Vor 75 Jahren, am 20. Juli 1944, scheiterte der Anschlag Claus Schenk Graf von Stauffenbergs und anderer Widerstandskämpfer auf Adolf Hitler. Wie geht es den Hinterbliebenen mit der Geschichte ihrer Familie? Diese Frage beantwortet eine Enkelin Stauffenbergs: Sophie von Bechtolsheim.
Wie ist es, Stauffenbergs Enkelin zu sein, verwandt zu sein mit diesem großen Mann der deutschen Geschichte? Diese Frage beantwortet Sophie von Bechtolsheim in einem bei Herder erschienenen Buch: „Stauffenberg. Mein Großvater war kein Attentäter“. Bechtholsheim ist die Tochter von Stauffenbergs Sohn. So recht könne sie gar nicht sagen, wie man sich als seine Enkelin fühlt – ein anderes Leben, eine andere Familie, andere Vorfahren kenne sie ja gar nicht. Die Autorin wagt aber eine Annäherung an den Mann, den sie selbst gar nicht kennenlernte und nur aus Erzählungen oder von Fotografien kennt.
Annäherung über die Großmutter
Die Annäherung an den großen Mann geschieht für die Enkelin – zwangsläufig und für den Leser zum großen Glück – über seine Ehefrau, Nina von Stauffenberg. In der öffentlichen Wahrnehmung galt sie lange als die Frau, die nichts von den Aktivitäten ihres Ehemannes wusste. Dem wird man nun mit Nachdruck widersprechen müssen: Nina von Stauffenberg wusste sehr wohl, dass ihr Mann im Widerstand aktiv war; nur dass er das entscheidende Attentat selbst übernehmen würde, das wusste sie nicht.
Stauffenberg – ein Mann aus Fleisch und Blut
Auch sie musste unter dem Attentat und der Sippenhaft, der Trennung von ihren Kindern und natürlich dem Tod ihres Mannes leiden. Sophie von Bechtolsheim indes zeichnet mitnichten das Bild einer verbitterten Frau; so lebendig berichtet sie von ihrer Großmutter, dass man sie beinahe selbst hätte kennenlernen wollen. Der verstorbene Großvater wird durch dieses Zeugnis nicht verklärt: Er bleibt ein Mann aus Fleisch und Blut, ein Angehöriger vergangener Generationen, dem man sich nur vermittelt, nur mit einem großen zeitlichen Abstand annähern kann.
Stauffenberg war kein Attentäter
Ein grandioses Buch hat die Stauffenberg-Nachfahrin hier vorgelegt: Voller Leben, voller Bewunderung auch für den Großvater. Was bleibt ist ein Appell: Nein, Stauffenberg war kein „Attentäter“. Er verdient nicht das Attribut, mit dem wir die IS-Kämpfer oder die RAF-Terroristen bezeichnen. Er tötete nicht wahllos oder schrieb sich gar den Kampf gegen ganze Bevölkerungsgruppen oder Religionen auf die Fahnen. Er folgte seinem Gewissen, um größeres Übel von Deutschland, Europa und der ganzen Welt abzuwenden.
Sophie von Bechtolsheim: Stauffenberg. Mein Großvater war kein Attentäter, Herder 2019, 143 Seiten, EUR 16
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