In der Schulzeit verfolgte ich mein Ziel eines guten Abiturs gradlinig und konsequent – Das Ziel danach: ein erfolgreiches Studium. Ein halbes Jahr später musste ich feststellen: Das zweite Ziel erreiche ich wohl doch nicht ganz so schnell und unproblematisch, wie am Anfang erwartet. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.
Schon in der ersten Vorlesung verflog meine Euphorie von der Einführungswoche. Die behandelten Themen empfand ich als unnötig und uninteressant. Mein Studienfach Medienwissenschaft habe ich mir doch ganz anders vorgestellt… Doch erst einmal wollte ich abwarten, eventuell wird es ja besser – oder es ist einfach nur die Umgewöhnung? Doch die Vorlesungen und Seminare wurden in meine Augen mit der Zeit eben nicht besser, sondern ich fühlte mich mit jeder Vorlesung mehr fehl am Platz.
Ganz anders hingegen verlief das sonstige Studentenleben. Jeden Tag eroberte ich mir meine Studienstadt Marburg als zweite Heimat. Langsam wusste ich, wo es die leckersten Brötchen, den besten Döner und an den Abenden die feierfreudigste Stimmung gibt. Schnell hatten meine Freunde und ich unsere Lieblingskneipe gefunden, die natürlich regelmäßig besucht werden musste. Trotzdem wurde mir dabei aber auch jeden Tag klarer: Dieses Fach möchte ich nicht noch zwei weitere Jahre studieren. Aber was will ich dann?
Was will ich überhaupt?
Gezwungenermaßen musste ich mich nochmal mit meinen Zielen und Berufswünschen auseinandersetzen. Dabei fiel mir auf: So gründlich habe ich das eventuell doch nicht nach dem Abitur gemacht. Ich wählte mein Fach nach dem Motto: „Ach, das wird schon irgendwie passen“. Meine Reise nach Italien war wichtiger als Praktika zu machen. Die Frage „Was macht man denn mit Medienwissenschaft?“, winkte ich immer nur müde ab. Ich hatte mir nicht die Zeit genommen, mich damit genau auseinanderzusetzen, doch jetzt hatte ich die Zeit, die ich auch nutzen wollte.
Auf keinen Fall: Nichtstun!
Ich schrieb im ersten Semester alle Klausuren und Hausarbeiten mit. Das kann ich auch nur weiterempfehlen. Schließlich lernt man den Unistress, aber auch die besten Lernmethoden damit schon einmal kennen, merkt, was einem beim Lernen weiterhilft und wo der beste Lernort ist. Außerdem ist Nichtstun auch anstrengend und kann wahnsinnig deprimierend sein. Man bekommt das Gefühl, ständig auf der Stelle zu treten – und das sollte vermieden werden!
In den Semesterferien konnte ich ein Praktikum in einer Redaktion absolvieren. Das war tatsächlich meine beste Entscheidung im vergangenen Jahr. Die Redakteure haben sich Zeit genommen und erklärt, wie man in der Branche besteht. Der Monat zeigte mir, dass der Beruf Journalist für mich erstrebenswerter ist als der des Lehrers. Gleichzeitig hieß es aber auch: Studiengang und Ort müssen gewechselt werden!
Das nächste Semester wollte ich trotzdem noch sinnvoll nutzen. Wieder zu Hause einzuziehen stand natürlich auch zur Debatte. Davor haben meine Mutter und ich allerdings zurückgeschreckt. Das lag nicht daran, dass wir uns andauernd streiten oder ähnliches. Vielmehr wollten wir den gewonnenen Fortschritt nicht durch einen Rückschritt ersetzen. Außerdem fällt mir zu Hause die Decke schnell auf den Kopf, wenn alle etwas zu tun haben, außer ich selbst. Deswegen beschlossen wir: Ich bleibe auch das zweite Semester in Marburg. In aller Freiheit konnte ich mir Seminare aussuchen, die spannend klangen. Außerdem belegte ich Sprachkurse. So war ich zwar nicht so vielbeschäftigt wie meine Medienwissenschafts-Freundinnen, die noch zusätzlich BWL studieren, aber trotzdem fühlte ich mich auch nicht abgehängt.
Wichtigeres als Creditspoints
Außerdem gibt es auch noch was Wichtiges außer Creditspoints, nämlich die dazugewonnenen Freundschaften und Eindrücke. Semester kann man wiederholen oder neu anfangen, die Menschen hätte ich aber nirgendwo anders kennengelernt. Ich erfuhr, dass unsere bayrischen Mitbürger doch gar nicht so arrogant sind, wie gedacht und dass die Menschen aus dem Norden manchmal Wörter komisch betonen. Ich kann ein paar syrische Gerichte kochen und den schwäbischen Akzent nachahmen. Ich habe meine Mitbewohnerin, die Medizin studiert, als meine spätere Ärztin auserkoren, durfte miterleben, wie meine ehemalige Zimmernachbarin geheiratet hat und erfuhr viel Marburger Gossip von Camilla.
Wenn ich auf die Zeit in Marburg zurückschaue, bereue ich das Jahr nicht. Vielmehr ich bin dankbar dafür! Und hoffe, dass ich oft noch nach Marburg komme werde, der Ort, an dem ich zwar nicht mein Studienfach gefunden habe, aber sonst doch irgendwie erfolgreich war.
Im Nachhinein kann ich nur sagen: Wenn das Studienfach nicht zu einem passt, gilt es, Ruhe zu bewahren und in die Zukunft zu vertrauen. Ihr seid nicht die einzigen, denen das passiert. Das Jahr oder Semester kann sinnvoll genutzt werden, indem man sich mit seinen Zielen, Stärken und Wünschen auseinandersetzt und Freundschaften schließt. Wahrscheinlich kommt das Sprichwort: „Probieren geht über Studieren“ nicht von ungefähr.
anonym
Hey Sophie,
wenn ich deinen Artikel lese, dachte ich gerade kurz, ich hätte ihn selbst geschrieben, so erschreckend waren die Parallelen. Ich hab 2013 mein Abitur gemacht und dann in K. Medienkulturwissenschaften angefangen zu studieren, in Kombi mit, witzigerweise, ausgerechent BWL wie du oben schreibst. Und just genaaaaau so verflog meine Euphorie. Auch ich habe im zweiten Semester dann nur noch random Kurse belegt, die die mich interessieren…pls Praktika absolviert..Am Ende landete ich in Medizin, wo ich bis heute struggle….
Aber zurück zu Dir: gut, dass Du das schreibst und deine Erfahrungen schilderst. Würde allerdings nicht sagen, dass Du das Jahr vergeudet hast, sondern im Gegenteil, nun auf deine zukünfitge Berufswahl vollkommen anders schauen wirst als nach dem Abi mit grün hinter der Ohren.
Lg, A.
Andrea Keller
Schöner Kommentar, der voller Wahrheit steckt!