So haben sie sich ihre Nebenjobs oder ihren Berufsstart sicher nicht vorgestellt: Viele Jugendliche und junge Erwachsene arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. Woran ihr solche Jobs erkennt und wie ihr euch davor schützen könnt, lest ihr hier.
„Hey, wir gehen gleich ins Kino, willst du mit?“ Mila (Name geändert) denkt einen kurzen Moment nach, überschlägt im Kopf ihren Kontostand. „Nee, sorry Mädels, das ist heute nicht drin.“ Sie schüttelt den Kopf, verzieht ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Mein Lohn ist immer noch nicht da.“ Ihre Freundinnen seufzen. „Mal wieder“. Lena wirft ihr einen besorgten Blick zu. Sie hat Recht. Leider. Seit mehreren Monaten erlebt Mila, 19 Jahre alt, regelmäßig das Gleiche: Am ersten Tag eines jeden Monats erscheint sie auf der Arbeit, um sich ihren Scheck abzuholen. Aber der ist zum Stichtag nie da. Stets wird sie auf die nächsten Tage vertröstet. Und kommt jedes Mal, Tag für Tag, hoffnungsvoll in den Laden. Um gleich darauf enttäuscht zu werden. Schon drei Monate in Folge hat sie ihren Lohn mehr als zwei Wochen zu spät bekommen. Und unvollständig. Wie kann man so planen? „Aber ich kann von Glück reden. Manche Kollegen haben noch keinen Cent gesehen.“
Für viele kein Mindestlohn
So wie Mila geht es vielen jungen Menschen. Im Industrie- und Wohlstandsland Deutschland gibt es nicht wenige junge Personen, die von prekärer Arbeit betroffen sind. Oft nehmen sie während des Übergangs zwischen Schule und Berufsausbildung oder Schule und Studium Jobs an, die nicht immer verlässlich und abgesichert sind. Jobs, die schlecht bezahlt werden und bei denen die angehenden Studenten und Azubis oft nicht wissen, wie lange sie noch gebraucht werden. Jobs, die mündlich vereinbart werden, ohne schriftlichen Vertrag, denn mündliche Zusagen würden ja auch gelten. Aber: Prekäre Arbeit ist noch weitaus mehr als das und kommt oft schleichend daher.
Junge Menschen rutschen teilweise in solche Arbeitsverhältnisse hinein, ohne es direkt zu merken: Jobs ohne Absicherung durch die gesetzesmäßige Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen seitens des Arbeitgebers, Jobs mit geringen Arbeitsschutzrechten. Oft herrschen solche Bedingungen in Minijobs: In diesen darf man maximal 450 Euro im Monat verdienen. Und die üben 2017 rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschland aus, 40 Prozent davon Schüler, Studenten und Rentner. 2015 bekam laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung gerademal etwas mehr als die Hälfte der Minijobber 8,50 Euro oder mehr die Stunde. Und das trotz Einführung des Mindestlohns.
Krank zur Arbeit, sonst fliegst du
Das kennt auch Mila. Durchschnittlich 75 Stunden im Monat arbeitet sie bei einem gemäß dem Mindestlohngesetz eigentlich illegalen Stundenlohn von sechs Euro, um ihre 450 Euro zu verdienen, rund 18 Stunden die Woche. „Die Überstunden nicht mitgezählt. Die bekommen wir nicht vergütet, denn mein Chef ist der Meinung, wir seien selbst daran Schuld, länger bleiben zu müssen, wenn wir zu langsam arbeiten.“ Mila macht viele Überstunden. Sie seufzt. Wer bestimmt eigentlich, was zu langsam ist? Die 19-Jährige arbeitet in einem bekannten Schnellrestaurant, dort ist sie Mädchen für alles. Heute hat sie Frühdienst. Beginn: 8:30 Uhr, um neun öffnet der Laden. Aber wie immer fährt sie schon um kurz vor acht vor der Tür vor, zieht sich ihre Arbeitskleidung an und schmeißt Strom und Maschinen an.
Wie ein Hurricane wirbelt sie durch den Laden, räumt Schalen mit Gemüse und Fleisch in die Theke, schmeißt den Ofen an und bereitet Brot und Soßen vor. Nur dass sie statt Chaos Ordnung schafft. „Wenn ich erst um halb neun anfange, dann komme ich nicht mehr hinterher. Bis 12 Uhr bin ich ja alleine.“ Also beginnt sie schon eine halbe Stunde früher. Unbezahlt, denn Engagement für den Job muss sein, meint der Chef. Sie kann sich aussuchen, ob sie eine halbe Stunde eher beginnt, oder lieber den Stress ihres Lebens hat. Bis mittags bereitet Mila Unmengen an Essen vor, bedient Kunden und kümmert sich darum, dass der Gastbereich sauber bleibt. Dazu gehört es auch, die Toiletten zu putzen.
Als ihre Kollegin Nadine kommt, zieht sie sich die dünnen Plastikhandschuhe an, die eigentlich nur zum Bedienen gedacht sind, und greift sich schweren Herzens das Putzzeug. „Das ist so abartig zum Teil, wie die Kunden das Klo hinterlassen. Und wir haben nicht einmal das geeignete Putzzeug, um das wegzumachen.“ Sie zeigt auf ihre Handschuhe und schüttelt sich. Kollegin Nadine hustet ziemlich viel, während sie die leeren Behälter sauber spült. Hin und wieder hört Mila ein „Hatschi“. Warum bleibt sie nicht zu Hause, wenn sie erkältet ist? Will sie es darauf anlegen, die Kunden mit ihren Bakterien anzustecken? Mila zuckt die Schultern. „Das ist normal hier. Sie braucht das Geld. Und wenn du zu oft fehlst, fliegst du. Dann macht’s halt wer anders.“ Reiß‘ dich zusammen“, das ist hier das Motto.
Lohnfortzahlung und bezahlter Urlaub auch für Minijobber
So wie Nadine halten es viele junge Arbeitnehmer: Sie schleppen sich krank zur Arbeit, denn sie wissen nicht, dass man auch als Minijobber und Teilzeitkraft bei Krankheit einen gesetzlichen Anspruch auf sein Geld hat, die sogenannte „Lohnfortzahlung“. Woher auch? In der Schule lernt man eher alles Mögliche über die zeitgenössische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts als etwas über Rechte und Pflichten im Berufsleben. Selbst bezahlter Urlaub steht ihnen zu.
Doch die traurige Wahrheit zeichnet ein anderes Bild: Trotz dieser gesetzlichen Regelungen bekamen in der Realität laut einer Studie von 2013 (Hans-Böckler-Stiftung) 47 Prozent der Minijobber keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Noch weniger, nämlich nur rund 33 Prozent, erhielten tatsächlich bezahlten Urlaub. Aber mit den jungen Leuten kann man’s ja machen: Die sind noch frisch und ausdauernd und müssen erst einmal lernen, was es heißt, ernsthaft zu arbeiten. Die Arbeitgeber profitieren von der Unwissenheit der frischgebackenen Schul- oder Uniabgänger. Und wenn sich doch mal einer beschwert, macht den Job halt ein anderer. Einer, der nicht solch unverschämte Ansprüche erhebt. Denn die Nachfrage auf Unternehmerseite ist groß und das Angebot größer.
Pech gehabt beim Arbeitsunfall
Mila wundert sich. Eigentlich hat sie jeden Monat eine Lohnabrechnung nach Hause geschickt bekommen, aber seit einiger Zeit nicht mehr. Genauer genommen, seitdem sie ihr Geld so unregelmäßig erhält. Was es damit auf sich hat, erfährt sie erst, als ihre Managerin sie nach ihrer Sozialversicherungsnummer und Steuer-ID fragt. „Die habt ihr doch schon längst?“, fragt sie verwundert. „Ja, die hatten wir, aber jetzt musste der Chef euch alle neu und nachträglich anmelden und da brauchen wir die Daten noch einmal.“ Mila ist verwirrt. „Und was war in der Zwischenzeit? Wieso müssen wir denn überhaupt neu angemeldet werden?“ „Weil ihr es ein paar Monate lang nicht wart“, lautet die genervte Antwort der Managerin. Ist es solch eine Unverschämtheit, diese Frage zu stellen? Einige Tage und Fragen später kommt Mila dahinter, wieso sie eine Weile keine Briefe bekommen hat: Über Monate hinweg war sie bei der Sozialversicherung nicht als Arbeitnehmerin gemeldet, der Chef hatte beim Wechsel des Steuerberaters einfach mal eben versäumt, die Mitarbeiter neu anzumelden. In dieser Zeit wurden keine Sozialversicherungsabgaben gezahlt und unfallversichert war Mila auch nicht. „Achtet drauf, euch nicht zu verletzen, bis das geklärt ist“, heißt es da nur von der Managerin. Wer einen Arbeitsunfall hat, kann bis zur Anmeldung nämlich nicht mit Unterstützung durch die Unfallversicherung rechnen.
Selbst Absolventen von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen
Junge Arbeitnehmer, die gesundheitsgefährdend arbeiten – auch das keine Seltenheit. In einem Wohlstands- und Fortschrittsland wie Deutschland mit einem ausgebauten Sozialstaat eigentlich ein Unding. Nun könnte man sagen: Wenn du mal was Ordentliches gelernt hast, passiert dir das nicht (mehr). Dann wirst du schon einen vernünftigen Job bekommen. Doch das ist keineswegs garantiert: Fünf Prozent derjenigen, die eine Ausbildung gemacht und um die 2,5 Prozent derer, die einen Hochschulabschluss haben, waren 2015 sogar arbeitslos, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausgefunden hat. Und die tatsächliche Zahl der Personen, die sich trotz Qualifikation irgendwie durchschlagen muss, liegt noch höher: Einige ehemalige Azubis und Uni-Absolventen machen nämlich Praktika oder Trainee-Programme bzw. Volontariate, um die Zeit bis zu einem „richtigen Job“ zu überbrücken. Vielleicht besser als prekäre Arbeitsverhältnisse, aber meist keine Tätigkeiten, die ihnen ein gesichertes und ausreichendes Einkommen verschaffen. Und das trotz guter Qualifikation.
Aber es kann ausgebildete und qualifizierte Menschen auch auf andere Art so treffen, dass sie in unsicheren Verhältnissen leben müssen: Rund ein Drittel der unter 25-jährigen Vollzeitbeschäftigten hatte 2016 nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Ein Phänomen, mit dem sich das eigene Leben auf lange Sicht nur bedingt planen lässt, geschweige denn Pläne für die Familiengründung möglich sind. Es betraf 2013 rund 81 Prozent der Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss. Damit ist Deutschland nach den Niederlanden in der Kategorie „meiste Zeitverträge bei jungen Leuten“ unter den 20 Industrienationen ganz vorne mit dabei, wie die OECD 2015 befand. Vor 20 Jahren sah das noch anders aus: Da hatten noch mehr als 80 Prozent der unter 25-Jährigen eine unbefristete Anstellung. Soziologen sprechen bei dieser Entwicklung von einer „Umverteilung vom Beschäftigungsrisiko hin zu jüngeren Menschen“.
So lassen sich prekäre Jobs leichter meiden
Wer vermeiden möchte, in ein prekäres Arbeitsverhältnis reinzurutschen, der sollte direkt am Anfang auf die Zeichen achten: Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist Voraussetzung für eine vernünftige Arbeit. Ohne sollte man direkt die Finger von dem Job lassen, denn ohne Vertrag keine Garantie für Lohn. Am besten klärt ihr in einem Gespräch vor Vertragsabschluss auch gleich, wie es um die Vergütung (mindestens Mindestlohn!), Lohnfortzahlung und bezahlten Urlaub steht. Vielen ist letzteres nicht so wichtig – aber zumindest auf bezahlte Krankheitstage sollte man definitiv nicht verzichten: Schneller als man denkt, kann man mal zwei Wochen flachliegen und dann macht sich das fehlende Geld womöglich auf unangenehme Weise bemerkbar.
Gerade in der Anfangszeit solltet ihr auch danach schauen, dass ihr eine Sozialversicherungsmeldung bekommt. Somit stellt ihr sicher, dass der Job gesetzesmäßig angemeldet ist und ihr im Falle eines Arbeitsunfalls versichert seid. Nicht zuletzt ist es zudem lohnenswert darüber nachzudenken, einen geringen Anteil eures Gehalts in die Rentenkasse einzuzahlen, statt sich davon befreien zu lassen, wie es bei Minijobs möglich ist. Auch wenn man nicht gerne auf den Betrag verzichten möchte, so kann man dadurch schon Wartezeiten für eine Erwerbsminderungsrente sichern und das Risiko etwas senken, später ohne nennenswerte Rente dazustehen. Vor dem Hintergrund unserer alternden Gesellschaft ist das vielleicht nicht die schlechteste Strategie.
Studenten aufgepasst: Um zu vermeiden, nach dem Abschluss erst einmal arbeitslos zu sein, ist es sinnvoll, während des Studiums so viel Praxiserfahrungen zu sammeln wie möglich. Studien zufolge steigert das einen nahtlosen Übergang vom Studium in den Beruf. Ebenso lohnt es sich, möglichst früh Bewerbungen an einzelne Unternehmen zu schreiben.
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