Ein Neurobiologe und ein Philosoph schreiben zusammen eine Wiedererweckungsgeschichte des Spiels. Angefangen bei Platon, endend in den Kernspintomographen unserer heutigen Zeit. Herausgekommen ist dabei ein durchaus gelungenes Sachbuch, das dennoch der Kritik von Tim standhalten muss.
Eigentlich soll dem Leser schon auf dem Cover der gesamte Inhalt des Buches vermittelt werden. In roten mit Buntstift gemalten Lettern prangt der Titel „Rettet das Spiel!“ auf dem Umschlag und gleich daran anschließend folgt der Untertitel „Weil Leben mehr als funktionieren ist“. Damit ist der normative Einschlag dieser durchweg pädagogischen Handreichung von Anfang an klar. Es geht ums Ganze, wie die Autoren nicht müde werden, zu unterstreichen.
Das Ganze meint hier „das Leben“ und „den Menschen“. Beides sind eben jene großen Grundbegriffe, aus denen Wissenschaften, Ideologien und Kriege erwuchsen. Und gleich hier setzt also meine erste Kritik an: Im gesamten Buch wird von der Verteidigung des menschlichen Lebens gesprochen, ohne auch nur einmal wirklich zu erklären, was denn das Wesen dieser scheinbar geschichtslosen Erscheinung ausmachen soll.
Die Autoren
Vielleicht wird aber auch schon einiges klar, wenn wir uns die beiden Autoren einmal genauer anschauen. Da wäre zum einen der in der deutschen Öffentlichkeit bereits wohlbekannte Gerald Hüther. Er ist einer dieser hybriden Persönlichkeiten, die immer noch einen Fuß in der empirischen Wissenschaft halten, um aber dennoch sich durch populärwissenschaftliche Vorträge und Bücher für breite Bevölkerungsschichten zu öffnen. Er ist ein sympathischer Mann mit einer beruhigenden Stimme, der sowohl spannende Geschichten von seiner Flucht aus der DDR erzählen kann als auch die kompliziertesten Erkenntnisse der Neurobiologie mithilfe scheinbar ganz einfacher Bilder aus der Alltagswelt verständlich macht.
Auf der anderen Seite steht Christoph Quarch. Ein Philosoph zwischen protestantischer Theologie und platonischer Lebendigkeitslehre. Mit Themen wie der Re-Erotisierung des Christentums, der Wiederbelebung antiker Philosophie beziehungsweise antiker Tugendethik oder auch butterweichen Einführungen in die Philosophiegeschichte schafft es Quarch, seine Bücher in verschiedensten Ecken der Buchhandlung zu platzieren. Damit hat er sich in den DIE ZEIT lesenden bürgerlichen Schichten ein nicht zu unterschätzendes Standing aufgebaut.
Buchübersicht
Das Buch ist im Groben wie folgt aufgebaut: Zunächst spielt Hüther sein gängiges neurowissenschaftliches Ensemble von sphärenvermischten Erzählungen, die von spielfreudigen Genen bis hin zum Feuerwerk für spielende graue Zellen reichen. Dann darf Quarch ran und beschreibt in literarisch angenehm fließendem Stil die gesamte Kulturgeschichte des Spiels auf gerade einmal 15 Seiten.
Es folgt die Zeitdiagnose, welche in Kurzfassung den Ist-Zustand eines allgegenwärtigen Homo Oeconomicus beschreibt, nur um dann ein Kapitel weiter die Forderung nach dem Homo ludens darzulegen. Dabei schwebt über allen Teilen Schillers Ausspruch „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Bei all dem wird der Leser an eine väterlich-selbstbewusste Hand genommen und entlang der Häuser der Soziologie, Psychologie, Sprachwissenschaften, Neurobiologie, Poesie, Pädagogik, Anthropologie und allen geistigen Vorgärten unserer Kultur sicher geführt, ohne auch nur die Übergänge zu bemerken. Grenzen verschwinden, die Ressourcen unserer Bibliotheken und täglichen Welterfahrungen werden alle zusammengenommen, um letztlich die eigene These zu stützen. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Autoren spielen mit dem Leser. Ob das wohl in ihrem Sinne war oder ob sie ihr Buch dann doch nicht nur als Spiel gelesen sehen wollen, wäre wohl eine Frage, die die Autoren auf ihren eigenen Kopf stellen würde. Denn überall soll gespielt werden und die höchste Form der Wirklichkeit des Menschen drückt sich im Spiel aus und dennoch argumentieren die beiden Autoren doch völlig rational. Und ich bin auch mal ganz ehrlich: Ich will nicht, dass mein Psychologe spielt, sondern bin durchaus froh darum, wenn sich dieser an empirisch fundierte und methodentreue Erkenntnisse hält. Ähnliches gilt für meinen Finanzberater, meinen Professor und meinen Busfahrer.
Der Mensch und das Spiel
Der Mensch wird als Überschusswesen beschrieben, das sich selbst Kultur schafft und sich aus eigener Freiheit die eigenen Schranken der Entwicklung auferlegen kann. Ob also geschaffene Institutionen eine notwendige Entlastung des Menschen darstellen oder doch eher die wesentlichen Kernpotentiale des Menschen unterdrücken, bleibt im Buch in einer schwebenden Dialektik begriffen. So seien Computerspiele, Casinos und Börsen Gift für den Menschen. Das gemeinschaftliche Spiel in der Natur sei dagegen Ausdruck höchster Menschwerdung. Das Spiel sei damit sowohl Gift als auch Heilmittel. Dazu geben die beiden Autoren natürlich dem gefährdeten Leser, der im Zweifel kurz davor steht seine Menschlichkeit zu verlieren, konkrete Spielempfehlungen. Oder eben auch nicht – denn die Kunst ist es, aus völlig freien Stücken genau die Spiele zu wählen, die unsere Potentiale fördern und dabei völlig zweckfrei zu sein. Um das zu verstehen, muss man wohl Hegelianer sein.
Der große Feind der Menschlichkeit ist die Zweckmäßigkeit. Funktionalisierung und Ökonomisierung sind der Tod für Freiheit und Schönheit. Hier wird auch nicht davor zurückgeschreckt Religion, Ökonomie und Wissenschaft als „feindlich gesinnte Mächte“ zu bezeichnen. So ist auch die Anthropologie der Autoren zu verstehen: Wenn der Mensch nicht mehr spielt, ist er Maschine. Aber keine Angst, man ist keine Maschine, nur weil man nicht den ganzen Tag Kartenspiele, Fußball oder Lego spielt. Grund dafür ist die implizite Definition des Spiels in diesem Buch. Alles wird den Autoren nämlich zum Spiel. Bis der Begriff so weit ausgewaschen ist, dass er keine Bedeutung mehr besitzen kann. Da spielen also Gedanken, Neuronen, Tiere, Börsen. Ich würde das ganze vielleicht einen Panludismus nennen. In ihrem Monismus lässt sich nämlich alles aus dem Spiel ableiten und gleichzeitig werden die beiden Autoren blind dafür, dass das Spiel eben das Leben imitiert und nicht andersherum. Spielen scheint mir hier ganz parallel zu einer negativen Freiheit zu liegen. Spielen tun wir immer, wenn es keine äußeren Vorgaben, Pläne und Zweckmäßigkeit gibt.
Bei der Gesellschaftsdiagnose werde ich allerdings das Gefühl nicht los, dass hier weichgewaschene pädagogische Wunschtheorien einfach vom Individuum auf die Gesamtgesellschaft ausgeweitet werden. Immer wieder musste ich dabei auf das Konzept der „Resonanz“ von Hartmut Rosa denken, welche mit bedeutend stärkerem theoretischem Fundament, eine ähnliche Utopie bereitstellt.
Mein Fazit
Die Emergenzsprünge von der zufälligen Ausprägung von Erbanlagen auf die Willensfreiheit und Spielfreude des Menschen sowie die Anthropomorphismen von Schneekristallen und anderen Naturgegenständen ließen mich nur allzu oft schwindelig in einer romantischen Dunstwolke zurück. Die beiden denken da sehr assoziativ: überall wo vom Spiel oder von Spielen die Rede ist, scheint auch eine Bestätigung ihrer Theorie zu liegen. So ist ihnen jedes Buch, jeder Titel und jede Redewendung recht, welche auch nur das Stammwort „Spiel“ enthält. Bei diesem Vorgehen gehen dann aber auch die Ideen großer „Spieltheoretiker“ unter, die leider kein Buch entsprechend betitelt haben. George Herbert Mead hätte zumindest seinen Platz verdient gehabt. Die Abhängigkeit ihres Vorgehens von der deutschen Sprache wird dabei ebenfalls nicht reflektiert. In kroatischer Sprache beispielsweise wird ganz klar unterschieden zwischen dem Spielen mit anderen, dem einsamen Spielen und dem spielen von Instrumenten. Es gäbe also beispielhaft gar keine evidente Verbindung zwischen dem Spiel und der Schönheit, wie es die Autoren zu zeigen versuchen. Dass der Maler mit den Farben, der Musiker mit seinem Instrument und Dichter mit Worten „spielt“, kann in anderen Sprachen schlichtweg so nicht ausgedrückt werden. Mit diesen semantischen Spielereien lassen sich tolle Gedichte schreiben und als Poet (wie Schiller es war) lässt sich die Welt über diese sprachliche Ebene fassen, aber ein positivistischer Wissenschaftler wie Hüther müsste mir doch plausiblere Begründungen liefern als Zufälligkeiten der deutschen Sprache.
Für die Autoren gibt es zwei Todsünden: Zum einen Produkte zu verkaufen, die gezielt eine Einstellung evozieren, Langeweile vertreiben und ökonomischen Gewinn erzielen sollen. Zum anderen eben solche Produkte zu kaufen und auch noch zu glauben, dass wir uns damit etwas Gutes tun würden. Die erste Sünde haben die Autoren begangen, die zweite ich beim Kauf.
„Denn Menschen ahmen sich in hohem Maße durch Entgegensetzung nach [contre-imitation], vor allem dann, wenn sie weder die Bescheidenheit haben, schlicht und einfach zu imitieren, noch die Kraft zu erfinden“ (Gabriel Tarde, Die Gesetze der Nachahmung). Insgesamt liegt für mich mit diesem Buch eben eine solche „Contre-Imitation“ zur Diagnose der Rationalisierung der westlichen Welt vor und so setzen die Autoren der einen Totalität der kalten Ökonomisierung ihre eigene als „universelles Prinzip des Lebens“ entgegen.
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