Mit 18 Jahren wollte Alba noch Cellistin werden. Jetzt ist sie 25 und hat keine Zeit mehr für Träume: „Man kann nicht über seinen Wunschjob nachdenken. Man braucht schnelle Lösungen.“ Auf der Suche nach Arbeit ist Alba in Madrid gelandet. Gedanken über Perspektiven, falsche Illusionen und Dauerstudenten.
Zusammen mit ihren zwei älteren Brüdern ist Alba in der Kleinstadt Burgos aufgewachsen. Ihr Vater ist dort sein Leben lang Geschäftsführer im Bau gewesen. Heute ist er erwerbslos – es gibt nicht mehr genug Arbeit in der 200.000-Einwohner-Stadt. Albas Eltern wohnen immer noch in Burgos. Von den drei Kindern lebt dort heute keines mehr. Ihre Heimat sei für sie eine Einbahnstraße gewesen, die es ihnen lediglich erlaubt hätte, auf ein Ziel zuzusteuern: Arbeitslosigkeit.
Von den Geschwistern nimmt nach dem Abitur jeder einen anderen Weg. Ein Studium scheint für alle auf den ersten Blick ein stichfestes Mittel, um nicht in der Sackgasse “Arbeitslosigkeit” zu landen. Für ihre erste Etappe trifft Alba eine Herzensentscheidung und studiert Cello, das Instrument, das sie seit ihrem neunten Lebensjahr begleitet. Im nordspanischen Oviedo macht sie ihren Bachelor und Master an der Musikhochschule. Sie genießt die Musik, ihr Leben und das Studium in der malerischen Stadt. Aber diese unbeschwerte Zeit hat ein genaues Ablaufdatum: der Moment der Arbeitssuche. Alba ist jung, talentiert und gut ausgebildet. Wenn sie keinen Job finden kann, wer dann?
„In Spanien wartete ja nichts auf mich”
Für Alba jedenfalls gestaltet sich die Suche nach Arbeit wie das Spiel “Reise nach Jerusalem”, nur dass der Stuhl immer wieder besetzt ist. Am Ende landet sie in London. Aus zwei Wochen Urlaub wird ein Jahresaufenthalt. „In Spanien wartete ja nichts auf mich“, sagt Alba. Ihr Leben in der britischen Hauptstadt ist bunt und launisch. Jeder Tag ist anders, die Minijobs wechseln fast alle 24 Stunden. Sie putzt, vermittelt Wohnungen oder gibt Spanischunterricht. Nach einem Jahr zieht es sie zurück nach Spanien. Ein Wiedersehen mit Familie, Freunden und vertrauten Sorgen. Abitur, Bachelor, Master und Auslandsaufenthalt. Ein respektabler Lebenslauf, aber keine Jobgarantie in Spanien.
Alba verliert die Hoffnung, von ihrer Musik jemals leben zu können. „In diesem Gewerbe schaffen es die wenigsten. Entweder du bist zu schlecht für ein Orchester, weil die Platzanzahl so begrenzt ist, oder du verdienst einfach zu wenig Geld für deine Arbeit.” Aber eine Frage bleibt: Welches Studium oder Ausbildung bietet hier überhaupt noch eine Jobgarantie? Die Reise geht weiter und Alba trifft die Entscheidung, weiterzustudieren und umzuziehen. Natürlich in die Hauptstadt. Alba weiß, dass auch Madrid nicht voller Chancen steckt. „Aber ein bisschen einfacher ist es hier doch, Arbeit zu finden.” Der Plan scheint aufzugehen. An einer Privatschule gibt sie Klavierstunden, nebenbei studiert sie nun Englisch an der Fernuniversität UNED. Ist sie angekommen bei ihrem Ziel und endet ihr Weg hier? Oder hat sie sich vielleicht doch verirrt?
Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt
In Albas neuer Wohnung in Madrid steht ihr Cello unbespielt in der Zimmerecke. Dafür hört sie jetzt den schrägen Tönen ihrer Musikschüler von der Privatschule zu, deren Eltern Anwälte oder Ärzte sind. Albas Uni-Stapel wird jeden Tag größer und wartet darauf, bearbeitet zu werden. Stattdessen muss sie bis abends ihren Unterricht vorbereiten oder steht im Copyshop, um zusätzliche, unbezahlte Überstunden zu machen. Wenn sie könnte, würde sie ihren Job am liebsten aufgeben, jedoch braucht sie das Geld für die Miete. Sie ist frustriert, möchte sich aber ungern beschweren. „Wenigstens habe ich einen Job”, sagt sie. In ihrer Clique ist Alba die einzige, die zur Zeit einen Anstellung hat, dabei haben alle ihre Freunde studiert, sind Juristen, Psychologen oder Lehrer.
Alba glaubt, dass die 25-30-Jährigen am meisten von den Folgen der Krise betroffen sind. Sie haben die Uni abgeschlossen, sind weltoffen, erwartungsvoll und wollen ihr Wissen anwenden und weitergeben. Dennoch laufen Tatkraft und Ehrgeiz dieser Generation auf Sand auf. Ich spreche mit vielen jungen Spaniern und die Geschichten, die mir erzählt werden, klingen immer gleich düster. Der 28-jährige Marcos ist abgeschlossener Sportwissenschaftler und auf der Suche nach Arbeit. Die 27-jährige Laura findet trotz ihres Masters in Agrarwissenschaften nur Praktika. Der gleichaltrige Fernando ist Apotheker und konnte nur zwei Jahre Berufserfahrungen sammeln, bis er durch die Krise seinen Arbeitsplatz verloren hat. Alle dieser jungen Spanier studieren jeden Tag die Jobanzeigen, die wenigsten mit Erfolg: falls es ein passendes Angebot gibt, konkurrieren oft mehr als 400 Bewerber um eine Arbeitsstelle.
Dauerstudenten im Teufelskreis
Der andere Teil dieser Generation ist im Teufelskreis des Dauerstudiums gefangen. Viele Freunde von Alba haben drei Bachelorabschlüsse, nicht wenige haben bereits einen Doktortitel erreicht. Sie studieren weiter, mit ungewissem Ziel. Sie bleiben Studenten, um einen Auftrag zu haben und um sich intellektuell weiter aufzurüsten – für die besseren Zeiten. Für eine Zeit, in der ein Medizinstudent mit Doktortitel nicht drei Jahre auf einen Job warten muss. Für eine Zeit, in der Zukunftsspinnereien keine Bauschmerzen verursachen. Für eine Zeit, in der Alba ihr Cello wieder auspacken kann.
Bis dahin erwartet diese jungen Spanier noch ein unbequemer Weg: er ist unabsehbar und man weiß nicht, wie und wann man bei seinem Ziel, einer Arbeitsstelle, ankommen wird. Er ist kräftezehrend, da er verlangt, einen Optimismus aufrechtzuerhalten, der eigentlich schon lange aufgebraucht ist. Und die Reise ist ermüdend, oft verläuft man sich, oder endet wieder in einer Sackgasse. Niemand kann abschätzen, ob und wann sich die Arbeitsmarktsituation in Spanien entspannen wird. Alba ist zuversichtlich, dass es die Neustudenten, die in fünf Jahren ihren Abschluss feiern, einfacher haben werden. Aber das ist alles Zukunftsmusik.
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