Frau Röß, seit 2009 ist in Deutschland ein UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft. Was hat sich seitdem getan?
Es ist ja so, dass in Deutschland jedes Bundesland und jeder Kreis für sich das Übereinkommen eigen umsetzen kann. Zum Beispiel gibt das Land Rheinland-Pfalz eine Empfehlung aus, die aussagekräftig ist, aber auch relativ wortleer. Das heißt, der Gestaltungsspielraum wird einfach weitergegeben, weil das viel mit Geld zu tun hat. Im Laufe der Jahre wird man weniger dafür ausgeben müssen, weil sich alles eingespielt hat und sich die Strukturen geändert haben. Ich glaube, deshalb sind die Vorgaben eher weich. Problematisch ist es bei weiterführenden Schulen, da steht alles noch sehr in Kinderschuhen. Die Kinder, die von der Grundschule weggehen, sollen ja auch inklusiv weitergeschult werden. Da ist noch viel im Argen, was aber in Deutschland auch am kleingliedrigen Schulsystem liegt. Es sind keine fließenden Grenzen, es ist nicht offen. Die Gesamtschule kommt zwar immer mehr, ist im Trend. Aber das dauert einfach noch.
Was verspricht man sich vom Konzept der Gesamtschulen?
Es gibt zum Beispiel die Integrierte Gesamtschule (IGS) in Rockenhausen, die in direkter Nachbarschaft zu der Förderschule vom Donnersbergkreis liegt. Diese beiden Schulen haben schon seit Jahren eine Kooperation: Schüler, die sich in der Förderschule als geeignet gezeigt haben, können bestimmte Klassen an der IGS besuchen. Oder auch umgekehrt, dass Schüler, die an der IGS ein bisschen nach hinten abfallen, bestimmten Einheiten an der Förderschule wahrnehmen können. Und das ist ja der Gedanke der inklusiven Schulen. Zwar nicht in zwei Gebäuden und zwei Schulen, aber dass man alle Schüler auffängt und zwar dort, wo sie gerade stehen und das anpasst. Also ein Schüler, der in Mathe hervorragend ist, kann in Englisch eine absolute Niete sein und trotzdem ist er in unserem System einfach in der siebten Klasse. In Englisch ist er zum Beispiel auf dem Stand von fünfte/sechste Klasse, in Mathe aber vielleicht schon ein bisschen weiter als siebte und bleibt trotzdem in seiner Struktur, mit seinen Freunden, und wird da gemeinsam beschult. Da muss man ihn abholen. Ich denke, das Problem ist erkannt. Das ist schon mal ganz wichtig und es wird sich hoffentlich weiter entwickeln.
Was ist der Unterschied zwischen Integration und Inklusion?
Der Unterschied ist, dass die Kinder, die in diese Schule, in den Kindergarten, in diese Klasse kommen, sich integrieren, sich anpassen müssen. Man hat das feste System und die Kinder müssen sich dort eingliedern. Es wird zwar mit Förderlehrern gearbeitet, aber das Kind muss sich anpassen an die erste Klasse, an die zweite Klasse, usw. Das ist schon mal gut, aber der Gedanke der Inklusion, steckt darin, dass sich die Gemeinschaft anpasst. So wird es inklusiv. Es muss geschaut werden, was das Kind für Stärken und Schwächen hat und wie die Schule beides optimieren und zueinander bringen kann. Wenn zum Beispiel ein Kind eine ganz starke soziale Fähigkeit hat, kann es andere, die vielleicht vom Wissen her ein bisschen besser sind, aber vielleicht ADHS haben, auf den Boden holen. Dafür bringt das andere Kind sein Wissen an das andere. Sodass am Ende alle miteinander agieren und kooperieren.
Wie wichtig sind Integrationskräfte für den Inklusionsgedanken?
Integrationskräfte sind dann von Nöten, wenn ein Kind im Regelkindergarten ist, aber einfach in bestimmten Sachen Förderbedarf hat. Sei es motorisch, sei es sprachlich. Und im Donnersbergkreis ist das zum Beispiel nicht optimal gelöst, da es oft keine Fachkräfte sind. Das mag in bestimmten Fällen durchaus seine Berechtigung haben. Zum Beispiel, wenn es nur um hygienische Sachen geht, brauche ich keine Fachkraft, das ist richtig. Aber wenn es um Unterstützung beim Essen geht, oder wenn es irgendwas mit der Motorik ist. Es gibt auch ganz viele Sachen, wo erkannt werden muss, dass ein Kind ganz gezielt Unterstützung braucht, vor allem im Kindergarten und im Grundschulalter. Das heißt nicht, dass dieses Kind eine Eins-zu-eins-Betreuung von jemandem hat, sondern dass einfach jemand unterstützend da ist, und das sollte meiner Meinung nach eine Fachkraft leisten.
Liebe Frau Röß, vielen Dank für das Gespräch!
Wir haben Familie Röß nach dem Interview noch eine Zeit lang begleitet und werden hier in Kürze über weitere Eindrücke rund um das Thema "Inklusion" berichten.
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