Es ist schon vieles gesagt worden, über Trump, den Wahlkampf, die vielen Tabubrüche und Skandale. Während meines Auslandssemester an der American University in Washington, D.C. und eines Praktikums bei einem amerikanischen Kongressabgeordneten von August bis Dezember konnte ich aus nächster Nähe die Spaltung beobachten, die durch das Land geht, durch meine Uni und sogar durch meine WG. Eine Perspektive aus “Democrats”-Sicht.
Ganz Washington, insbesondere die Studentenschaft, ist blau, also demokratisch, und die Trump-Wähler in der absoluten Minderheit. An einem Fenster im Eingangsbereich unseres Wohnheims, das nicht auf dem Campus, sondern mitten in der Stadt lag, hing noch wenige Wochen vor der Wahl das Schild “Bernie for President”. Sicherlich auch einer der Gründe, warum Hillary letztlich verloren hat. Dennoch, auch von den Trump-Anhängern durfte ich in meiner Zeit in D.C. einige kennenlernen. Zwei Erklärungen hörte man immer wieder: Ich hasse Hillary Clinton (es wurde immer das meines Erachtens starke Wort “hassen” verwendet, auf beiden Seiten übrigens) oder: Meine ganze Familie ist republikanisch, nur die Republikaner repräsentieren die Werte meiner Familie. Interessanterweise begründen nicht wenige Amerikaner ihre Wahlentscheidung mit der Wahlentscheidung ihrer Eltern. Während in Deutschland wohl niemand mehr einen Familienkrieg wegen der Frage, ob man nun SPD oder CDU wählt, anzetteln würde, kommt man in den USA eben immer noch aus einer roten oder einer blauen Familie. Eine Wahl der anderen Seite kam gerade dieses Mal einer Revolution gleich (und bedeutete wohl auch nicht selten den Bruch mit der Familie).
Das Programm, an dem ich in D.C. teilnahm, bestand aus Studium an 2,5 Tagen der Woche und einem Praktikum an den übrigen 2,5. Eine meiner fünf Mitbewohnerinnen, die ich an dieser Stelle als Kate bezeichne, absolvierte dieses wie ich bei einem Kongressabgeordneten – ich bei einem Demokraten, sie bei einem Republikaner. Vier Monate lang fuhr ich von Montag bis Mittwoch täglich mit den “Capitol-Kids”, so nannte sich die Gruppe der Studenten aus dem Programm, die im Repräsentantenhaus oder Senat Praktikum machten, mit der Metro Richtung Kapitol. Und auch wenn die Washingtoner Metro nicht an die Tokioter herankommt, brauchte man in der Rush-Hour eine halbe Ewigkeit zum Regierungsviertel und es gab genügend Zeit, über Politik zu reden. Die meisten von uns waren bei demokratischen Abgeordneten, aber es gab auch einige wenige, die für einen Republikaner arbeiteten. Mit der Zeit hatte sich die Frage nach der Einstellung ihrer Abgeordneten zu Trump zu einer Art Gretchen-Frage entwickelt. Dazu muss man wissen, dass gerade die Repräsentanten eine sehr enge Rückbindung an ihren Wahlkreis haben und Wähler von dort regelmäßig anrufen, um ihre Einschätzung zu einem Projekt oder einem Gesetzvorhaben abzugeben und zu erfragen, wie sich ihr Abgeordneter zu einem bestimmten Thema positioniert. Zu TTP, der North Dakota Pipeline, Medicare oder eben Trump. Interessanterweise unterstützte keines der Republikaner-Büros, in denen meine Freunde arbeiteten, Trump explizit. Manche sprachen eine Wahlempfehlung für ihn aus, einfach weil er der Kandidat der Republikaner war, andere unterstützen ihn zwar nicht offiziell, sagten aber, dass sie bestimmte politische Linien von ihm, wie z.B. die Ernennung der neuen Richter am Supreme Court, unterstützen würden.
Auch Kate erklärte mir also, sie könne Hillary nicht wählen, da diese nicht ihre Werte und die ihrer Familie vertrete. Gleichzeitig aber hielt sie Trump für ein “Human Disaster”. Sie erklärte, Gary Johnson, dem Kandidaten der Libertäten Partei, ihre Stimme geben zu wollen, der aber keinerlei Aussichten hatte. Etwas ungläubig schaute ich sie an: “Aber was möchtest du denn dann, wer gewinnt?” Sie erklärte, letztlich hoffe sie doch auf Clinton, aber zugleich auf eine rote Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus. Im Nachhinein waren alle baff über das Wahlergebnis, aber ich hatte irgendwie damit gerechnet. Das lag einerseits an der schon damals erkennbaren mangelnden Bereitschaft vieler zukünftiger Trump-Wähler, ihre Wahlabsichten preiszugeben, andererseits fügte sich die Wahl aber auch in eine Reihe mit Brexit und dem gescheiterten Friedens-Referendum in Kolumbien.
Am Tag der Wahl führe ich ein langes Gespräch mit einem der Mitarbeiter aus dem Team des Abgeordneten. Die Anspannung ist allen anzumerken, und er fragt mich besorgt, was Deutschland wohl über die USA denken wird, sollte Trump gewinnen. Wir reden lange über Deutschland und Amerika, Flüchtlingskrise und Medicare, NATO und die EU. Am Abend verlasse ich das Büro und habe das erste Mal seit Wochen ein gutes Gefühl: Die Amerikaner wissen es besser, Hillary wird gewinnen. Auch zwei meiner Mitbewohnerinnen befürchten, dass bei einem Sieg Trumps ein regelrechtes America-Bashing starten wird. Die Europäer, meinen sie, werden sagen, dass sie es schon immer wussten und die Amerikaner jetzt den Präsidenten bekommen, den sie verdient haben. Ich verspreche, meinen Freunden in Europa zu sagen, dass Amerikaner nicht alle so sind, dass ich in meiner Zeit in D.C. viele aufgeklärte, reflektierte und gebildete Amerikaner getroffen haben, die so gar nicht den Klischees entsprechen, die wir eben oft haben.
In der Wahlnacht selbst gehe ich mit einigen Freunden aus der Uni zu einer Election Results Watch Party der Demokraten. Während ich mir zu Hause die Schuhe schnüre, werden die ersten Ergebnisse auf dem Fernseher eingeblendet. Trump führt bereits, Kentucky und Indiana fallen an ihn, aber es sind eben Kentucky und Indiana und keiner wundert sich. Wir ziehen von einer Bar in die nächste. Nach und nach gewinnt Trump die Swing States. North Carolina, Florida, Ohio. Clinton gewinnt nur die fest erwarteten Staaten. Es werden Witze darüber gerissen, dass man auswandern werde. Wir ziehen weiter von Bar zu Bar, nur um jedes Mal wieder den Bildschirm rot aufflimmern zu sehen “Pennsylvania. Winner: Donald Trump”. In der letzten Bar an dem Abend gewinnt Hillary dann Kalifornien mit immerhin 55 Wahlmännern. Meine Freunde, überwiegend Kalifornier, jubeln auf: “Cali, Cali, Cali! West Coast – Best Coast” rufen sie und hüpfen herum. Alle stimmen ein, singen mit, auch wenn sie nicht aus Kalifornien kommen und insgeheim schon längst wissen, dass diese Wahl verloren ist. Vielleicht freuen sie sich auch so, weil sie ahnen, dass es in nächster Zeit wenig zum Jubeln geben wird. Das offizielle Endergebnis kommt erst am frühen Morgen heraus. Als nur noch vier Staaten ausstehen, gehen wir, haben überhaupt keine Lust, uns Trumps Antrittsrede anzuschauen. Eine Freundin erklärt, dass die Arbeit am nächsten Tag wahrscheinlich nicht stattfindet, weil Proteste befürchtet werden.
Meine Zimmernachbarin hat Cookies fürs Frühstück vorbereitet. Sie meint, die würden uns gut tun, so oder so. Sie selbst steht nicht einmal auf. Als ich noch einmal ins Zimmer komme, um meine Sachen zu holen, murmele ich nur, dass alles schon irgendwie wird und das Leben weitergeht. Sie aber, eigentlich eine ruhige Zeitgenossin, steigt aus dem Bett, rastet aus, und schreit, dass jetzt schon alles bergab gehen würde, Mexikos Regierung ein Krisentreffen hatte, weil der Peso immer weiter fiel und die Website der Kanadischen Einwanderungsbehörde zusammengebrochen ist, weil sich so viele Amerikaner über die Kriterien für die Erlangung der kanadischen Staatsbürgerschaft informiert haben.
Im Kongress-Büro herrscht Krisenstimmung. Ein Kollege fragt mich, ob er mit mir nach Deutschland kommen könne, viele sehen verheult aus. Congressman John B. Larson aus Connecticut, für den ich gearbeitet habe, wurde mit 64 Prozent wiedergewählt, aber das war zu erwarten. Obwohl die Wahlen für das Repräsentantenhaus und die Präsidentschaftswahlen zeitgleich stattfanden, hatten Larsons Mitarbeiter in den Wochen zuvor Wahlkampf für Hillary statt für ihn gemacht. Connecticut ist tiefblau, Amerika tief gespalten.
In den Tagen und Wochen vor der Wahl hatten wir viele Anrufe von Wählern erhalten, die ihren Unmut und ihre Angst vor Trump ausdrückten. Es gab aber auch einige “Erpresseranrufe” von Wählern, die erklärten, sie würden Trump wählen, sollten sie nicht am selben Tag noch eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Als Praktikantin, die unter anderem die undankbare Aufgabe hatte, das Telefon zu beantworten, durfte ich mir da einiges anhören. In der Mittagspause zwischen Arbeit und Praktikum nehme ich mit einer deutschen Freundin an einer Podiumsdiskussion im Goethe-Institut teil, die sich mit den Auswirkungen der Wahl auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen befasst. Ein Journalist vom WDR zitiert deutsche Zeitungen, die von einem “Fucking Nightmare” sprechen, ansonsten ist man recht sprach- und ratlos. Viele Amerikaner, die eine Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen befürchten, sind da, ob sich jemand im Anschluss über eine Einwanderung nach Deutschland informiert, weiß ich nicht.
In der Uni haben wir am Nachmittag zwei Gastredner, die über Menschenrechtsverletzungen in Südamerika sprechen, aber keiner hört zu. Es herrscht Katerstimmung, obwohl niemand getrunken hat. Alle sind nicht nur übermüdet, sondern geschockt, ungläubig, ohnmächtig. Zu Hause versuchen meine Mitbewohnerinnen, sich Mut zu machen, sagen, dass es schon irgendwie weitergehen wird. Ich steige in die verbreitete Leier ein: Amerika ist eine starke Demokratie, bla bla.
Es folgen Studentenproteste im ganzen Land: An meiner Universität, die als besonders links-liberal gilt, wird eine amerikanische Flagge angezündet, Studenten beschimpfen sich, ein Mädchen wird angegriffen, und ein Mitarbeiter der Uni, der versucht, die Gemüter zu beruhigen, wird aggressiv angegangen und ausgebuht, sodass er sich schnell zurückzieht. Gerade in den sozialen Netzwerken eskaliert die Situation und man sieht wüste Beschimpfungen. Wochen später nehme ich an der Christmas Lighting Ceremony im Park vor dem Weißen Haus teil: Die Obamas entzünden den gigantischen Weihnachtsbaum, Michelle liest eine Weihnachtsgeschichte vor, und die ganze Familie wippt im Takt, als Chance the Rapper, Kelly Clarkson und Co. Weihnachtslieder singen. Die Menge jubelt und ruft immer wieder: “Four more years, four more years!”.
Ein widersprüchliches Bild bietet New York einige Wochen nach der Wahl: Auf der Fifth Avenue erledigen Amerikaner und Touristen ihre Weihnachtseinkäufe. Vor dem Trump-Tower, der anders als die übrigen Gebäude der Straße nicht hell erleuchtet ist und weihnachtlich blinkt, hat sich eine Gruppe von Demonstranten versammelt. “This is what democracy looks like!” rufen sie immer wieder und halten Schilder hoch, auf denen “We refuse to accept the President elect” steht. Ich empfinde das als irritierend: Ist es nicht das Undemokratischste überhaupt, einem gewählten Präsidenten die Legitimation abzusprechen? Meines Erachtens sagt der Umgang mit dem Wahlergebnis viel über das Wahlergebnis selbst aus.
Letztendlich hat auch Kate Trump gewählt. Wahrscheinlich war genau das Teil des Problems, dass die vermeintlich Liberalen in den USA ein Klima geschaffen haben, in dem man sich nicht mehr offen zu sagen traut, wen man wählt. Aus diesem Grund lagen sämtliche Umfragen falsch und aus diesem Grund gab es im Vorfeld der Wahl zu wenig Diskussion, und jeder blieb in seiner roten bzw. blauen Blase und begegnete der anderen Seite mit Misstrauen und Unverständnis. Ich selbst habe zwar versucht, mich mit meiner Meinung zurückzuhalten, schon deshalb, weil ich nicht Amerikanerin bin und folglich keine Wahlstimme hatte. Gleichzeitig habe aber auch ich nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich Trump für ungeeignet halte. Trotzdem: Wenn wir es nicht schaffen, dass jeder seine Meinung und seine Ängste (sagen wir, solange sie nicht diffamierend und ausgrenzend sind) frei äußern kann, dann sollten wir uns auch diesseits des Atlantiks nicht über unerwartete Wahlergebnisse wundern, die die politische Landschaft, wie wir sie kennen, radikal verändern werden.
Klein-Heinz
“dass jeder seine Meinung und seine Ängste (sagen wir, solange sie nicht diffamierend und ausgrenzend sind) frei äußern kann”
Also letztlich doch nur zensiert?
Komm mal mit Deinen Ängsten klar, nicht Worte sind gefährlich, sondern das, was folgt, wenn Kommunikation nicht funktioniert.
Und auch die “Rechten” sind Menschen…
cource
das bedingungslose primat der globalisierung der demokraten ist ja auch keine lösung, ob trump wirklich etwas erreichen kann für seine wähler/abstiegsgesellschaft ist mehr als fraglich aber mit seinem scheitern würde dann nur noch eine totale änderung des systems/machtverhältnisse übrig bleiben