Dieser Beitrag erscheint im Rahmen unserer Diskussionsreihe “Schlagabtausch”. Lies hier den anderen Schlagabtausch-Artikel zum Thema: “Schlagabtausch: Wir lieben das Auto, aber werden bessere Alternativen schaffen!”
Das Automobil stellt seit Jahrzehnten in Deutschland viel mehr als ein Fortbewegungsmittel dar – gleichermaßen ist es ein identitätsstiftendes Kulturgut und Eckpfeiler der Industrie – doch diese Zeiten nähern sich ihrem Ende. Dieser Artikel beschreibt, warum Autos keine Zukunft haben.
Das Auto: Aufstieg und Niedergang eines Kulturguts
Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der völligen wirtschaftlichen sowie moralischen Zerstörung begann mit der „Stunde Null“ der Wiederaufbau Deutschlands. Die rasante Erholung der Produktion und der wirtschaftliche Boom in den 1950er und 1960er Jahren, die als „Wirtschaftswunder“ in die Geschichte eingingen, sind eng mit dem Aufstieg des Automobils als Massenware verknüpft. Das beliebteste Modell wurde der VW Käfer, welcher bis 1972 über 15 Millionen Mal vom Band lief, womit es das T-Modell von Ford als meistverkauftes Auto ablöste.[1]
Nach dem erlittenen Kriegstrauma sehnten sich viele Deutsche nach Wohlstand und Stabilität, was vor allem durch den Luxus eines eigenen Autos symbolisiert wurde. Außerdem spielten wiedergewonnener nationaler Stolz und internationale Wertschätzung der Automobilmarken Mercedes, VW, Porsche, Audi, Opel und BMW eine wichtige Rolle für die Rückkehr Deutschlands in die internationale Gemeinschaft. Jene Werte der Nachkriegsgeneration, die wiederum auf die Babyboomer und Generation X übertragen wurden, sorgten dafür, dass das Auto ein elementares Kulturgut und identifikationsstiftendes Merkmal in Deutschland blieb.[2] Mit dem Übergang der alten Generationen zugunsten jüngerer verändert sich damit das Werteverständnis und auch die gesellschaftliche Bedeutung des Automobils.
Statussymbole haben weiterhin eine wichtige Bedeutung, auch für junge Generationen – doch der Fokus verschiebt sich. Die Vizepräsidentin der Hotelkette „Marriot International“, Jenni Benzaquen, sagte über die junge Generation: „Individualisierung ist das, was sie wollen. Aber es geht nicht mehr nur um weiße Handschuhe und weiße Tischdecken […] Sie wollen etwas Unvergessliches und Einzigartiges und sie haben Durst nach dem Unbekannten und sie probieren Dinge, die ihre Freunde noch nicht probiert haben.”[3] Neben Exklusivität und Individualismus geht es anders als bei älteren Generationen weniger um den Besitz von Gütern, sondern um die zeitweilige Nutzung. Das Teilen und Nutzen hat zahlreiche Geschäftsmodelle, wie „Uber“ als Taxi-Service und „Airbnb“ für Wohnungsvermietung, hervorgebracht. Es ist daher wahrscheinlich, dass sich dieser Trend auch für das Auto durchsetzen wird. Wird das Auto somit ein reines Transportmittel, das man nach der Fahrt wieder abgibt? Damit hätte es endgültig seine identitätsstiftende Bedeutung verloren.
[1] https://www.deutschlandfunk.de/vor-40-jahren-als-der-letzte-deutsche-vw-kaefer-vom-band-100.html
[2] https://www.srf.ch/wissen/gesundheit/das-weitergegebene-trauma
[3] https://www.businessinsider.de/karriere/bewerbung/millennials-generieren-neue-trends-hier-sind-7-statussymbole-der-jungen-generation-2019-4/
Der Klimakiller und das Märchen vom umweltfreundlichen E-Auto
Beim Stichwort „Werte“ spielt der Klimawandel eine wichtige Rolle. Obwohl laut einer Umfrage der „Europäischen Investitionsbank“ (EIB) die Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Klimawandel zusammen als „existentielle Krise“ (59%), gefolgt von „Finanzkrisen“ (45%) und „Migration“ (43%) wahrnimmt, gibt es sichtbare Unterschiede zwischen den Altersgruppen.[4] Menschen unter 30 Jahren schätzen die Unumkehrbarkeit des Klimawandels und den menschlichen Einfluss höher als ältere Menschen ein. Außerdem liegt die Bereitschaft, selbst etwas gegen den Klimawandel zu tun, wie etwa auf Fleisch, Langstreckenflüge oder eben Autos zu verzichten, im Schnitt fünf Prozent höher als bei Menschen zwischen 30 und 64 Jahren beziehungsweise zehn Prozent höher als bei über 65-Jährigen. Aus Klimasicht ist dieser Trend klar zu begrüßen, da PKWs 11,0 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland ausmachen.
Immer wieder wird hierbei auf das klimaneutrale Versprechen des E-Autos verwiesen. Doch nach allem, was wir derzeit wissen können, ist das E-Auto keine Klimarettung, sondern lediglich eine Verschiebung der Problematik. Da durch die Verbreitung von E-Autos die Stromnachfrage weiter steigen wird, muss mehr Strom produziert oder aus polnischen Kohlekraftwerken oder französischen Kernkraftwerken importiert werden. In Deutschland verteilt sich die Stromerzeugung auf 46 Prozent erneuerbare Energien und 54 Prozent fossile und Atomenergie auf (2019). E-Autos sorgen also dafür, dass zwar kein Benzin oder Diesel im Motor verbrannt werden, aber die Kraftwerke viel mehr Erdgas, Braun- und Steinkohle verbrennen. Schließlich sind vielfache Probleme bei E-Autos nicht gelöst: ungenügende Ladeinfrastruktur, lange Ladedauer, hohe Kaufpreise, begrenzte Reichweite und die menschenunwürdige Produktion von Rohstoffen, insbesondere Lithium, sowie die weiterhin austretenden Emissionen beim Bau und Transport der Autoteile. E-Autos verlagern das C02-Problem, ohne es zu lösen, und erschaffen gleichzeitig zahlreiche neue Schwierigkeiten.
[4] https://www.eib.org/de/surveys/2nd-climate-survey/index.htm
Von der autogerechten zur autofreien Stadt
Während in den 1960er Jahren vielerorts noch die Vorzüge einer „autogerechten Stadt“ proklamiert wurden, läuft einem kalter Schweiß den Rücken herunter beim Gedanken an monströse Betonwüsten, abgasverpestete Kreuzungen und architektonische Bausünden in Ludwigshafen, Köln, Dortmund und anderswo. Längst hat jene autogerechte Vision ausgedient, da sie nicht mehr zeitgemäß ist. In einer Studie des „Deutschen Instituts für Urbanistik“ zum Thema „Stadt der Zukunft“ gaben die Teilnehmer an, dass sie sich eine ökologische, soziale und nachhaltige Stadt mit hoher Lebensqualität und Lebendigkeit wünschen.[5] Außerdem soll der motorisierte Individualverkehr durch ÖPNV-Konzepte aus dem Stadtkern verdrängt werden.
Wo bleibt da noch Platz für das Auto? Das Bild aus Münster zeigt auf beeindruckende Weise, wie viel Platz es benötigt, um 72 Menschen in einem Bus, mit dem Fahrrad oder Auto zu transportieren. Dabei sind Parkplätze, Parkhäuser, Tankstellen und so weiter noch gar nicht eingerechnet. Der einfachste Weg, um Raum für Parks, Fußgängerzonen und Fahrradwege zu schaffen, ist ganz klar, das Auto aus den Innenstädten zu verdrängen. Schließlich stellt das Auto ein enormes Sicherheitsrisiko dar, da es bei weitem für die größte Zahl von Verkehrstoten in Deutschland verantwortlich ist. Statistisch gesehen, würden bei einer Reise von 80 Millionen Menschen auf einer Strecke von 1250 Kilometern drei Passagiere mit dem Zug verunglücken, 17,5 mit dem Bus und 162,9 mit dem Auto.[6] Auch bei den kleinen und mittelschweren Unfällen hält das Auto weiterhin den traurigen Rekord, obwohl die Dunkelziffer noch weit größer ist.
[5] https://repository.difu.de/jspui/bitstream/difu/226872/1/DM16062344.pdf
[6] https://www.quarks.de/technik/mobilitaet/so-sicher-sind-unsere-verkehrsmittel-wirklich/
Teuer und alltagsuntauglich – wer kann oder will sich diesen Luxus noch leisten?
Zuletzt sorgen makroökonomische Trends abseits der Klimafrage für ein Umdenken. Da ist zunächst die Urbanisierung zu nennen, die in Deutschland stetig zunimmt. Während 1990 noch 73,1 Prozent der Menschen in Deutschland in einer Stadt lebten, liegt der Anteil heute schon bei 77,5 Prozent und wird voraussichtlich auf 84,3 Prozent bis 2050 steigen. Wenn man bedenkt, dass die meisten Autos im ländlichen Raum genutzt werden, kann man von einem massiven Nachfrageabfall ausgehen.
Ähnlich verhält es sich beim Blick auf die Reallöhne, also dem Lohn, der vom Nominallohn nach Abzug der Verbraucherpreise übrigbleibt. Schon in den vergangenen zehn Jahren haben zahlreiche Krisen und die Inflation dafür gesorgt, dass die Reallöhne langsamer als die Preise wachsen. Mit Hinblick auf die Preissprünge in der Corona-Krise und dem Ukraine-Konflikt sowie der teuren Energiewende muss mit weiteren Kosten gerechnet werden. Die Leidtragenden sind vor allem Menschen aus der Mittelschicht, die sich Luxusgüter, wie ein eigenes Auto, nicht mehr leisten können.
Fassen wir einmal zusammen: Das Auto ist ein teures, unpassendes, klimaschädliches, gefährliches Luxusprodukt, welches zugleich seine logistische und identitätsstiftende Bedeutung verliert. Es verpestet die Luft mit Feinstaub, verbraucht ungemein viel Platz, ist mit großem Abstand verantwortlich für die meisten tödlichen Verkehrsunfälle und hat selbst als deutsches Kulturgut ausgedient. Obwohl Autos als Polizei- oder Krankenwagen, als elektrisch betriebene Taxis, womöglich auch als DTM-Sportwagen oder in anderen Formen weiter existieren werden, geht die Massennutzung des PKWs im Individualverkehr seinem Ende entgegen. Wie das Pferd im 20. Jahrhundert seine Bedeutung verloren hat, wird es dem Auto in unserer Epoche gehen. In einer modernen, nachhaltigen, sozialen, lebenswerten Welt ist kein Platz mehr für das Auto.
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