Psychologie ist eines derjenigen Studienfächer, über das zahlreiche Vorurteile kursieren. Unsere Autorin studiert Psychologie an der Universität Bonn und klärt über die gängigsten Klischees auf.
Man macht ja so einiges mit als Student – auch Vorurteile und Klischees gehören zum Uni-Alltag dazu. Wenn ich von meinem Studienfach erzähle, heben sich regelmäßig in diversen Runden die Augenbrauen. Du studierst Psychologie? Mal schwingt da Skepsis mit, mal Bewunderung, oft ernte ich neugierige Blicke. In der Regel muss ich daraufhin erst einmal meine psychische Gesundheit ausreichend bekräftigen – denn bekanntermaßen studiert man ja Psychologie, um sich irgendwann selbst therapieren zu können. Doch damit nicht genug, denn in der Regel folgt darauf eine Auswahl an vorhersagbaren Sprüchen. Offensichtlich regt der (vermeintliche) Anspruch des Fachs, die Psyche – das Geheimnis des Menschen – zu erklären, zu Mythologisierung an. Im Folgenden deswegen eine Sammlung der Sätze, die ich am häufigsten gehört habe, und derer, die ich am wenigsten mehr hören kann.
Nummer 1: Die drei Typen von Psychologiestudenten
Die kuriose Geschichte von den drei typischen Psychologiestudenten ist mir jüngst auf einer Grillparty begegnet. Im ersten Typus findet sich die bereits erwähnte Vorstellung vom Psychologiestudenten, der sein Fach gewählt hat, weil er selbst Hilfe braucht. Da hat man sie doch mithilfe des eigenen gesunden Menschenverstandes alle durchschaut, diese Psychologiestudenten! Dazu ein kleiner Tipp: Menschen mit psychischen Problemen gehen meistens zum Therapeuten oder Psychiater. Deshalb findet man sie auch eher in Praxen und Kliniken als unter Psychologiestudenten. Aber da ist ja noch Nummer 2, nämlich der, der Psychologie studiert, weil er zu diesen komischen „Gutmenschen“ gehört, die immer und überall und unbedingt anderen helfen wollen. Manchmal muss man Vorurteile mit Vorurteilen schlagen. Meiner Meinung nach sind die meisten „Ich-will-Menschen-helfen“-Idealisten was? Genau, Mediziner. Und schließlich die Nummer 3: Die, die sich für Gott halten. Ja, die gibt es ausnahmsweise wirklich. Aber sicher nicht nur in der Psychologie.
Nummer 2: „Da lest ihr bestimmt Freud rauf und runter, oder?“
Immerhin, einen guten Aspekt hat diese Frage: An ihr erkennt man meist diejenigen, die von Psychologie – jedenfalls der empirischen, wie sie an den Universitäten gelehrt wird – keinen blassen Schimmer haben. Sigmund Freud, berühmt-berüchtigter Tiefenpsychologe und Begründer der Psychoanalyse, ist heutigen Psychologiestudenten höchstens aus den Seminaren zur Geschichte der Psychologie bekannt, denn längst steht seine Theorie in der Kritik. Freuds Vermächtnis an die Psychologie? Es besteht wohl am ehesten darin, dass wir seinem umfassenden Modell der menschlichen Psyche neben wichtigen Denkanstößen und jeder Menge Lexikoneinträgen in psychologischen Fachbüchern auch eine wirksame Form der Psychotherapie verdanken.
Nummer 3: „Über psychische Krankheiten redet man nicht.“
Eines der Klischees, die mich am meisten aufregen, weil sich in diesem Satz nicht harmloses Nichtwissen, sondern ein handfestes Vorurteil gegenüber psychisch kranken Menschen versteckt. Und Vorurteile schaden. In diesem Fall allen, die unter seelischen Krankheiten leiden und Behandlung nötig hätten, aber nicht hingehen. Und zwar aus Angst. Vor sozialem Gesichtsverlust. Vor dem Gerede am Arbeitsplatz. Vor komischen Blicken im Freundeskreis. Psychische Krankheiten gelten als Makel, sie werden im öffentlichen Raum, aber auch im Freundeskreis gern totgeschwiegen. Die Tabuisierung ist wenig hilfreich. Im Extremfall kann sie schwere Folgen haben, denn psychische Krankheiten sind eben keine Wehwehchen und Sprüche wie „Die Zeit heilt alle Wunden“ bestenfalls gut gemeinte Dummheiten. Die gute Nachricht ist, dass jeder durch sein Verhalten aktiv dazu beitragen kann, dass Menschen sich trauen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Unser gutes Wort, unsere Ermutigung kann der entscheidende Anstoß dazu sein.
Nummer 4: „Man kann die Psyche des Menschen nicht in Maßzahlen fassen.“
Manch einer, nicht selten der älteren Generation angehörig, der die heutige Psychologie betrachtet, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Da werden mit komplizierten Methoden Daten ausgewertet, Tests durchgeführt, Gehirnströme und Hormonkonzentrationen gemessen. Was ist aus dem Anspruch der Psychologie geworden, Wissenschaft von der Seele des Menschen zu sein? Wozu all die Mathematik, wo es doch um genuin geistliche Materie geht? Das ist ein berechtigter Einwand, jedoch nur solange, wie man fälschlicherweise annimmt, die Psychologie würde den Anspruch erheben, die „Seele“ des Menschen zu erklären oder zu messen. Das ist jedoch nicht der Fall. Gegenstandsbereich der modernen Psychologie ist das menschliche Erleben und Verhalten. Darüber geben drei Hauptdatenquellen Auskunft: Subjektive Daten, z.B. aus Fragebögen und Interviews, Verhaltensdaten, z.B. aus Tests, Experimenten oder Beobachtung, und schließlich auch physiologische Daten gerade im Bereich der Neuropsychologie, die das menschliche Gehirn in den Mittelpunkt stellt. Das klingt auswendig gelernt. Ist es auch. Psychologiestudenten schreiben nämlich auch Klausuren.
Nummer 5: „Kannst du mir bitte mal die Zukunft vorhersagen?“
Um es zuzuspitzen: Es ist fast unheimlich, welche teils magischen Fähigkeiten mir schon zugeschrieben wurden. Für einen Freund sollte ich Handlinien lesen, ihm verraten, ob er bald endlich die Frau seines Lebens finden würde. Beliebt sind außerdem Hypnose, Lügen in der Mimik erkennen und das ad hoc- oder auch um-drei-Ecken-Therapieren. Auf Anfragen, die mit „Du als Psychologin..“ beginnen, antworte ich inzwischen mit einem kategorischen Nein. Erstens bin ich noch Studentin, und zweitens gehören die oben aufgezählten Dinge in den Bereich der Astrologie, Esoterik und des Aberglaubens und haben mit wissenschaftlicher Psychologie nichts zu tun.
Nummer 6: „Man kann nicht Psychologie studieren und an Gott glauben.“
Kann man doch – nehmt mich als eine Art lebendigen Gegenbeweis. Es ist wahr, dass die Psychologie ihren enormen Bedeutungszuwachs teils dem Bedeutungsschwund der Theologie zu verdanken hat. Dem Bild zweier konkurrierender Sichtweisen auf den Menschen würde ich trotzdem nicht zustimmen. Man könnte das unter „Begrenztheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis“ zusammenfassen, ein Aspekt, dem heute tatsächlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wissenschaft ermöglicht uns heute so vieles, dass sie beinahe allmächtig scheint. Den Blick auf ihre Grenzen sparen wir uns gerne.
Dabei unterliegt zumindest die experimentelle Naturwissenschaft, zu der auch die Psychologie gehört, erheblichen Beschränkungen: So kann sie z.B. nur reproduzierbare, d.h. prinzipiell unendlich oft wiederholbare Vorgänge, folglich aber auch nur Vorgänge in der Gegenwart untersuchen. Dazu kommt die Beschränkung auf die Annahme natürlicher Ursachen („methodischer Atheismus“). Aussagen zu singulären Ereignissen, historischen Prozessen, Geist und Bewusstsein, Schönheit und Ästhetik, Gut und Böse oder zur Gottesfrage kann die Naturwissenschaft nicht machen.¹
Was folgt daraus für das Verhältnis zwischen Psychologie und Religion? Ganz einfach: Als Naturwissenschaftler kann man nur einen kleinen Teil der Welt untersuchen. Und deswegen kann Psychologie auch nur einen kleinen Teil menschlichen Erlebens und Verhaltens erklären, der sich auf dem eng umschriebenen Areal des Gegenwärtigen, Natürlichen und Gesetzmäßigen bewegt. Wenn die Psychologie also fragt, wie kognitive Prozesse ablaufen, wie Emotionen ausgelöst werden etc., ist das zunächst Gegenstand experimenteller Forschung. Problematisch wird es dann, wenn man sich der Grenzen dieser Methodik nicht mehr bewusst ist und als Forscher mit einem gewissen Allwissenheitsanspruch auftritt, zu dem keine Berechtigung vorliegt. Denn die Frage nach einer Interpretation der Befunde, nach dem Warum und dem Sinn oder auch den Grundfragen menschlicher Existenz ist Gegenstand einer theologisch-existentiellen Auseinandersetzung, die nicht im Labor erfolgt, sondern im Herzen jedes einzelnen Menschen und an deren Ende etwas wie eine Weltanschauung steht. Die Psychologie fragt nach dem Wie der Phänomene, die Religion nach dem Warum, nach dem Sinn. Und weil sich diese beiden Ansätze auf zwei grundverschiedenen Ebenen bewegen, kann auch kein Widerspruch zwischen ihnen entstehen: „Der Glaube steht über der Vernunft, nicht gegen sie.“ (Blaise Pascal)
¹ aus: Prof. Dr. Siegfried Scherer: Evolution. Zwischen Wissenschaft und Weltanschauung. (Quelle: https://www.youtube-nocookie.com/embed/k44hdQrIg6M)
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