Reglos liegt er in dem kleinen Wasserbecken und starrt mit großen Augen gegen die Wand. Wie deprimierend es für ein so majestätisches Tier sein muss, auf einer Fläche von zwei Quadratmetern eingesperrt zu sein, kann man als Beobachter nur erahnen. Und doch gibt es für Kue momentan keine Alternative. Denn die Grüne Meeresschildkröte ist schwer verletzt und erholt sich im Jaguar Rescue Center von einem Jagdversuch, der auf sie unternommen wurde: Zwei Harpunenlöcher im Panzer zeugen davon. Ein Stich hat Kues Lunge punktiert. Ob und wann er wieder ins Meer entlassen werden kann, ist noch ungewiss.
Kue ist nicht die einzige Grüne Meeresschildkröte, die in den letzten Wochen bei uns in der Auffangstation eingetroffen ist. Sechs weitere Meeresriesen brachte die Polizei Mitte Juli kurz nach ihm. Sie alle teilten das gleiche Schicksal: Mit Harpunen verletzt und für ein Schicksal auf dem Teller vorgesehen. Nicht umsonst heißen diese Schildkröten auch „Suppenschildkröten“. Einst waren sie Proviant der Seefahrer, da die Reptilien lange ohne Nahrung auskommen und daher gut auf eine Schiffsreise mitgenommen werden können. Später entdeckten Feinschmecker die Tiere für sich. Besonders grausam: Die Schildkröten werden nicht direkt getötet, sondern so lange wie möglich am Leben erhalten, damit man das Fleisch jeweils frisch abschneiden kann.
Zumindest den sieben beschlagnahmten Schildkröten konnten wir weitere Grausamkeiten ersparen. Bis auf Kue, der durch die Harpunen schwerere innere Verletzungen davongetragen hat, konnten wir sogar alle nach wenigen Tagen wieder ins Meer entlassen. Einzig die weißen Flecken an den Stellen, wo wir die Panzer mit einer Art Zement versiegeln mussten, erinnern jetzt noch an ihr Schreckenserlebnis.
Skrupellose Wilderei
Die Jagd auf Grüne Meeresschildkröten hat momentan wieder Hochsaison. Zwischen Juni und September kommen die Weibchen hier an die costaricanische Karibikküste, um ihre Eier abzulegen. Sie kehren dabei jedes Jahr an ihren Geburtsstrand zurück. Zwar ist es verboten, Schildkrötenfleisch zu verkaufen, doch auf inoffiziellem Wege lassen sich gute Preise für die Delikatesse erzielen. Nicht nur die erwachsenen Schildkröten werden gejagt, auch vor den Nestern schrecken Wilderer nicht zurück, denn die Eier lassen sich ebenfalls verkaufen.
Neben absoluter Skrupellosigkeit steckt auch Unwissen hinter der Wilderei. Die Menschen sehen die unzähligen Gelege, in denen die Weibchen ihre Eier zu tausenden ablegen. Sie denken, Schildkröten müsse es doch zu Hauf geben! Falsch gedacht. Denn von 1.000 Eiern werden gerade mal zwei zu einer ausgewachsenen Schildkröte heranwachsen; alle anderen fallen vorher natürlichen Fressfeinden zum Opfer. Das wissen nur leider nicht viele – und die, die es wissen, schreckt es dennoch nicht ab. Die traurige Folge der exzessiven Schildkrötenjagd: Von Millionen Grünen Meeresschildkröten, die einst durch die Ozeane schwammen, sind weltweit nur noch etwa 200.000 übrig. Die zweitgrößte Meeresschildkröte der Welt, die an Länge und Gewicht nur von der Lederschildkröte übertroffen wird, steht somit auf der roten Liste der gefährdeten Arten.
Schutz durch Nationalparks und private Projekte
Doch es gibt auch gute Nachrichten! Im Vergleich zu seinen zentralamerikanischen Nachbarländern zeigt sich Costa Rica recht fortschrittlich in Sachen Naturschutz. Das liegt zum Großteil daran, dass der Ökotourismus eine riesige Einnahmequelle darstellt und man dementsprechend gut daran tut, die Vielfalt zu erhalten. So sind mittlerweile 25 Prozent der Fläche Costa Ricas als Zonen eingetragen, die den unzähligen Pflanzen- und Tierarten in dem kleinen Land Schutz gewähren. Zu den Schutzzonen zählt auch der Nationalpark Tortuguero.
Schon der Name macht deutlich, dass Schildkröten (im Spanischen „Tortuga“) hier eine große Rolle spielen – der Schutz der Tiere war das Hauptanliegen für die Einrichtung des Parks im Jahr 1975, und viele Touristen kommen eigens wegen der Reptilien her. Strände werden streng von Rangern bewacht, sodass die Schildkröten bei der Eiablage sicher sind. Im Dezember, wenn die jungen Meeresschildkröten schlüpfen, herrscht ebenfalls eine besondere Wachsamkeit. Auch anderswo hat man die Schutzbedürftigkeit der grünen Riesen mittlerweile erkannt, auf der ganzen Welt suchen Projekte Freiwillige, die Nester an den Küsten der tropischen Meere bewachen.
Mit Erfolg: Die Zahl der Grünen Meeresschildkröten ist in den letzten Jahren wieder etwas angestiegen. Die privaten Initiativen sowie Polizeikontrollen machen es den Wilderern immer schwerer. Dennoch, das haben wir nun im Rescue Center zu spüren bekommen, ist das Problem noch längst nicht gelöst. Wir sind froh, den Tieren hier eine zweite Chance geben zu können. Auch Kue wird sein kleines Becken hoffentlich bald wieder gegen den unendlichen Ozean eintauschen können.
Schreibe einen Kommentar