Die Jugend der Welt ist so politisiert wie schon lange nicht mehr. Am 20. September ist der nächste globale Klimastreik. Fridays For Future beeinflusst längst die politischen Debatten der deutschen Klimapolitik. Doch wie hat sich die Klimabewegung in anderen Ländern entwickelt? Unsere Autorin Andrea hat mit Franzeska Bindé gesprochen. Sie ist Klimaaktivistin und lebt in Frankreich.
Für Umweltfragen hat sie sich schon immer interessiert, erzählt mir Franzeska Bindé im Skype-Interview. „In meiner Kindheit habe ich mich immer schon naturverbunden gefühlt und die Natur bewundert.“ Erst mit der Zeit verstand sie, wie sehr die Schönheit der Natur bedroht ist; es gar um unser eigenes Überleben geht. Seit zwei Jahren lebt Franzeka in Orléans, arbeitet bei der Klimaschutzorganisation Alternatiba mit und ist auch in der Lokalgruppe von Action Non-Violente COP21 sehr aktiv. Beide Organisationen arbeiten in einer Klimabewegung zusammen.
Alternatiba und Action Non-Violente COP21 – zwei Beine einer Klimabewegung
„Die Grundidee der Bewegung ist, dass man auf der einen Seite Widerstand leistet und auf der anderen Seite Alternativen vorschlägt“, fasst Franzeksa die Strategie der Klimabewegung zusammen. Schon seit 2013 ist Alternatiba aktiv und stellt Alternativen für Energieerzeugung, Transport oder dergleichen vor, die es schon gibt und nur umgesetzt werden müssten. „Oft sind diese Arten von Alternativen lokal und bauen sich dann häufig auf Solidarität zwischen Menschen auf“, erklärt Franzeska. „Es geht nicht um Verzicht, ohne dass am Ende etwas Besseres herauskommt.“
Action Non-Violente COP21 gründete sich 2015 im Kontext des Pariser Klimaabkommens und leistet gegen klimafeindliche Projekte und Politik zivilen Widerstand. „Die Alternativen allein werden nicht ausreichen, wenn z.B. Konzerne weiterhin ungehindert ihre schädlichen Projekte durchführen können. Ohne Widerstand zu leisten werden wir es nicht schaffen, die Klimaerhitzung einzuschränken“, erklärt Franzeska. In Orléans hat sie mit der Lokalgruppe an zahlreichen Aktionen teilgenommen, wie beim Protest gegen die Subventionierung eines Flughafens in der Region. „Es ist verrückt, wie heute noch öffentliche Gelder direkt in die Klimakrise gesteckt werden“, sagt sie.
Ziele der französischen Klimabewegung
Jede Strömung der Klimabewegung hat ihre eigenen Strategien, das Ziel ist aber immer das gleiche: die Klimakatastrophe verhindern. Action Non-Violente COP21 hat drei Forderungen an die Politik: „Die Regierung muss die Wahrheit sagen über die aktuelle Situation, in der wir sind, über das Ausmaß der Katastrophe, auf die wir zusteuern, auch über ihre eigene Unzulänglichkeit in ihren Maßnahmen, dass ihre aktuellen Maßnahmen in keiner Weise auf die Krise antworten. Es ist einfach sehr gefährlich, in welcher Unwissenheit die Bevölkerung gelassen wird“, erklärt Franzeska besorgt. „Zweitens fordern wir, eine mit dem 1,5-Grad-Limit vereinbare Politik zu machen und entsprechend radikale Maßnahmen zu ergreifen – und dass drittens diese Maßnahmen sozial gerecht gestaltet werden.“ Ziel ist, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, um die größten Schäden für die Welt noch zu vermindern.
Gewaltloser Widerstand als Strategie
Vor einem Jahr machte sie bei Alternatiba ein Aktionstraining über gewaltfreie Aktionen und wurde für ihren Aktivismus inspiriert. Gewaltfreiheit ist eine konfliktuelle Strategie, weil man für den Gegenspieler ein Dilemma aufstellt: Zwar ist eine gewaltfreie Aktion direkt und überrascht bzw. schockiert vielleicht, allerdings zeigt sie eine Ungerechtigkeit auf und findet so leicht Rückhalt in der Bevölkerung.“ In der Geschichte zeigt sich, wie effektiv gewaltfreie Strategien sein können, etwa bei Mahatma Gandhi, der Bürgerrechtsbewegung in den USA oder der friedlichen Revolution der DDR. Umso mehr erstaunt es Franzeska, dass dies kaum während ihres Politikwissenschaftsstudiums Erwähnung fand. „Weder im politikwissenschaftlichen Studium war es präsent, noch finde ich es sehr präsent im allgemeinen Gedächtnis. Wir erinnern uns viel an gewalttätige Revolutionen und Umstürze und Kriege und so weiter. Aber gewaltfreier, kreativer Widerstand als Option ist eigentlich wenig als Narrativ bekannt.“
Die Klimabewegung versteht ihre Aktivitäten auch als einen gewaltfreien Widerstand. Alle Aktivist*innen sind darin ausgebildet, wie man sich gewaltfrei verhält, weil das in schwierigen Situationen auch für die Aktivist*innen nicht immer einfach ist. „Bei Blockadeaktionen kann es durchaus sein, dass man auf gewalttätige Gegenwehr stößt. Von Polizisten oder Sicherheitsbeamten, die ankommen. Der Automatismus ist dann nicht unbedingt, dass man sich dann auch gewaltfrei gegen Gewalt verhält.“ Die Gewaltfreiheit bringt die Polizei aber in ein Dilemma und den Aktivist*innen mehr Zustimmung aus der Bevölkerung.
Banken putzen fürs Klima
Ein gutes Beispiel ist die Aktion von Action Non-Violente COP21, bei der sie Filialen von Banken putzten, die in schmutzige Energieformen investieren. „Nur Alternativen umzusetzen wird leider nicht reichen, weil Firmen wie das Mineralölunternehmen Total und auch Banken weiter in klimaschädliche Projekte investieren. Solange die weiter ungestört ihre lebensgefährlichen Projekte umsetzen, kann man auf der anderen Seite mit den Alternativen nicht viel verändern.“ Aktivist*innen von Action non-violente COP21 putzten daher an einem Tag über 60 Filialen der Société Générale in ganz Frankreich von oben bis unten, um auf deren schmutzige Geschäfte aufmerksam zu machen. Die ersten Aktionen waren am 8. September 2019.
Und schon steckten die Banken in einem Dilemma: „Es ist schwierig, jemanden davon abzuhalten, eine Bankfiliale zu putzen, denn wenigstens ist sie danach oberflächlich sauber“, lächelt Franzeska zufrieden. Fotos von der Aktion gingen durch die Medien; die Kampagne #OpérationNettoyage wurde immer bekannter. Bereits im Dezember putzten 900 Aktivist*innen die zentrale Filiale der Bank in Paris. „Die Aktionen sind auch immer mit Plädoyer-Arbeit verbunden, wo dann eben auch mit der Bank verhandelt wird, wenn sie dafür offen ist.“
Youth For Climate oder kein Interesse an der Zukunft?
Am meisten mobilisierte der Rücktritt des französischen Umweltministers Nicolas Hulot Ende August 2018 die französische Bevölkerung. Hulot wollte die Klimapolitik unter der Regierung Macrons nicht mehr unterstützen. Am 8. September 2018 kam es zu den ersten Klimademonstrationen in Frankreich. Jeden Monat finden sie statt und finden immer mehr Anhänger*innen. An den Klimamärschen hat auch Franzeska teilgenommen.
Die Jugendbewegung Fridays For Future konnte in Frankreich erst im Februar Fuß fassen. Hier organisiert sich die Jugend unter dem Namen „Youth For Climate“. Action Non-violente COP21 und Alternatiba unterstützen die Jugendbewegung: „Wir arbeiten auch mit Youth For Climate zusammen. Wobei uns dabei wichtig ist, dass wir die machen lassen. Es ist uns sehr wichtig, dass die noch jüngeren Leute ihre eigene Stimme entwickeln und ihre eigene Bewegung machen.“
Laut Berichten der Tagesschau ist die Bewegung in Frankreich allerdings bei weitem nicht so erfolgreich wie in Deutschland. Mögliche Gründe sind das strenge französische Schulsystem, das unentschuldigte Fehlzeiten stark bestraft. Ein weiterer Grund sind zu wenige Mitstreiter*innen in den lokalen Gruppen, um regelmäßige Streiks zu organisieren.
Stimmung gegenüber Klimaaktivismus in Frankreich
Die französische Polizei ist als eine der gewalttätigsten in ganz Europa bekannt. Internationale Kritik erntete die französische Polizei in den letzten Monaten für das gewaltsame Vorgehen gegen die Gelbwesten-Demonstrationen. Ende Juni gingen Bilder um die Welt, wie Demonstrant*innen einen friedlichen Sitzstreik auf der Brücke Pont de Sully in Paris durchgeführt haben, um auf den Klimaschutz aufmerksam zu machen. Die Polizei besprühte sie mit Tränengas.
Seit einem Jahr wächst die französische Klimabewegung immer mehr, das merkt Franzeska auch bei Alternatiba und Action Non-violente COP21. „Da merkt man so eine leichte Diskursverschiebung, bei der die Klimafrage vielmehr ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerät.“ Immer mehr Aktivist*innen beteiligen sich an gewaltfreien Aktionen. Am 19. April blockierten sie mit Aktivist*innen von Greenpeace und Amis de la Terre (franz. Partnerorganisation des BUND) die vier Türme der Défense, dem Business Zentrum von Paris. „An dieser riesigen Aktion haben sich etwa 2.000 Menschen beteiligt. Das ist auf jeden Fall eine neue Größenordnung in Frankreich.“
Innerhalb eines Jahres trat die Klimakrise durch Proteste ins Bewusstsein der Menschen. Hier hat die Klimabewegung bereits etwas erreicht. Das sieht auch Franzeska so: „Ich habe schon das Gefühl, dass jetzt viel mehr Leute das Gefühl haben, dass grundsätzlich was schiefläuft. Wir kannten den Klimawandel als Theorie aus der Schule. Und jetzt ist er so greifbar, was zeigt, dass ganz dringend etwas getan werden muss.“
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