Laptop oder Tablet statt Block und Stift. E-Mail, WhatsApp oder Facebook statt Briefe. Digital statt analog. Das ist der Trend der letzten beiden Jahrzehnte. Alles sollte schneller und einfacher werden. Mittlerweile sehnen sich jedoch viele nach mehr Entschleunigung, nach der Flucht aus der digitalen Welt. Warum analog manchmal doch schöner ist und wir öfter Briefe schreiben sollten.
Ich selbst begann vor etwa zwei Jahren damit, regelmäßig Briefe zu schreiben. Meine Großtante, die für mich wie eine Oma ist, hört schlecht seit ich denken kann. Dennoch telefonierten wir einmal die Woche und ich erzählte ihr, was bei mir alles passiert war. So bekam sie immer alles mit: Mein Schulalltag, mein Abschluss, mein Auszug von Zuhause und schließlich mein Unialltag. Ich erzählte ihr einfach alles. Von meinen Freunden, von meinen Dozenten, von meinen Uniprojekten: meine Großtante wusste über alles Bescheid. Wenn ich mit ihr telefonierte, musste ich immer etwas lauter und langsamer sprechen als gewöhnlich. Es gab immer bessere und schlechtere Tage, was ihr Gehör anging. Mit der Zeit nahmen die schlechten Tage aber zu, sodass wir immer kürzere Telefonate führten, weil es für meine Großtante anstrengend wurde.
Dann kam mein Auslandssemester in Thailand. Wie wahrscheinlich die meisten in ihrem Alter hat meine Großtante “mit Technik nichts am Hut”, wie sie gerne sagt. Heißt, kein Laptop, kein Skype, kein Handy, kein WhatsApp. Die Telefonrechnung für einen Anruf von Thailand nach Deutschland wollte ich mir lieber gar nicht erst vorstellen. Was also tun? Meine Großtante war sowieso nicht begeistert davon, dass ich soweit weg flog. Und ich würde es auch vermissen, ihr regelmäßig von allem zu erzählen.
Da kam mir eine eigentlich naheliegende Idee: Briefe schreiben. Das Porto von Thailand nach Deutschland für einen Brief lag bei umgerechnet etwa drei Euro. Das war machbar. Und so fing ich an, meiner Großtante regelmäßig Briefe zu schreiben. Es gab gerade in meiner Anfangszeit in Bangkok so viel Neues zu erzählen. Schnell war ich bei zehn Seiten und hatte Probleme, das Papier in den Umschlag zu quetschen. Mit der Zeit wurden die Briefe natürlich kürzer, auf etwa drei Seiten kam ich jedoch fast immer.
Zurück in Deutschland
Mein Auslandssemester ging rum wie im Flug und ehe ich es mir versah, war ich wieder Zuhause. Natürlich rief ich am nächsten Tag, nachdem ich lange ausgeschlafen hatte, erst einmal meine Großtante an. Sie war erleichtert, dass ich jetzt endlich wieder wohlbehalten zurück in Deutschland war. Als ich ihr erzählen wollte, dass ich in Dubai meinen Anschlussflug fast verpasst hatte, weil das erste Flugzeug von Bangkok Verspätung gehabt hatte, verstand sie jedoch nichts. Ich probierte es noch langsamer, noch lauter, mit anderen Worten. Doch sie verstand es nichts. Irgendwann sagte sie: “Ach Kind, lass uns Schluss machen. Ich verstehe heute wieder nichts.” Frustriert legte ich auf.
Am Abend schlurfte ich in mein Zimmer, wo der gepackte Koffer noch immer in der Ecke lag, in die ich in gestern gepfeffert hatte. Unmotiviert begann ich ihn auszuräumen. Ich liebe es, Koffer voller Vorfreude zu packen. Koffer auszuräumen ist hingegen so eine Sache. Das schiebe ich gerne mal etwas auf. Aber da ich wegen des Jetlags eh noch nicht schlafen konnte, konnte ich es genauso gut hinter mich bringen. Irgendwann hielt ich dann das übrige Briefpapier in der Hand. Da machte es klick. Ich ließ alles stehen und liegen, setzte mich an meinen Schreibtisch und begann zu schreiben. Alles, was ich meiner Großtante heute Morgen am Telefon hatte erzählen wollen, schrieb ich in meiner nur mäßig hübschen Schrift auf und füllte mehrere Seiten, ohne es zu merken. Als ich wieder auf die Uhr sah, war nur eine halbe Stunde vergangen. Solange telefonierte ich sonst auch mit ihr. Ich war begeistert. Am liebsten hätte ich den Brief gleich frankiert und in den Briefkasten geschmissen. Leider war es mittlerweile drei Uhr nachts, also zwang ich mich dazu, schlafen zu gehen.
Warum Briefe schreiben glücklich macht
Drei Tage später rief meine Großtante an. “Ich habe deinen Brief bekommen!”, jubelte sie am Telefon. “Jetzt habe ich endlich alles verstanden!” In dem Moment stand für mich fest: Das werde ich ab jetzt immer so machen. Seitdem versuche ich, ihr wöchentlich zu schreiben. Zugegeben, in stressigen Prüfungsphasen schaffe ich das bei weitem nicht, aber meine Großtante weiß dann ja, dass ich mitten in den Klausuren stecke.
Es ist für mich zu einem festen Ritual geworden, mir einen Abend in der Woche freizuhalten, an dem ich meiner Großtante schreibe. Dabei habe ich gemerkt, dass die Briefe mir selbst auch gut tun. Ich lasse all die schönen Ereignisse der letzten Woche nochmal revue passieren. Das hat mir gerade in turbulenten Zeiten geholfen, mich auf das Positive zu fokussieren. Beim Schreiben konzentriere ich mich auch völlig auf das Papier vor mir und vergesse alles um mich herum. Das hat mir geholfen, herunterzufahren und generell ruhiger zu werden. Entschleunigung statt Stress, analog statt digital. Meine Großtante schreibt mir nie zurück, aber das macht mir nichts aus. Als ich sie mal danach gefragt habe, meinte sie: “Ach Kind, worüber soll ich denn schreiben? Bei mir passiert doch nichts.” Sie braucht mir auch nicht antworten. Ich bin glücklich, weil ich weiß, dass sie sich über jeden einzelnen Brief tierisch freut und ihn bis zum nächsten Brief mehrmals lesen wird. Sie hat mir einmal erzählt, dass sie sich je nach Wetter mit einer Tasse Kaffee auf den Balkon oder auf ihr Sofa setzt, ein Stück Kuchen isst und dabei meinen Brief liest. Dieses Bild habe ich jedes Mal vor Augen, wenn ich einen Umschlag in den Briefkasten schmeiße.
Reaktionen meiner Freunde
Als das Semester wieder losging, schrieb ich die Briefe häufig in der Mittagspause. Manchmal auch in besonders langweiligen Vorlesungen. Seitdem mag mich einer der Dozenten, weil er denkt, ich würde mir die ganze Zeit über fleißig Notizen machen… Natürlich wurden meine Freunde irgendwann auf meine Briefeschreiberei aufmerksam und die Reaktion war immer die gleiche: Oh, ist das süß von dir. Viele hielten es jedoch für eine lästige Arbeit und hängten oft noch so etwas an wie: Mir wäre das viel zu aufwendig. Ich könnte das nicht. Das kostet doch viel zu viel Zeit. Keine dieser Aussagen konnte ich nachvollziehen. Für mich bedeutet das Schreiben reine Entspannung.
Eine Freundin sagte mir: “Ich würde auch gerne regelmäßig Briefe bekommen.” Also schrieb ich ihr bei nächster Gelegenheit einen. Als ich einige Tage später bei ihr zu Besuch war, öffnete sie die Tür und sprang mir freudig in die Arme. “Sie ist schon die ganze Zeit so”, kommentierte ihr Freund grinsend. “Am Donnerstag wurde ich mit `Guck mal, was im Briefkasten war!!!´ begrüßt.”
Seitdem schreibe ich auch meiner Freundin, die mittlerweile 200 Kilometer entfernt wohnt, regelmäßig, wenn auch nicht so häufig wie meiner Großtante. Parallel schreiben wir auch über WhatsApp, was im ersten Moment vielleicht seltsam wirkt. Es ist aber etwas ganz Anderes. Über WhatsApp planen wir Treffen, verabreden uns oder schicken uns Fotos. Kurze Nachrichten, die schnell übermittelt werden sollen. Längere Erzählungen von Urlauben oder großen Ereignissen gibt es bei uns nur analog.
Wenn ich das Gefühl beschreiben müsste, wenn man einen handschriftlichen Brief im Briefkasten findet, würde ich sagen: Es ist zuerst die Freude, dass jemand an dich gedacht und sich Mühe gegeben hat, dir etwas mitzuteilen. Es gibt einem das Gefühl, wichtig zu sein. Wenn man den Brief dann öffnet und liest, ist es wie ein 5-Minuten Urlaub. Man taucht ab und vergisst alles um sich herum. Wie mit einem guten Buch. Das kann man mit keiner noch so toll geschriebenen Nachricht über WhatsApp erreichen. Also, seid modern und schreibt Briefe!
Amalia
Sehr inspirierender Bericht, besonders um das Leben in kleinen Teilstücken zu genießen und darüber menschliche Beziehungen zu pflegen.