Knapp drei Monate vor der Bundestagswahl versinken die Grünen in der Bedeutungslosigkeit. Wieso liegen die Umfragewerte der einzigen ökologisch ausgerichteten Oppositionspartei momentan im 15-Jahres-Tief?
Vor nicht allzu langer Zeit sprach man in Deutschland noch von dem Höhenflug der Grünen, nannte sie insgeheim die grüne Volkspartei. Jahrelang kämpften sie vehement für Umwelt- und Verbraucherschutz, für Frauen- und Bürgerrechte und gegen die Atomkraft. Und im Jahr 2017 ist vieles davon Realität: Deutschlands Ausstieg aus der Kernenergie, die steigende Beliebtheit von Bioprodukten, Ökostrom und Gesetze für Umweltschutz und Energiewende – nur als Beispiel. Längst sind die Themen der Grünen in der breiten Bevölkerung akzeptiert. Inzwischen ist die Partei in 14 von 16 Landesparlamenten vertreten und oft auch in dessen Regierungen. In Baden-Württemberg stellen die Grünen als stärkste Partei sogar den Ministerpräsidenten.
Nun, vier Monate vor der Bundestagswahl, nähern sich die Umfragewerte der Oppositionspartei immer mehr der 5-Prozent-Hürde. Im Deutschlandtrend dümpeln die Grünen bei etwa acht Prozent herum, laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa sogar bei nur sechs Prozent. Wie kam es dazu, dass die Grünen ein 15-Jahres-Tief verbuchen und in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohen?
Es fehlt das grüne Alleinstellungsmerkmal
Den Grünen fehlt das, was man im Marketing unter dem Namen USP kennt. Die Unique Selling Proposition oder auch Alleinstellungsmerkmal genannt. Was hebt die Grünen von anderen Parteien ab? Wodurch unterscheiden sie sich? Auf der parteieigenen Website wird diese Frage mit dem „ganzheitlichen und langfristigen Blick“ beantwortet. Dass eine Partei weiter als ein paar Monate voraus denkt, wird jedoch von den meisten Wählern als selbstverständlich erachtet.
Die klassischen Themen der Grünen, wie beispielsweise die Ehe für alle, die Geschlechtergleichstellung, der Umweltschutz, die multikulturelle Gesellschaft oder der Atomausstieg, sind heute von den meisten Parteien – die AfD mal ausgenommen – in der einen oder anderen Form akzeptiert und übernommen worden. Viele Wähler fragen sich zu Recht, wofür die Grünen heute eigentlich noch stehen. Die Spitzenkandidaten Özdemir und Göring-Eckardt versuchen dieser Ungewissheit mit einem 10-Punkte-Plan entgegenzuwirken. Dieser ist jedoch auch nicht aufschlussreicher. Strittige Punkte werden geschickt umgangen und was die Grünen jetzt genau anders machen als andere Parteien, bleibt weiterhin unklar.
Der Bundestagswahlkampf wird für die Grünen schwieriger denn je
Viele Wähler halten Umweltthemen aktuell für weniger brisant als die Flüchtlingsfrage oder Terrorgefahren in Deutschland. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass Innere Sicherheit und Einwanderung zu zentralen Themen des diesjährigen Bundestagswahlkampfs werden. Gerade hiermit tun sich die Grünen denkbar schwer und erreichen innerparteilich keine konkrete Positionierung.
Nach dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen könnte jedoch das grüne Kernthema Klimawandel im Wahlkampf wieder an Bedeutung gewinnen. Ein Aufschwung ähnlich wie nach Fukushima ist möglich – die Situation muss von den Grünen aber auch strategisch genutzt werden.
Wo sind nur die charismatischen Persönlichkeiten?
Mit Cem Özdemir und Kathrin Göring-Eckardt stellen Bündnis 90/Die Grünen zwei Politiker an die Spitze ihres Wahlkampfs, denen es an Autorität und Popularität mangelt. Beide gehören zu den grünen Realos und sind weder besonders mitreißend noch beliebt. Selbst in der eigenen Partei fehlt es an Rückhalt für das Spitzenduo. Bei der Urwahl stimmten nur 70 Prozent für Göring-Eckardt, die wegen der bei den Grünen herrschenden Frauenquote sowieso alternativlos gewählt werden musste. Özdemir, der gegen zwei männliche Kollegen antrat, setzte sich ganz knapp mit 35 Prozent der Stimmen durch. Gerade im Vergleich zu den Ergebnissen der Wahl von Martin Schulz in der SPD (100 Prozent) und Angela Merkel in der CDU/CSU (95 Prozent), wird die geringe innerparteiliche Zustimmung deutlich. Wenn nicht einmal die eigene Partei mit den Kandidaten zufrieden ist, wie sollen es da die Wähler sein?
Parteiinterne Streitigkeiten prägen das Auftreten der Grünen
Dazu kommt, dass es den Grünen momentan an einer einheitlichen Strategie und an politischer Führung fehlt. Immer wieder kommen Ur-Grüne wie Jürgen Trittin oder Winfried Kretschmann dem Spitzenduo mit kritischen Aussagen in die Quere. Zudem treten die Grünen auch nach außen hin widersprüchlich auf. Die Grünen aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sprachen sich beispielsweise vehement gegen schärfere Abschieberegelungen aus, während Kretschmanns Landesregierung zustimmte.
Das Aufdränger- und Regelmacher-Image
Zudem haben die Grünen ein gravierendes Imageproblem. Laut der Allensbach-Studie nimmt die Bevölkerung die Partei vor allem als Vorschriftenmacher wahr. Und wenn man mal an die Veggie-Day Debatte zurückdenkt, trifft das den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Die meisten Wähler werden ungemütlich, wenn Politiker versuchen, in ihren persönlichen Lebensstil einzugreifen. Dass die Grünen als Besserwisser und Aufdränger gelten, führt sicher nicht zu einem besseren Umfrageergebnis.
Scheitern die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde?
Den Grünen fehlt es momentan an so ziemlich allem, was man für ein gutes Wahlergebnis braucht. Die Partei muss schnellstens beweisen, dass sie noch relevant ist. Vor allem sollte sie ein Thema finden, dass die Oppositionspartei von anderen Parteien abhebt und wieder Ausstrahlung verleiht. Das Thema Klimaschutz kommt da durch Trumps Austritt aus dem Weltklima-Abkommen wie gerufen. Dennoch müssen die Grünen gerade solche Ereignisse verstärkt politisch nutzen und sich diesbezüglich in ihren Aussagen und Forderungen deutlicher von den anderen Parteien abheben. Ein charismatischer Spitzenpolitiker, der frischen Wind in die Partei bringt, würde sicher auch nicht schaden. Für diejenigen, die Grün wählen möchten, bleibt nur zu hoffen, dass das Bündnis 90/Die Grünen in den nächsten drei Monaten aufwacht und als geschlossene Mannschaft mit einem zielgerichteten Parteiprogramm Wählerstimmen mobilisiert.
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