In Frankreich gibt es neben knusprigem Baguette und köstlichem Rotwein noch vieles mehr, was sich sehen lassen kann. Nachdem ich insgesamt fast zwei Jahre in Frankreich verbracht habe, bin ich überzeugt: Ein bisschen mehr Streik-Kultur, Savoir-vivre, Spielebars und Stolz auf die eigene Sprache können wir Deutschen gut gebrauchen!
Zunächst kurz zur Vorgeschichte meines Frankreich-Aufenthalts: In unser Nachbarland führte mich meine Liebe zur französischen Sprache. Zurück nach Deutschland kam ich schließlich mit einer Liebe zu noch vielen anderen Teilen der französischen Kultur. Während der Schulzeit nahm ich an Schüleraustauschen und einer Abschlussfahrt nach Frankreich teil und war für einige kurze Urlaube mit meiner Familie dort.
Nach dem Abitur verbrachte ich knapp drei Monate in einer Pariser Vorstadt und besuchte eine große Menge an Pariser Museen, die für alle EU-Bürger*innen unter 26 Jahren kostenlos sind.
Anschließend zog es mich für zwei Monate in ein Dorf in der Normandie im Norden Frankreichs, wo mich als Veganerin zwar niemand von der Varietät an lokalen Käsespezialitäten überzeugen konnte, mich aber die vielen Apfelbäume zur Cidre-Herstellung begeisterten und ich per Anhalter einige wunderschöne Städte erkundete. Besonders glücklich war ich schließlich darüber, drei Semester meines Bachelor-Studiums im südfranzösischen Lyon verbringen zu können. In der drittgrößten Stadt des Landes fuhr ich mit Leihfahrrädern an hübschen Hausfassaden vorbei und verbrachte viele warme Abende an den Ufern (sur les quais) der beiden Flüsse.
Spieleabend gefällig?
Ein Konzept, das mich in Lyon besonders begeistert hat, sind Spielebars oder Brettspielcafés, auf Französisch bars à jeux. Diese Bars sind im Besitz unzähliger Karten- und Brettspiele, die die Besucher*innen teils gegen ein kleines Entgelt pro Kopf oder einen Mitgliedsausweis benutzen dürfen. Dazu werden Getränke wie Bier oder Limonade angeboten – wie in anderen Bars auch. Ich würde behaupten, dass man die Anzahl dieser Bars in Deutschland an zwei Händen abzählen kann. Allein in Lyon gab es hingegen mehrere, die jedes Mal voll besetzt waren, wenn ich dort war. Wer also ab und zu Lust auf einen Spieleabend hat und sich dafür kein heimisches Spiele-Lager aufbauen will, kann sich in solch einer Bar gut im Freundeskreis verabreden und einen lustigen, langen Abend verbringen.
Unterwegs mit fremden Rädern
Im Land der Tour de France ist das Leihfahrrad-System beeindruckend gut ausgebaut. In vielen großen oder mittelgroßen Städten wie Paris oder Lyon funktioniert es so, dass man über die gesamte Stadt verteilt an bestimmten Stationen ein Fahrrad vom stadteigenen Anbieter ausleihen kann, indem man es mittels Mitgliedskarte oder App freischaltet. Während meiner Zeit in Lyon habe ich als Studentin (pro Jahr!) weniger als 20 Euro für die Nutzung bezahlt und konnte ein Fahrrad jeweils für eine Stunde benutzen, bevor ich es an einer beliebigen Station zurückbringen oder gegen ein anderes austauschen musste. Für mich ein deutlich besseres System als in Deutschland, wo es eine große Auswahl verschiedener Leihfahrrad-Anbieter gibt und man das Fahrrad teilweise an den absurdesten Orten abstellen kann.
Coolness auf Französisch
Comics (auf Französisch BD von bande dessinée) sind cool; auch Erwachsene lesen sie in Frankreich. Dasselbe gilt für Roller (trottinettes): Man sieht viele Männer und Frauen in Anzug, die auf Rollern an einem vorbei zur Arbeit düsen – ob elektrisch betrieben oder nicht. Eigentlich äußerst praktisch! Außerdem ist meine Beobachtung: Ungekämmte Haare gehören zum Stil dazu. Ob bei Männern oder bei Frauen, es darf gern ein bisschen vom Winde verweht aussehen, oder zumindest so, als hätte man sich keine große Mühe gegeben. (Hierbei spreche ich nur von europäischen Haaren, wobei mir natürlich bewusst ist, dass es z. B. auch viele Französinnen und Franzosen mit Afro gibt.)
Savoir-vivre
Das französische Lebensgefühl wird durch kaum etwas so sehr geprägt wie durch Apéros: Das sind gemütliche, abendliche Treffen unter Freund*innen. Jede*r bringt etwas mit und man trinkt Wein, isst viel Baguette mit Dips und andere Snacks. Manchmal ist danach ein gemeinsames Ausgehen geplant und der Apéro nimmt kurzerhand die Funktion des deutschen „Vortrinkens“ ein. Im Sommer war ich sicher einmal pro Woche zu einem Apéro eingeladen. Oft saßen wir an warmen Abenden gemeinsam mit vielen anderen jungen Menschen am Rhône, dem breiteren der zwei Flüsse in Lyon. Dort war es zwischen April und Oktober besonders an Freitagen und Samstagen so voll, dass es schwer war, den eigenen Freundeskreis ausfindig zu machen.
Mein Lieblingsalkohol in Frankreich ist und bleibt jedoch nicht Wein, sondern Cidre, ein „Apfelwein“ mit zugegeben sehr niedrigem Alkoholgehalt – weniger als 3 Prozent. Er enthält Kohlensäure und schmeckt somit sehr nach Apfelschorle. Außerdem gibt es ihn in der äußerst leckeren Version mit Birnen, genannt Poiré (von poire, Birne). Cidre findet man in Deutschland nicht in allen Geschäften – Poiré ist leider noch schwieriger anzutreffen.
Der Stolz auf die eigene Sprache
Man kann sich über das Englischniveau mancher Französinnen und Franzosen aufregen, so viel man möchte, aber mir gefällt der Stolz auf die französische Sprache. Daher finde ich persönlich die Idee einer Radio-Mindestquote für Songs in der jeweiligen Landessprache gut. 1986 wurde eine Quote von mindestens 40 Prozent französischer Musik in landesweiten provaten Radiosendern eingeführt, die heute je nach Sender etwas höher oder niedriger sein kann. Obwohl ich nicht besonders viel deutsche Musik höre, würde ich gern nicht ausschließlich englische Songs hören, wenn ich hierzulande das Radio anschalte.
Wer im Übrigen einen Auslandsaufenthalt plant und wirklich die Landessprache verbessern möchte, ist in Frankreich meiner Meinung sehr gut aufgehoben. Obwohl immer mehr französische Staatsbürger*innen Englisch beherrschen und teilweise im Gespräch mit Ausländer*innen ins Englische wechseln würden, behält Französisch den höchsten Stellenwert und ist in den meisten Situationen unabdinglich. Ich habe während meiner drei Semester in Lyon festgestellt, dass selbst die meisten internationalen Studierenden miteinander Französisch sprechen – und nicht Englisch!
Extrageld für Studierende
Alle Studierenden in Frankreich haben ein Anrecht auf etwa 70 bis 170 Euro Wohngeld im Monat. Einzige Voraussetzungen: Ein Studiennachweis und ein französisches Bankkonto. Online beantragt man diesen Zuschuss, den man nicht zurückzahlen muss, bei der Caf (Caisse d’allocations familiales; die Familienkasse). Es gibt gewisse Kriterien, die über die Höhe des Betrags entscheiden: Mehr bekommt zum Beispiel, wer allein lebt.
Von A nach B mit öffentlichen Verkehrsmitteln
In Frankreich wird für Studierende kein Semesterbeitrag erhoben, in dem ein Ticket für öffentliche Verkehrsmittel enthalten ist. Allerdings ist der Nahverkehr insgesamt preiswerter als in Deutschland: In Lyon und in Paris, wo ich für längere Zeit lebte, musste ich monatlich für meine Fahrtkarte mit Studierenden- oder Ausbildungsstatus nur etwa 30 Euro hinblättern; in Berlin waren es als Praktikantin fast doppelt so viel. Studierende können außerdem in Frankreich entscheiden, ganz auf die Fahrtkosten zu verzichten und beispielsweise mit dem Fahrrad zu fahren.
In jedem Fall empfehle ich den ÖPNV für den Unterhaltungsfaktor: Viele führen in Frankreich telefonische Privatgespräche in Bus und Bahn, sodass man dort den ein oder anderen lautstarken Streit mithören kann. Im Bus steigt man im Übrigen vorn in den Bus ein und begrüßt alle Fahrer*innen dabei mit „Bonjour“ oder abends „Bonsoir“. Das finde ich sehr sympathisch.
Protestkultur
Einfach dagegen: Das sind Französinnen und Franzosen, was viele Dinge angeht. Streiks und Demonstrationen sind an der Tagesordnung, und das in allen Bereichen, ob beim Krankenhaus-Personal, beim Pendant der Deutschen Bahn (SNCF) oder im Bildungswesen. Das mag viele Nachteile haben (wie Einschränkungen im Verkehrswesen), aber es erlaubt Menschen in Frankreich, ihre Unzufriedenheit mit geltenden Gesetzen oder Gesetzesänderungen auszudrücken – dieses Recht nutzen sie äußerst regelmäßig.
An meiner Universität in Lyon (Université Lumière Lyon II, die unter Studierenden als politisch links orientiert bekannt ist) mussten meine Klausuren im Sommersemester 2018 durch Online-Aufsätze ersetzt werden, weil Gruppen von Studierenden den Campus aus Protest über Monate blockiert hatten. Sie übernachteten sogar über Wochen in Hörsälen, um allem voran ihre Unzufriedenheit mit den geplanten Studieneingangs-Beschränkungen der französischen Regierung auszudrücken. Auch viele Gelbwesten-Demonstrant*innen (gilets jaunes) haben 2018/19 gezeigt, dass sie ihrem Unmut, wenn notwendig, über Monate öffentlich Ausdruck verleihen. Macrons umfassende Reformen der letzten Jahre sind bei vielen Französinnen und Franzosen auf Unverständnis und Empörung gestoßen.
Einkaufen ohne Verpackung und Wasser ohne Aufpreis
Verpackungsfrei (en vrac) einzukaufen ist in Frankreich seit Jahren vergleichsweise einfach. Die meisten Bioläden bieten Nüsse, Getreide, Nudeln, Trockenfrüchte und mehr selbstverständlich auch verpackungsfrei an und man kann sich in Beuteln, Papiertüten oder Gläsern die Menge abfüllen, die man möchte. In Deutschland muss man dafür meist immer noch „Zero-Waste“-Geschäfte aufsuchen.
Darf es noch etwas zu trinken sein? Wer wie ich nicht besonders gern Mineralwasser trinkt und sich mit Leitungswasser zufriedengibt, freut sich in Frankreich jedes Mal über die kostenfreie Karaffe Wasser (carafe d’eau), die einem in der Gastronomie stets zum Essen gereicht wird.
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