Im vergangen Jahr wurde viel darüber geschrieben und diskutiert, ob Religion die Ursache allen Übels ist. Ob sie die Verantwortung für den Krieg in Syrien trägt und sie der Grund ist, weshalb der IS überhaupt entstand. Religion als Opium des Volkes sozusagen. Am besten solle sie ganz abgeschafft werden. Sie sei im 21. Jahrhundert ohnehin überholt. Eine Lösung ist dies jedoch nicht, das Gegenteil hingegen könnte eine sein. Ein Kommentar.
Im Namen Gottes wurde schon immer gemordet, ganz gleich von welcher Religion wir sprechen. Der Islam, der wie es scheint aktuell vermeintlich das Monopol an Gewaltverbrechen aller Religionen besitzt, war und ist nicht die einzige. Auch Christen können sich davon nicht freisprechen. So liegt es nahe, die Religionen zum Sündenbock zu machen. Sind sie doch der Grund für Millionen von Morden. „Weniger Religion“ heißt bei manchen nun die Forderung. Oder etwa nicht?
Den Religionen den Kampf anzusagen erscheint als die nächstliegende Lösung. Gäbe es keine Religionen, so würden auch keine Kriege in ihrem Namen stattfinden. Logisch. Doch so einfach ist der Sachverhalt nicht. „Weniger Religion“ würde heute die strikte Trennung von Kirche und Staat bedeuten. In Frankreich geschah dies bereits 1905. Religion soll Privatsache sein, weshalb sich die Regierung der Neutralität gegenüber allen Glaubensgemeinschaften verpflichtet. Dies beinhaltet nicht nur, dass keine staatlichen Mittel bereit gestellt werden, sondern auch das Verbot des Tragens von religiösen Symbolen in staatlichen Einrichtungen.
Situation in Deutschland
In Deutschland findet keine strikte Trennung von Kirche und Staat statt, wie dies in Frankreich der Fall ist. Dennoch sind Muslime, was finanzielle Unterstützung angeht, nicht gleichberechtigt. Christen zahlen die Kirchensteuer und Juden die Kultursteuer. Von diesen Einnahmen können unter anderem Gotteshäuser errichtet werden. Muslime hingegen zahlen keine solche Steuer und dürfen auch keine erheben. Dies ist einer der Gründe, weshalb Moscheen meist von der Türkei oder Saudi Arabien finanziert werden. Zudem sind Imame Ehrenamtler oder sie reisen aus dem Ausland ein.
Saudi-arabische Imame kennen die Lebensumstände in Deutschland nicht ausreichend genug, Ehrenamtler hingegen sind nicht ausgebildet. Diskriminierung in Form eines Kopftuchverbots, wie dies seit Jahren diskutiert wird, und das Verbot muslimischer Bestattungen, die ohne Sarg stattfinden, führen zur Ausgrenzung. All dies kann den Weg in den Extremismus unterstützen.
Mehr Religion
Auf diese konkreten Beispiele bezogen meint „mehr Religion“ auch den Gedanken, dem Islam finanziell mehr Gleichberechtigung zukommen zu lassen. Könnte ein Moscheebau ohne Gelder aus Saudi Arabien auskommen, schwindet auch dessen Einfluss. Gleiches ist übertragbar auf Imame. Deren Ausbildung muss auch hier möglich sein, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung und deren Verbindung mit dem Islam zu stärken. Der Islam ist ein Teil Deutschlands, wenn man ihm die Möglichkeit dazu einräumt. Der Weg weg vom Laizismus hin zur gleichwertigen Anerkennung aller Glaubensgemeinschaften ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wenn man nicht möchte, dass Parallelgesellschaften in Deutschland entstehen und sich Geflüchtete stattdessen integrieren, muss ihnen auch eine Chance dazu gegeben werden. Dies kann nur funktionieren, wenn deren Religion respektiert wird, auch vom Staat.
„Mehr Religion“ ist jedoch nicht nur die Aufgabe des deutschen Staates. Es ist die Aufgabe eines jeden Gläubigen. Findet Gemeinsamkeiten, sucht nicht nach Unterschieden, wo vielleicht keine sind. Lasst Religion nicht nur ein Teil des Problems sein, sondern ein Teil der Lösung. Es muss sich zurückbesinnt werden, auf die positive Funktion der Religion. Auf Hoffnung, Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden. Diese Grundsätze findet man im Islam, im Christentum, im Judentum und allen anderen Glaubensgemeinschaften. Religion sollte nicht nur die Last der Verantwortung für Krieg und Gewalt auf ihren Schultern tragen, sondern stattdessen positive Gefühle bündeln.
“We found love”
Das ist es doch, was Religion zu schaffen vermag. Liebe, Geborgenheit und Hoffnung an Orten zu finden, an denen es eigentlich nicht möglich erscheint. Die Welt ist oftmals ein grauenhafter Ort. Hier kommt die Religion ins Spiel. Sie gibt uns Sicherheit und die Hoffnung, an das Gute zu glauben, selbst wenn es aussichtslos erscheinen mag. „Mehr Religion“ bedeutet sich auf diesen Grundgedanken zurückzubesinnen. Ich selbst bin katholisch und habe christliche Grundwerte kennengelernt. Mittlerweile kann ich mich mit der katholischen Kirche als Institution jedoch nicht mehr identifizieren. Dennoch bin ich der Meinung, dass Religion es schafft, Dinge in Bewegung zu setzen und das „mehr Religion“ ein Teil der Lösung sein kann.
Gerch Simml
Vielen Dank für den Artikel. Das mit der Kirchensteuer ist mir völlig neu und eröffnet mir auch einen völlig neuen Blick auf das Thema “Integration”.
Erst vor wenigen Minuten ist bei der WELT ein passender Kurzbeitrag erschienen. Darin spricht die Integrationsbeauftragte der Union von einer Verfassungswidrigkeit und Ungleichbehandlung der Religionen wenn ein Gesetz extra für eine Glaubensgemeinschaft verabschiedet würde.
https://www.welt.de/politik/deutschland/video163347063/So-koennte-ein-Islam-Gesetz-in-Deutschland-aussehen.html