines nie übertragen: das Gefühl, welches einen überkommt, wenn man selbst dort ist.
Wir fuhren durch kaputte Straßen, sahen Häuser, die kleiner und schäbiger waren als die Gartenhütte, in der wir unsere Blumentöpfe daheim aufbewahren. Wir fuhren an kleinen Buden, Straßenhändlern, hohen Zäunen und Schulen vorbei. Einige Straßen weiter sahen wir Kinder; Kinder in zerrissener Kleidung und so dünn, dass die Uhr, die ich am Handgelenk trage, problemlos um einen ihrer Oberschenkel passen würde. Die zehn Minuten Fahrt jeden Morgen durch die Townships waren kein schönes Erlebnis und erregten in mir jeden Morgen erneut ein Gefühl von Mitleid.
Ich fand glückliche Menschen an einem trostlosen Ort
Sobald wir morgens aus dem Auto ausstiegen, sah ich die Kita, in der ich arbeitete: einen Zaun, einen winzigen Spielplatz, kaputte Türen und Böden, tropfende Dächer und eine Küche. Doch ich sah vor allem eines an diesem trostlosen Ort: glückliche Menschen. Sobald ich das Tor hinter mir zuschloss, rannten 25 Kinder auf mich zu, mit einem breiten Lächeln im Gesicht und freuten sich, dass meine Mitvolontärin und ich da waren. Sie stellen uns schon zwei Stühle in den Morgenkreis, bevor wir überhaupt zur Tür reinkamen und sangen „Good Morning“, bevor ich den Mund aufgemacht hatte. Auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen, war eine Verständigung mit Händen und Füßen und einem Lächeln im Gesicht immer möglich.
Die Kinder wurden morgens von ihren Eltern gebracht und nachmittags wieder abgeholt, verbrachten die Zeit mit uns und waren glücklich. Glücklich darüber, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben. Glücklich darüber, dass sie ihr Leben so führen konnten. Es war für mich unverständlich, denn sobald ich einen Fuß in die Kindertagesstätte setzte, fühlte ich kein Glück, ich fühlte Mitleid. Es war ungewohnt. Ungewohnt zu sehen, dass man einen solchen Ort mit einem Lächeln betreten kann. Es war ungewohnt zu sehen, dass man mit so wenig so glücklich sein kann. Doch ich begann langsam zu verstehen, dass dieses Leben in Südafrika normal ist; dass die Menschen, die in den Townships leben, zwar deutlich weniger Geld haben, sich deutlich weniger Luxus leisten können, und deutlich schlechtere Perspektiven haben als ich, doch dies bedeutet nicht, dass sie weniger glücklich sind.
Und als ich dies verstanden habe, hat mir die Arbeit sehr viel Spaß gemacht: Wir sangen, malten und spielten – und vor allem lachten wir. Ich sah in strahlende Augen und ein ehrliches Lachen. Ich sah Kinder, die glücklich waren. Nicht, weil sie eine neue Playstation oder einen tollen Urlaub geschenkt bekommen haben, sondern weil man ihnen etwas viel Kostbareres geschenkt hat: Zeit und Aufmerksamkeit.
Als ich wieder in Deutschland war, fragte man mich, was die Kinder alles von mir gelernt hatten. Ob ich ihnen englische Vokabeln oder bessere Malkünste beigebracht hatte. Doch meine Antwort lautete: Nicht die Kinder haben von mir gelernt, sondern ich von ihnen. Und zwar, dass das eigene Glück nicht von der Situation abhängig ist, sondern was man selbst aus dieser macht.
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