Im Matheunterricht hat meine Lehrerin oft verzweifelt gesagt: „Der Weg ist das Ziel!“ Später wurde mir klar, das ist nicht nur ein passendes Motto für schwierige Rechenformeln – es eignet sich genauso für das wahre Leben.
„Wir sind Wunderkinder, ja wir sind einmalig“, haben meine Freunde und ich vor 13 Jahren noch aus voller Überzeugung beim Kinderbibelfrühstück gesungen. Doch damit war es nicht genug. Die Hymne auf das eigene Ich ging noch weiter: „Einfach ideal und phänomenalig“. Und alle sangen das Lied mit.
Heute würden, glaube ich, die wenigsten noch mitmachen. Zufrieden und glücklich mit dem eigenen Ich zu sein, ist nicht Sache meiner Generation. Wie auch? Noch nie konnte man sich mit anderen besser, schneller und einfacher vergleichen als heute. Wir selbst kennen es alle nur zu gut – denn ganz ehrlich: Was ist uns eine Eins noch wert, wenn die Hälfte des Kurses eine hat?
Wie weit ist genug?
Scheinbar unerreichbare Ziele und Disziplin verhelfen Menschen, Höchstleistung zu bringen. Die Gefahr dabei: Nicht mehr der Moment zählt, sondern nur nach das Weiterkommen und Verbessern. Deswegen befinden sich viele Jugendliche in ständiger Bewegung. Ist das Traumgewicht erreicht, geht doch meistens noch ein bisschen mehr. Wäre ein Sixpack nicht besser als „nur“ ein flacher Bauch? Zufrieden und stolz auf bisher Erreichtes sind die wenigsten. Stattdessen orientiert man sich an weit entfernten Idealen. Schließlich erreichen andere die auch! Während viele unsere Mütter als Feministinnen vielleicht noch aktiv für die Rechte der Frauen einstanden und sich gegen Oberflächlichkeit wehrten, passt sich in dieser Hinsicht unsere Generation wieder an propagierte Ideale an. Ohne Schminke oder BH gehen nur noch die wenigsten raus. Schließlich will man bei dem Vergleich auf der Straße, Uni oder Schule nicht ganz hinten landen.
Beim Streben nach Perfektion und dem Besten bleibt dann vorrangig eins auf der Strecke: Das eigene Ich und damit die eigene Persönlichkeit und Originalität. Die frühere Vorfreude auf den Sommer ist dem Training für die perfekte Strandfigur gewichen. Doch wie viel Selbstverwirklichung ist das, wenn die meisten auf das gleiche Idealbild hintrainieren? – Ehrlich gesagt: Keine! Vielmehr verliert man seinen Charakter und reduziert sich auf vermeintliche Ziele, die wahrscheinlich jeder Fünfte hat. Ist das Sommerziel tatsächlich der perfekte Body – oder doch ein ganz anderes?
Mut finden
Sein Ziel hochstecken, möglichst viel wollen, ambitioniert und zielstrebig sein – das sind auch Stärken der heutigen Jugend. Keine Frage. Wichtig ist, das eigene Erreichte nicht im Vergleich zu anderen Lebensentwürfen zu beurteilen, sondern nach Maßgabe der eigenen Fähigkeiten, Ausgangssituation und Persönlichkeit.
Scheitere ich – kann ich doch auch stolz auf das Aufstehen sein! Sich auf sich selbst zu konzentrieren, Augen auf, statt blindem Vergleich, könnte das Leben entschleunigen und Mut geben, individuelle Ziele zu finden – weit ab von 0815. Schließlich sind wir „ (…) ideal und phänomenal“ von Anfang an – das ist nicht ein Ziel, sondern eine angeborene Eigenschaft.
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