Als im Herbst das Oktoberfest abgesagt wurde, war die mediale Aufmerksamkeit groß. Dass in Norddeutschland nun bereits zum zweiten Mal die Schützenfeste ausfallen, ist dabei vielen gar nicht bekannt. Das Emsland, wo auch die kleinste Ortschaft ein eigenes Schützenfest hat, wird dabei besonders schwer getroffen.
Fragt man einen Emsländer nach dem Höhepunkt des Jahres, lautet in den meisten Fällen die Antwort: das Schützenfest! Es ist ein Event, dass wie kein zweites die norddeutsche Kultur verkörpert. Man genießt die Geselligkeit, unterhält sich angeregt – gerne auf Plattdeutsch – und ist mit allen per Du. Es sind Tage der Freude für die ganze Dorfgemeinschaft. Bei den meisten Vereinen steht das Schützenfest unter den pathetischen Schlagworten: Glaube – Sitte – Heimat.
Mehr als nur eine „Saufveranstaltung“
Oft wird der Vorwurf laut, bei dem Schützenfest handle es sich bloß um ein riesiges Trinkgelage. Vor allem das Emsland, das mit Haselünne die Welthauptstadt des Korns beherbergt, sieht sich dem Vorwurf des Alkoholmissbrauchs ausgesetzt. Vergleicht man das Trinkverhalten allerdings mit den süddeutschen Volksfesten, wie dem bayerischen Oktoberfest oder den Cannstatter Wasen, sieht die Situation schon ganz anders aus. Zumindest im Emsland wird Bier aus 0,2l-Gläsern getrunken. Es steht also Genuss und nicht Masse im Vordergrund. Außerdem würde es wohl kein Königschießen geben, wenn vor Alkohol sowieso niemand mehr das Gewehr gerade halten könnte. Es ist wie mit so vielen Volksfesten: Der Außenstehende findet schwerlich Zugang zu ihrem Zauber und reduziert sie auf den Alkoholkonsum.
Same procedure as every year!
Der Ablauf des Schützenfestes ist jedes Jahr gleich. Er unterscheidet sich aber zwischen den verschiedenen Ortschaften. Uns dient als Paradebeispiel das kleine Örtchen Geeste, das mitten im Herzen des Emslandes liegt. Der dortige Schützenverein St. Antonius wurde bereits 1653 gegründet! In Geeste findet das Schützenfest immer am ersten Wochenende im Mai statt.
Alles beginnt mit dem Jugendtanz am Samstagabend. Er richtet sich vor allem an die jüngere Generation. An diesem Abend macht man sich zwar schick, aber es kommen alle in Zivil, nicht in Uniform. Eine Partyband sorgt für stimmungsvolle Musik. Beliebt sind Klassiker von Wolfgang Petry, hin und wieder ein Ballermann-Hit, die neueste Single von Helene Fischer oder zeitlose Fetenmusik wie so ziemlich alles von ABBA, der Party-Hitmix von Pur und vieles mehr. Klar, dass da auch der eine oder andere Discofox aufs Parkett gelegt wird.
Am Sonntag heißt es um 14 Uhr: „Antreten“. Die Schützenbrüder versammeln sich in Uniform auf dem Festplatz und marschieren im Gleichschritt zum Haus des Schützenkönigs, der im vorherigen Jahr ausgeschossen wurde. Mit dabei sind Kapelle und Spielmannszug. Da – zumindest in Geeste – die Frauen nicht Mitglieder des Schützenvereins sind, warten sie mit den Kindern auf den Straßenecken und jubeln dem Umzug zu. Das ganze Dorf ist mit grün-weißen Girlanden geschmückt. Das Königspaar und sein Throngefolge (meist drei Paare aus der Nachbarschaft) werden in Pferdekutschen zum Schützenplatz gefahren.
Ein Spaß für Groß und Klein
Auch für die Kinder ist das Schützenfest ein Riesenspaß. Sie fahren Kettenkarussell oder reiten auf dem Hau-Ruck-Esel. Viele versuchen ihr Glück an der Schießbude. Denn früh übt sich, wer einmal Schützenkönig werden will! Zudem gibt es eine sogenannte „Kinderbelustigung“, für die das Königspaar zuständig ist. Es handelt sich dabei meist um kleine Geschenke wie Spielzeug und Süßigkeiten. Am Abend findet der Festball statt. Natürlich spielt auch hier eine Live-Band. Das Ganze geht bis spät in die Nacht. Erst um zwei oder drei Uhr morgens heimzugehen, ist keine Seltenheit!
Trotzdem erscheinen am nächsten Morgen viele Schützenbrüder um 8 Uhr zum Gottesdienst. Moment mal… Es ist doch Montag?! Richtig, am Montag (und oft auch am Dienstag) nimmt sich so gut wie jeder Schützenbruder arbeitsfrei. Im Emsland hat dafür jeder Chef Verständnis. Nach dem Gottesdienst werden an die Besucher Essensmarken verteilt. Bevor man gemeinschaftlich zum Festzelt marschiert, wird am Kriegerdenkmal gehalten und den Vermissten und Gefallenen zweier sinnloser Weltkriege gedacht. Der Hut wird abgesetzt und das traurige Soldatenlied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt. Am Festzelt angekommen, erhält man gegen die Essensmarke einen Teller Suppe und zwei belegte Brötchenhälften. Um dem Vorurteil des übermäßigen Alkoholkonsums dann doch noch gerecht zu werden, geht es nach dem Frühstück direkt an den Bierpavillon. Währenddessen beginnt im Schützenhaus das Königschießen. In Geeste wird auf eine Wettkampfscheibe geschossen, wobei der Sieger sich an der Punktzahl bemisst. In anderen Teilen des Emslandes schießt man auf einen Holzadler, der zu Fall gebracht werden muss.
Um die Mittagszeit kommt es meist zur Proklamation des neuen Königs. Oft gibt es im Voraus Gerüchte, wer beim Schießen antreten wird. Doch versuchen die Bewerber, es eigentlich geheim zu halten. Vielfach ist dann die Bekanntgabe des neuen Königs doch eine kleine Überraschung. Am Montagabend, der den Schlusspunkt des Schützenfestes markiert, wird besonders kräftig gefeiert. Es ist die große Nacht des frisch gekürten Königspaares. Ein ganzes Dorf befindet sich im kollektiven Freudentaumel!
Es lebe die Brauchtumspflege!
Für jemanden, der nicht mit der norddeutschen Schützenvereinskultur aufgewachsen ist, mag das Ganze etwas militärisch anmuten. Das ist es aber nur geringfügig. Es herrscht ein lockerer Umgang, kein militärischer Drill. Selbst der Gleichschritt wird nicht zu ernst genommen und von der jüngeren Generation, für die bekanntlich keine Wehrpflicht mehr galt, zumeist völlig vernachlässigt. Es geht bei dem Ganzen um etwas anderes: nämlich Brauchtumspflege. Es geht um Heimatverbundenheit und darum, drei Tage im Jahr das zu machen, was schon Opa tat, als er noch ein junger Mann war. Das Schützenfest ist eine unerschütterliche Konstante im dörflichen Leben. Es hat ewige Zeiten überdauert und sich dabei kaum verändert. Hoffen wir, dass es uns noch lange erhalten bleibt und schon im nächsten Jahr wieder stattfinden kann.
Stephan Arens
Tradition verbindet und Traditionen muß man wahren. In diessem Sinne ein dreifach Horrido…