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Er ist katholischer Hochschulseelsorger in Frankfurt/Oder und freiwilliger Helfer für Geflüchtete aus der Ukraine. 2001 führt ihn ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Lwiw in die Ukraine, wo er ehemalige KZ- und Gulag-Häftlinge besuchte. Diese Erfahrung wird für René Pachmann zum Fundament seines späteren Engagements für ukrainische Geflüchtete. Der studierte Theologe arbeitete nach seinem Studium für Soldatenfamilien, später als Religionslehrer, Schulseelsorger und Gefängnisseelsorger.
Seit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine setzt er sich unermüdlich für ukrainische Geflüchtete in Frankfurt/Oder ein. Im Interview spricht er über seine Motivation, den Menschen in der Ukraine zu helfen, dem Wert von Engagement und die Herausforderungen.
Lieber René, wie erlebst Du die momentane Polarisierung in unserer Gesellschaft?
Hier in Ostbrandenburg gibt es eine große Polarisierung. Bei vielen Deutschen ist eine Art Kriegsmüdigkeit eingetreten, sie haben den Eindruck, über Gebühr belastet zu sein. Dies empfinde ich als schwierig. Dies spiegelt sich in den einzelnen Diskussionen der Kirchgemeinden wieder. Nach einer gehaltenen Predigt wird mir beispielsweise vorgehalten, dass ich auch an die russischen Soldaten denken müsste. In solchen Momenten wundere ich mich, wie Menschen auf bestimmte Ideen kommen.
Auch die Friedensgebete sind eine Herausforderung. Auch dort werden Dinge geäußert, die meiner Meinung nach etwas naiv sind, wenn es beispielsweise um den schnellen Friedensschluss geht. Dies wiederum würde für die Ukrainerinnen und Ukrainer jedoch bedeuten, Gebiete abzutreten, sowie in dem Wissen zu leben, dass Teile der ukrainischen Bevölkerung unter russischer Besatzung leben müssten, was oftmals Entführungen, Folter oder Verfolgungen bedeutet. Dies treibt mich sehr um, obwohl ich versuche, mit verschiedenen Positionen im Kontakt zu sein. Jedoch nimmt in diesem Bereich mein Verständnis zunehmend ab, da ein schneller Frieden meiner Meinung nach mit viel Unheil für die Ukrainerinnen und Ukrainer verbunden ist.
Außerdem merken wir, dass eine Unterstützung für die Ukraine aus der Gesamtbevölkerung nicht mehr in dem Maße vorhanden ist, wie es noch vor zwei Jahren der Fall war. Bei der Unterstützung der Ukraine befindet man sich jetzt nicht mehr in einer großen Mehrheit. Es benötigt zunehmend eine starke Motivierung von Menschen, sich für die Menschen aus der Ukraine erneut einzubringen.
Als Gegengewicht ein Highlight: Bei der Kunstauktion haben wir bemerkt, dass es eine Unmenge von Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukrainer hier in der Gegend gibt, die gerne auch weiterhin mit großem Interesse ihre Bilder für eine Benefizveranstaltung zur Verfügung stellen wollen.
Du hast einmal gesagt, Christ zu sein, ist politisch. Wie prägt dein Glauben dein Engagement für die Ukraine?
Ich glaube vor allem, dass das, was wir unter das Label „Nächstenliebe“ packen, eine gesellschaftliche Ausstrahlung bekommen muss. Nächstenliebe bedeutet nicht nur, den einzelnen Personen um mich herum, Gutes zu wollen, oder Gutes zu tun, sondern, dass die bestehenden Strukturen auch dementsprechend geändert werden. Dazu kann man sich in politischen Parteien engagieren oder zivilgesellschaftlich einsetzen. Das, was wir als Christen zu geben haben, ist inhaltlich gar nicht so unterschiedlich von dem, was Leute mit anderen Motivationen einbringen können.
Ich denke, dass uns als Christinnen und Christen unsere spezifische Motivation, helfen kann, offen zu sein, Menschen bereitwillig aufzunehmen und an Strukturen mitzuarbeiten, die es Menschen, die zum Beispiel aus der Ukraine zu uns kommen, leichter machen, bei uns Anschluss zu finden.
Zusammenfassend meine ich den Gemeinschaftsaspekt, aber auch den Gerechtigkeitsaspekt, den ich von den Jesuiten mitgenommen habe. Dort habe ich gelernt, dass die Verkündigung des Glaubens mit einer Förderung der Gerechtigkeit einhergehen muss. Wir können nicht so tun, als könnte man den Glauben im luftleeren Raum verbreiten. Die Förderung der Gerechtigkeit hängt ganz unmittelbar mit der Verkündigung des Glaubens zusammen. Das gehört zum christlichen Glauben nicht als Anhängsel dazu, was man vielleicht optional noch machen könnte, sondern bildet einen fundamentalen Bestandteil des christlichen Glaubens.
“Wenn wir keine Waffen liefern, können wir genauso viel Schuld auf uns als, wie wenn wir Waffen liefern. Zu sagen, dass wir keine Waffen liefern und wären bei dem Blutvergießen raus, ist meiner Meinung nach, ein naiver Irrglaube. Ich halte es für einen naiven, wenn auch leider weit verbreiteten Irrglauben, dass das Nichts-Tun christlicher wäre.”

Was antwortest du Menschen, die glauben, Politik und Religion sollten strikt getrennt sein, gerade bei so emotionalen Themen, wie Waffenlieferungen?
Ich persönlich glaube, dass das nicht zu trennen ist, sonst hieße das, dass Religion eine Privatsache ist, die im Gemeinschaftsleben nichts zu suchen hat. Da wir Menschen nicht nur in unseren privaten Räumlichkeiten existieren, sondern auch auf den Straßen unserer Stadt und auch dort, wo wir im Sportverein oder im Supermarkt unterwegs sind, ist es meiner Meinung nach evident, dass gesellschaftliches Engagement und deswegen auch Politik und der persönliche Glauben nicht voneinander getrennt werden können.
Bei Waffenlieferungen kann es ganz klar unterschiedliche Meinungen geben. Man kann christlich begründet einen starken Pazifismus betonen, das ist legitim. Aber ich glaube, aus dem Blick Jesu, der ein Blick für die Unterdrückten war, ist es genauso legitim zu sagen, dass wir der angegriffenen Ukraine helfen müssen, damit nicht noch mehr Menschen unter die russische Herrschaft kommen. Das tun wir, indem wir dafür einstehen, dass Waffen geliefert werden. Egal, was wir tun, wir können uns moralisch nie völlig sauber halten, auch wenn manche denken, wir müssen als Christen und Christinnen die Guten sein und uns gegen Waffenlieferungen aussprechen.
Wenn wir keine Waffen liefern, können wir genauso viel Schuld auf uns laden, wie wenn wir Waffen liefern. Zu sagen, dass wir keine Waffen liefern und wären bei dem Blutvergießen raus, ist meiner Meinung nach, ein naiver Irrglaube. Ich halte es für einen naiven, wenn auch leider weit verbreiteten Irrglauben, dass das Nichts-Tun christlicher wäre.
Was treibt dich an, dich so intensiv für die Ukraine einzusetzen?
Ich würde mich auch für jede andere Nation, jedes andere Land einsetzen. Es geht mir nicht darum, dass die Ukrainerinnen oder die Ukrainer bessere Menschen wären oder dass sie mehr als Andere leiden würden. Mir ist die Ukraine aus biographischen und sprachlichen Gründen sehr nahe. Außerdem hatte ich das Glück, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in Frankfurt/Oder zu sein, was mir verhalf, etwas mitbewirken zu können. Deswegen ist es für mich besonders wichtig, mich für Ukrainerinnen und Ukrainer einzusetzen. Gleichzeitig bin ich aber auch dafür, dass andere Menschen in Deutschland, die Aufnahme suchen, auch unterstützt werden.
Woher nimmst du die Kraft für dein Engagement?
Viel schlafen, gute Lektüre, meine Familie und mein Glaube. Es hilft mir zu wissen und zu erleben, wenn Menschen mit einer religiösen Motivation oder einen anderen Motivation zusammenkommen, ohne dass sie selbst viel davon haben, anderen Menschen etwas Gutes tun. Das ist eine große Kraftquelle für mich.

Welche Werte stehen dann für dich im Mittelpunkt?
Nächstenliebe, Gerechtigkeit und der Einsatz für Menschen, die Hilfe brauchen. Ein weiterer Wert ist für mich: Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachzugehörigkeiten kommen in Kontakt miteinander zu bringen. Dies kann bei Festen geschehen, die regelmäßig miteinander gefeiert werden. Dies haben wir im Verein „Helping Hands Blaue Brücke“ gemacht. Aus unterschiedlichen Kulturen zusammen kommen und miteinander feiern, finde ich besonders schön. Wir durften in einer lockeren Atmosphäre miteinander Zeit verbringen. Als Wert würde ich dies als Miteinandersein bezeichnen.
Was bewirken die Friedensgebete in der Gemeinschaft und was bedeuten sie für dich persönlich?
Ich empfinde diese als sehr wichtig und sehr gut. Vor allem den Aspekt, dass unterschiedliche Meinungen vertreten sind. Diese Treffen bewirken eine Hoffnung über die ernüchternden und erschreckenden Realitäten hinaus. Trotz der Gräueltaten der russischen Armee und Besatzer, drückt man durch die Treffen trotzdem aus, dass auf Frieden gehofft wird. Das stellt für mich ein kleinen Wunder dar, dass die Realität und das Gebet miteinander in Kontakt gebracht werden.
Andererseits stellen diese Treffen ein Korrektiv für meine eigene Meinungsbildung dar. Wenn ich beispielsweise zu sehr auf Seiten der ukrainischen Streitkräfte stehe, dann ist es gut, Leute aus der DDR-Friedensbewegung zu hören, die dazu plädieren, überhaupt keine Armee zu unterstützen. Die Friedensgebete bilden einen gesellschaftlichen Diskursraum, der sehr wichtig und hilfreich ist. Aus familiären Gründen habe ich mein Engagement nach 1,5-2 Jahren zurückgefahren. Ich bin aber froh, dass viele andere Menschen weiterhin daran beteiligt sind.
“Die eigentliche Quelle für Traurigkeit ist der bleibende Krieg in der Ukraine. Das ist kein Rückschlag. Aber es ist Fakt, dass sich derzeit die Situation nicht zum Guten für die Ukraine wendet.”
Bei so intensivem Engagement gibt es sicherlich auch Rückschläge und schwierige Momente. Was war für dich die größte Herausforderung, die du bisher bewältigen musstest?
Eine gewisse Frustration löst bei mir das stark nachlassende Engagement aus. Im Verein haben sich zum Beispiel viele Leute wieder zurückgezogen, die sich dann doch lieber an anderen Stellen engagieren wollen. Die eigentliche Quelle für Traurigkeit ist der bleibende Krieg in der Ukraine. Das ist kein Rückschlag. Aber es ist Fakt, dass sich derzeit die Situation nicht zum Guten für die Ukraine wendet. Das beschäftigt mich derzeit am meisten, da mir bewusst ist, dass das, was wir hier vor Ort tun können, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Für einzelne Personen ist das hier vor Ort gut und wichtig, aber die Gesamtsituation dort ist noch nicht auf dem Punkt, dass dort ein gerechter Frieden einkehren würde.
Was motiviert dich, weiterzumachen, wenn Dinge nicht so laufen, wie du sie dir wünschst?
Der Krieg und der Kriegsverlauf sind so schrecklich, dass ich mich manchmal frage, was meine Hilfe überhaupt bringt. Aber ich mache einfach weiter. Auch als eine Art von Selbstwirksamkeits-Erleben. Wir können hier vor Ort im Kleinen etwas tun. Und wenn an vielen Stellen, Menschen im Kleinen etwas tun, kommt an vielen Stellen auch etwas Gutes dabei heraus, auch wenn es vielleicht nicht die große Sache ändert.
Ganz viele zivilgesellschaftliche Initiativen und einzelne Personen, die sich engagieren, sind wichtig dafür, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer unterstützt werden. Und auch wenn ich persönlich den Eindruck habe, dass die wenigen Sachen, die wir machen, nicht so den Effekt haben, den wir uns wünschen würden, denke ich doch, dass es erstens nötig ist und eine gewisse Strahlkraft hat, in die Gesellschaft hineinzuwirken, indem man sich nicht beirren lässt, auch wenn es viel Gegenwind gibt.
Wie siehst du die Zukunft der Ukraine besonders mit Blick auf den Krieg und den Wiederaufbau?
Wir als Westen, wir als europäische Union und wir als Deutschland wären gut beraten, die Ukraine stärker als bisher zu unterstützen: militärisch, sozial und mit technischen Einrichtungen, gerade in Hinblick auf die Energieinfrastruktur. Denn je stärker Russland wird und je mehr sie von der Ukraine einnehmen können, desto schwieriger wird die Verhandlungsposition bei kommenden Friedensverhandlungen. Außerdem verstärkt sich auch das Gefühl von Putin und dem Kreml, sie könnten sich das Durchbrechen von internationalen Regeln erlauben.
Die Gefahr, dass so etwas im Baltikum, in Polen oder auch in der Moldau passiert, nimmt dadurch auch zu. Die wichtigste und größte Aufgabe für uns im Westen ist die Unterstützung der Ukraine, ohne zu lange zu zögern und zu warten, was sich aus innenpolitischen Erwägungen oder der Angst vor roten Linien ergeben könnte. Das Problem ist, dass Putin die ganze Zeit rote Linien durchkreuzt. Beispielsweise bombardiert er Kinderkrankenhäuser, setzt Giftgas ein und lässt Menschen entführen, wozu z.B. 10 000 Kinder zählen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, was da von russischer Seite noch kommen könnte.
Welche Rolle möchtest du in dieser Zukunft spielen und wie können andere Menschen deiner Meinung nach helfen?
Ich setze mich so, wie ich es kann, weiter ein. Viele Initiativen entstehen gemeinsam mit anderen Menschen. So wie beim Straßenwörterbuch und bei der Kunstauktion. Ich bin froh, wenn ich mit anderen Menschen gemeinsam etwas machen kann, auch im Rahmen der Kirchengemeinde. Meine Rolle ist nicht fest. Aber ich würde mich freuen, in Zukunft auch als Tourist in die Ukraine reisen zu dürfen, weil die Ukraine auch Menschen braucht, die sie besuchen und gerne dorthin fahren und ich würde das auf jeden Fall gerne mit meiner Familie machen. Die Ukraine ist so ein schönes Land. Ich würde sehr gerne die Krim besuchen, in die Karpaten fahren, nach Kiew oder in andere Gegenden fahren.
Was wünschst du dir persönlich für die Menschen in der Ukraine aber auch für uns hier in Deutschland, wenn du an die kommenden Jahre denkst?
Für die Menschen in der Ukraine wünsche ich mir einen gerechten Frieden, sodass sie in ihren Grenzen friedlich leben können und keine Angst mehr vor dem Nachbarn im Osten haben müssen. Und ich wünsche mir vor allem, dass ein Wiederaufbau und eine Integration in die NATO und möglichst auch in die europäische Union bald stattfindet. Ich wünsche mir, dass die ukrainischen Unternehmen etwas vom Wiederaufbau haben und nicht nur eine Menge von Unternehmen aus den USA oder aus Westeuropa Geld nach einem Friedensschluss in die Ukraine einpumpen und schlussendlich Gewinne abschöpfen, von denen die Ukraine nichts hat.
Auch im Blick auf eine ökologische Wende, hoffe ich, dass die Ukraine wieder so aufgebaut wird, dass sie ein Vorreiter in grüner Klimatechnologie sein kann. Ich wünsche mir, dass die Ukraine ein Land wird, dass gut in die europäische Union passt, hinsichtlich seiner Sozialstruktur und seiner Staatlichkeit, in den Grenzen von 1991.
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