Der Ukraine-Krieg versetzt unsere Autorin in Angst und Schrecken. Sie sprach vor Ort mit Menschen aus der Ukraine. Pavel wird fast jede Nacht von denselben Alptraumen heimgesucht. Seine einzige Waffe dagegen sind Worte. Aber können sie helfen?
Hallo, lieber Leser! Wir haben schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. Seit mehr als einem Monat wird mein Zuhause vom Krieg zerrissen. Ein rücksichtsloser und prinzipienloser Krieg gegen mein Volk. Habe ich Angst? Nein. Wie kann ich Angst haben, wenn ich jeden Tag höre, wie Tschernobaivka zum zehnten Mal angegriffen wurde und genau damit der Vormarsch auf Mykolayiw gestoppt wird?
Könnte mich der Schrecken fesseln, wenn Freiwillige hunderte von Ausrüstungsgegenständen heranbringen? Könnte ich Angst haben, wenn gewöhnliche Männer und Frauen aus dem IT-Bereich russische Websiten stapelweise außer Gefecht setzen und die russische Propaganda sie für Millionen von Dollar als „gefährliche Hacker“ bezeichnet? Nein.
Immer der gleiche Alptraum
Und doch habe ich dich angelogen. Ich habe wirklich Angst – auch wenn es mir schwerfällt, dies nach außen hin zu zeigen. Seit einer Woche schlafe ich ein und habe ein- und denselben Traum, der mich in Angst und Schrecken versetzt. Ich träume, dass ich von einem Geräusch auf dem Balkon aufwache. Als ich in den Raum schaue, sehe ich einen russischen Fallschirmjäger, der versucht, in mein Haus einzudringen.
Ich eile in die Küche, nehme ein Messer und verstecke mich und warte darauf, dass er hereinkommt. Ein ohrenbetäubender Schuss, das Geräusch von zerbrochenem Glas, das schwere Klappern von Stiefeln. Er kommt näher. Die Tür knarrt und er hält seinen schweren Atem an. Instinktiv stürme ich auf ihn zu und werfe ihn auf den Boden …
Meine Waffe: Das Wort
Ich erinnere mich sehr genau an diesen Traum. Er ist so realistisch, als wäre es wirklich passiert. Dieser Krieg zerbricht nicht nur menschliche Schicksale. Es zerlegt den Geist in eine Myriade von Fragmenten, die jeder von uns für lange Zeit zusammensetzen wird. Meine Waffe ist das Wort. Jetzt brauchen wir alle Waffen der Welt, um dies zu stoppen. Schließlich ist dies Krieg, und Krieg ändert sich nie.
Unsere Autorin Anika befragt Menschen aus der Ukraine über ihre Situation, Gedanken und Gefühle während des Krieges. Diesmal hat sie mit Pavel*, einem Videospieldesigner aus Odessa, gesprochen. Hier gelangst Du zu seinem ersten Artikel.
*Name von der Redaktion geändert
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