Manchmal leiden wir still vor uns hin. Niemand scheint uns zu verstehen und man fühlt sich abgeschnitten von der Welt. Die Einsamkeit als fortwährenden Begleiter zu erleben, begann bei mir mit 16 Jahren, als ich tief in eine Depression fiel. Wie ich mich dabei fühlte, welche Probleme sich ergaben und wie ich schließlich einen Ausweg fand, davon berichte ich dir in diesem Artikel.
Ich weiß es doch selbst nicht!
„Gehst du heute Nachmittag mit ins Schwimmbad?“, fragten mich Freundinnen aus der Schule. „Nein, ich habe etwas Anderes vor.“ „War ja wieder klar!“ Mit diesen Worten wandten sie sich ab. Wenn ich ehrlich gewesen wäre, hätte ich zugeben müssen, dass ich so dunkle Gedanken hatte, froh war, mich endlich zu Hause im Bett verkriechen zu können und den Tag irgendwie zu überleben.
„Warum gehst du nicht mal aus und triffst Freunde?“, machte mir meine Familie beinahe den Vorwurf. „Ich kann einfach nicht“, stotterte ich. Ich fand keinen Zugang zu mir selbst und wollte nach außen hin nicht mitteilen müssen, was mit mir los war. Ich wusste es ja selbst nicht. Manchmal suchte ich bei Ärzten um Rat. Doch keiner konnte mir so richtig helfen. Zum Psychotherapeuten wollte ich damals nicht. Ich hatte ja kein psychisches Problem – davon war ich felsenfest überzeugt.
Hin und Her gerissen
Natürlich sehnte ich mich nach Freunden und hätte so gerne ohne Scham erzählt, was in meinem Herz brannte und schmerzte. Also schrieb ich einen Brief an eine Freundin in der Hoffnung, dass sie meine Situation besser verstünde. Das Gegenteil war der Fall: Mit jeder Woche sah ich zu, wie ich immer mehr allein dastand. Meine Freundinnen wollten das Leben genießen, ihre erste Liebe leben, tanzen und feiern gehen.
Da war kein Platz für eine Lebenskrise, Sinnlosigkeit und vor sich hinvegetieren. Nein, entweder musste ich schnell einen Weg finden, um wieder glücklich und lebensfroh zu sein, um einen Freundeskreis zu haben oder ich würde mich immer mehr isolieren. Ich schaffte es aber nicht so schnell, wieder auf die Beine zu kommen und so fand ich mich damit ab, größtenteils allein die restliche Schulzeit bis zum Abitur zu schaffen.
Wenn keine Freunde – dann Familie?!
„Du bist ja auch immer so schlecht gelaunt, da kann es einem nicht gutgehen“, hörte ich meine Familie sagen. Ich fühlte mich tief beschämt und schuldig. Irgendetwas musste mit mir nicht stimmen. So begann ich, mich auch innerhalb der Familie zurückzuziehen.
Am Wochenende nahm ich einen Job an und versuchte, immer weniger zu Hause zu sein. Mein Zimmer blieb ein wenig mein Rückzugsort. Aber auch dort hatte ich öfters Angst, dass jemand reinplatzt, weil ich das Zimmer nicht abschließen durfte. Eigentlich kam ich mir als Getriebene vor, die nirgendwo einen sicheren Platz hat.
Wie fühlt sich Einsamkeit an?
Zum damaligen Zeitpunkt verknüpfte ich mit Einsamkeit ein Gefühl der Entwurzelung, der Entfremdung, der Abspaltung und der tiefen Ablehnung. Egal, wie ich mich anstrengte, ich blieb die „Spaßbremse“, die „Streberin“ oder die „Komische“. In der Abizeitung konnte ich später noch mehr Meinungen über mich lesen, die mich zum Weinen brachten. Lebt man einige Zeit in dieser empfundenen Einsamkeit, entwickelt sich zusehends eine Art von Verzweiflung, die kaum auszuhalten ist.
Auswege finden
Nachdem meine eigenen Bemühungen scheiterten, lebensfroher zu werden, um Freunde haben zu können, akzeptierte ich zunächst, dass ich allein klarkommen musste. In mir war ein starker Wille und auch ein klares Ziel: Ich wollte unbedingt studieren. Natürlich erhoffte ich mir, auf der Universität mehr Anschluss zu finden und aus der Einsamkeit rauszukommen. So suchte ich mir Gruppen heraus, die sich regelmäßig trafen oder besuchte Veranstaltungen. Ich wollte mich von Anfang an motiviert zeigen und signalisieren, dass ich offen und zugewandt sein wollte. Auch diese Bemühungen liefen ins Leere.
„Du wirkst immer so ernst!“ „Ist bei dir alles in Ordnung?“ Mein zwanghaftes Bemühen um Kontakte schien nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen und die Einsamkeit klopfte erneut an meine Herzenstür. Ich ließ mich richtig tief hinunterziehen an einen Ort der Finsternis. Manchmal erzählte ich anderen Leuten sehr schnell Privates von mir, in der Hoffnung so schneller akzeptiert zu werden. Damit machte ich aber keine guten Erfahrungen. Es kam mir wie ein Verrat an mir selbst vor. Letztlich spitzte sich meine Lage zu mit der erlebten Sinnlosigkeit und mit der gefühlten Lebensunfähigkeit, sodass ich in eine Klinik kam.
Meine erste richtige Freundin
Mit der Zeit lernte ich die Mitpatienten kennen und schätzen. Ich freute mich über Gespräche mit ihnen und sie spiegelten mir sehr offen wider, was sie mit mir empfanden und erlebten. Mit einer Mitpatientin verstand ich mich besonders gut und wir entwickelten eine sanfte Freundschaft.
Wir tauschten uns aus, fanden Gemeinsamkeiten und saßen in der Klinik auch irgendwie im gleichen Boot. Auch nach der Klinikzeit befanden wir uns im Briefwechsel, trafen uns immer wieder und sind heute noch im Kontakt. Ich machte vor allem die Erfahrung: Ich bin ja doch liebenswert und finde eine Freundin! „So schlimm kann ich nicht sein“, überlegte ich.
Der Weg zu mir selbst
Mit der Klinikzeit begann eine lange Therapiezeit, in der ich mich selbst besser kennenlernen durfte. Ich erkannte mehr, warum ich mich schnell in die Einsamkeit zurückzog. Gewissermaßen war sie für mich eine Überlebensstrategie geworden. In der Einsamkeit erhoffte ich mir, nicht mehr verletzt zu werden und gleichzeitig konnte ich keine neuen, positiven Erfahrungen machen. Später hörte ich einmal den Satz: „Du kannst an Menschen erkranken und mit ihnen heilen.“
Ich wollte neue, heilsame Erfahrungen mit Menschen machen und sie wurden mir tatsächlich geschenkt. Die größte positive Erfahrung war für mich, dass meine Freundin in der Klinik mich so annahm, wie ich damals war: am Boden zerstört, mit fettigen Haaren, mit trüben Gedanken und in tiefer Verzweiflung. Sie hat mich weder korrigiert oder mir Ratschläge gegeben noch mich abgewertet. Wir saßen einfach zusammen auf der Bank und haben uns unterhalten.
Therapeutische Ratschläge
Mein damaliger Therapeut meinte, mir Abhilfe von der Einsamkeit zu verschaffen, in dem er mir einen Ratgeber empfahl. Dort las ich: „Machen Sie sich attraktiv, zeigen Sie sich selbstbewusst, initiieren Sie Treffen usw.“ Das war mir alles zu anstrengend. Ich hatte das Gefühl, mich über meine Grenzen hinaus bemüht zu haben.
Danach drehte sich für mich aber das Blatt und ich erfuhr wirklich hilfreiche therapeutische Anleitungen. „Legen Sie sich auf den Boden. Nehmen Sie gerne ein schweres Kissen und legen es auf ihren Bauch. Atmen Sie tief ein und langsam wieder aus. Wenn Sie wollen, spüren Sie einmal, wie sich ihr Inneres anfühlt.“ Das half mir, mehr in Kontakt zu mir selbst zu kommen. Ich hatte mich nämlich selbst verloren!
Ein-samkeit
Mit der Zeit verstand ich mehr, was diese Einsamkeit auch bedeutete. Nämlich mit mir selbst zu sein, bei mir zu sein und mich spüren zu können. Die Ein-samkeit ist erstmal keine Zwei-samkeit und auch keine Gemein-samkeit. Ich habe die Zeiten mit mir alleine immer mehr zugelassen, schätzen und lieben gelernt. Ich kann allein sein! Wow, das war eine Erkenntnis. Zuvor hatte ich sehr große Verlustängste und die Überzeugung, nicht selbstständig leben zu können.
Das hatte mich zweimal zwanghaft in Beziehungen getrieben, die nicht schön waren. Mit den fortschreitenden Monaten der Therapien verstand ich immer mehr, meine Einsamkeit in eine Zweisamkeit oder in eine Gemeinsamkeit einzubringen. Wenn zwei einsame Menschen aufeinandertreffen, erleben sie vielleicht genau das als Gemeinsamkeit. Ich fand heraus, dass ich gerne zu zweit unterwegs war. Wenn ich mehr Kraft hatte, auch gerne mal in einer Gemeinschaftsgruppe. Und dann brauchte ich wieder den Rückzug in die Einsamkeit, um wieder aufzutanken.
Ermutigung
An dieser Stelle möchte ich dich ermutigen, wenn du dich im Moment sehr einsam fühlst und keinen Ausweg vor dir siehst. Manchmal erscheint unser Leben wirklich aussichts- und hoffnungslos. Vor lauter Problembergen sehen wir keinen blauen Himmel mehr. Ich gebe dir an dieser Stelle keinen Rat, was du verändern kannst. Ich denke, dass du dich ohnehin bemühst, Freunde zu finden. Oft setzen wir uns selbst sehr stark unter Druck. Daher gebe ich dir den Hoffnungsschwimmer: „Lass dich beschenken mit der Zusage an dich: Du bist wertvoll und hast es verdient gesehen und gehört zu werden. Wenn es dir möglich ist, gehe in kleinen Schritten weiter und erlebe deine Wichtigkeit, deine Würde und deine Einmaligkeit.“
Wie geht es euch mit dem Thema „Einsamkeit“? Wart ihr schon einmal an einem einsamen Ort? Wie habt ihr euch dort gefühlt? Wie können wir uns mehr in der Einsamkeit begegnen? Und brauchen wir vielleicht sogar mehr Zeit mit uns selbst in unserem angeregten, stressigen Lifestyle?
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