Stell dir vor: Von heute auf morgen bricht in deiner Heimat Krieg aus. Dein Mann befindet sich mitten im Krisengebiet, während du mit deinen Kindern in Deutschland zurückbleibst. Angst, Trauer und Sehnsucht prägen den Alltag unserer Autorin Anika.
Wieder lege ich mich hin. Das Kopfkissen neben mir ist leer. Ich kann nicht einschlafen, weil es zu kalt ist und ich meine Eisfüße nicht bei dir wärmen kann. Es ist nicht das erste Mal, dass 1.000 Kilometer zwischen uns liegen. Die ersten Jahre unserer Beziehung waren wir geografisch öfter getrennt als beieinander. Doch diesmal ist es anders. Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist Krieg ausgebrochen. Krieg in deiner Heimat. Krieg in meinem Lieblingsland. Krieg, wo wir und unsere Kinder zu Hause sind.
Eine längere Trennung als ursprünglich geplant
Nur, dass die Kinder und ich gerade nicht zu Hause waren. Eigentlich haben wir uns nur für eine Woche verabschiedet. Urlaub bei Oma und Opa. Jetzt ist die Grenze zu. Du kannst nicht zu uns. Wir können nicht zu dir. Diesmal sind die 1.000 Kilometer unüberbrückbar. Der virtuelle Guten-Morgen-Kuss tröstet mich früh, wenn ich aufs Handy schaue. Keine Bombe in unserer Stadt. Kein Panzer auf dem Spielplatz neben unserem Haus.
Du bist schon aufgestanden, um so mutig und ausdauernd den Menschen vor Ort zu helfen. Wann hast du eigentlich das letzte Mal länger als vier Stunden geschlafen? Ich stehe auf. Die Kinder haben Hunger. Unser Kühlschrank ist voll. Die Supermarktregale auch. Ich versuche, für sie da zu sein und nicht nur die Nachrichten am Handy zu verfolgen. Versuche, sie meine Unruhe nicht spüren zu lassen. Versuche, ihre heile Welt zu erhalten, obwohl unsere Welt bis ins Tiefste erschüttert wurde. “Ja, meine Süße, wir fahren bald wieder nach Hause. Ja, Papa holt uns bald ab. Nein, wahrscheinlich noch nicht morgen…“, beruhige ich meine Tochter immer wieder.
Sicherheit und innere Unruhe
Die Kinder sind zu klein, um ihnen etwas vom Krieg zu erklären. Vermutlich ist das auch gut so. Natürlich bin ich unendlich dankbar, dass sie in Sicherheit sind. Und ich weiß, uns in Sicherheit zu wissen, befreit dich, vor Ort zu dienen, Menschen in ihrem Leid zu helfen. Unsere Wohnung hat ohne uns Platz für drei Menschen mehr, die aus den umkämpften Gebieten geflohen sind. Unser Auto kann drei Menschen mehr aus zerschossenen Orten abholen und in Sicherheit bringen. Und ich weiß, dass du dein Land nicht aufgeben würdest.
Und ich bin so stolz auf dich. Und bete für dich. Für unsere Freunde. Für unser Land. Das erzähle ich auch allen, die so besorgt nachfragen. Jeden Tag kommen Anrufe, Nachrichten, Mails. Wow, du bist so gefasst. Wie kannst du so ruhig sein? Kannst du nachts überhaupt noch schlafen? Ja, ich muss stark sein. Um die Kinder nicht zu beunruhigen. Um dir den Rücken freizuhalten. Aber abends, allein im Bett, wenn es kalt und dunkel ist ohne dich, wenn ich mich nicht an dich kuscheln kann, tut es einfach so weh. Diese 1.000 Kilometer scheinen so unüberwindbar. Diese Trennung ist so unvorhergesehen lang. Und dieser virtuelle Gute-Nacht-Kuss könnte der letzte sein, den ich von dir bekomme.
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